Frances fragte ohne lange Umschweife:

»Was ist los? Geld?«

Sie wusste selbst nicht, wieso ihr als Erstes diese Moglichkeit in den Sinn kam. Es lagen keinerlei Anzeichen finanzieller Schwierigkeiten vor. In der Kanzlei gab es mehr Arbeit, als der kleine Mitarbeiterstab bewaltigen konnte. Doch Mangel an Arbeitskraften herrschte uberall, und einige Angestellte aus Jeremys Buro waren sogar kurzlich aus der Armee entlassen worden und in ihre alten Stellungen zuruckgekehrt. Eher ware zu vermuten gewesen, es sei eine heimliche Krankheit, die Jeremy bedruckte. Er sah seit einigen Wochen schlecht aus, und die frische Farbe war aus seinen Wangen gewichen. Aber Frances lie? sich von ihrem Instinkt leiten, der auf finanzielle Sorgen tippte, und allem Anschein nach hatte sie den Nagel auf den Kopf getroffen.

Jeremy nickte.

»Aha.«

Frances blieb einen Augenblick stumm. Sie dachte nach. Ihr selbst lag wenig an Geld, aber das zu begreifen war Jeremy nicht moglich. Fur ihn bedeutete Geld das Vorhandensein einer um ihn fest gefugten Welt mit Sicherheit und Zufluchtsmoglichkeiten, mit einem festen, angestammten Platz von eherner Unverruckbarkeit.

Fur Frances hingegen bedeutete Geld etwas, womit man spielte, das einem in den Scho? fiel, um sich damit zu vergnugen. Sie war in einer Umgebung finanzieller Unsicherheit aufgewachsen. Hatten die Rennpferde die in sie gesetzten Erwartungen erfullt, war alles in Hulle und Fulle vorhanden; dann wieder gab es Zeiten, wo die Handler sich weigerten, weiter auf Kredit zu liefern, und Lord Edward alle moglichen Tricks anwenden musste, um die Geldeintreiber von der Schwelle zu verscheuchen. Hatte man kein Geld, dann borgte man sich eben bei Bekannten was oder lebte ein Weilchen bei Verwandten oder verzog sich nach Europa.

Doch ein Blick auf ihres Gatten Gesicht belehrte Frances, dass es in der Welt Jeremys keinen dieser Auswege gab. Dort lebte man nicht auf Pump oder nistete sich ein Weilchen bei guten Freunden ein. Umgekehrt erwartete man auch nicht, um Geld angegangen zu werden oder Bekannte, die sich gerade in Noten befanden, bei sich aufnehmen zu mussen.

Frances hatte Mitleid mit Jeremy und konnte ein Gefuhl der Schuld nicht ganz unterdrucken, weil ihr das alles uberhaupt nicht nahe ging. Sie rettete sich ins Praktische.

»Mussen wir alles hier verkaufen? Ist die Firma am Ende?«

Jeremy Cloade zuckte zusammen, und zu spat kam es Frances zu Bewusstsein, dass sie schonungslos gesprochen hatte.

»Lass mich nicht langer im Dunkel tappen, Jeremy«, sagte sie etwas weicher. »Schenk mir reinen Wein ein.«

Jeremy nahm sich zusammen.

»Du wei?t, dass vor zwei Jahren die Affare mit dem jungen Williams uns ziemlich zu schaffen machte«, hub er weitschweifig an. »Dann kam die veranderte Situation im Fernen Osten dazu. Es war nicht so einfach, nach Singapore – «

»Ach, Jeremy«, unterbrach sie ihn. »Spar dir die Erklarungen, warum und wieso es so ist, das ist doch nicht wichtig. Du bist in eine Sackgasse geraten und kannst dich nicht daraus befreien, ja?«

»Ich habe mich auf Gordon verlassen. Gordon hatte alles in Ordnung gebracht.«

Frances konnte einen leisen Seufzer der Ungeduld nicht unterdrucken.

»Nichts liegt mir ferner, als Gordon einen Vorwurf daraus machen zu wollen, dass er sich in eine hubsche junge Frau verliebt hat. Das ist schlie?lich nur menschlich. Und warum hatte er nicht noch mal heiraten sollen? Aber dass er bei dem Luftangriff umkam, bevor er noch ein Testament machen oder uberhaupt nach dem Rechten sehen konnte, das ist ein schlimmer Schlag. Abgesehen von dem Verlust, den Gordons Tod fur mich bedeutet«, fuhr Jeremy fort, »ist die Katastrophe ausgerechnet in einem Augenblick uber mich hereingebrochen – « Er sprach nicht weiter.

»Sind wir bankrott?«, erkundigte sich Frances unerschuttert.

Jeremy betrachtete seine Frau mit einem an Verzweiflung grenzenden Blick. So unbegreiflich Frances dies auch gewesen ware, hatte Jeremy Cloade es doch viel besser verstanden, einer in Tranen aufgelosten Frau Rede und Antwort zu stehen als der sachlichen Frances.

»Bankrott? Es ist schlimmer als das«, erklarte er heiser.

Er beobachtete sie, wie sie stumm diese Erklarung aufnahm. Es nutzte nichts. Gleich wurde er es ihr sagen mussen. Gleich wurde sie erkennen, was fur ein Mensch er war. Wer wei?, vielleicht glaubte sie es ihm nicht einmal.

Frances Cloade richtete sich in ihrem Lehnstuhl auf.

»Ach so. Ich verstehe. Eine Veruntreuung, ja? Eine Unterschlagung? So etwas Ahnliches, wie es damals der junge Williams angestellt hat?«

»Ja, aber diesmal bin ich der Verantwortliche. Ich habe Gelder, die uns anvertraut waren, fur eigene Zwecke benutzt. Bis jetzt ist es mir gelungen, alles zu vertuschen, aber – «

»Aber jetzt kommt es heraus?«, forschte Frances interessiert. »Wenn ich nicht schnell Geld auftreiben kann, ja.«

Schlimmer als alles war die Scham. Wie wurde sie dieses Gestandnis aufnehmen?

Frances sa?, die Wange auf die Hand gestutzt, da und dachte mit gerunzelter Stirn nach.

»Zu dumm, dass ich kein eigenes Geld besitze«, sagte sie endlich.

»Du hast naturlich deine Mitgift«, bemerkte Jeremy steif, doch Frances unterbrach ihn geistesabwesend:

»Aber die wird auch weg sein, nehme ich an.«

Es fiel Jeremy schwer weiterzusprechen.

»Es tut mir Leid, Frances. Es tut mir sehr Leid, mehr als ich dir sagen kann. Du hast ein schlechtes Geschaft gemacht.«

Sie blickte auf.

»Was meinst du damit? Das hast du vorhin schon behauptet.«

»Als du dich einverstanden erklartest, mich zu heiraten«, erwiderte Jeremy wurdevoll, »konntest du mit Recht annehmen, dass ich dir ein Leben ohne Peinlichkeiten, ein Leben ohne Sorgen und Demutigungen bereiten wurde.«

Frances betrachtete ihren Mann mit au?erstem Erstaunen.

»Ja, aber Jeremy, was um Himmels willen glaubst du, hat mich veranlasst, dich zu heiraten?«

Er lachelte uberlegen.

»Du warst stets eine gute Frau, Frances, und du hast stets zu mir gehalten. Aber ich kann mir kaum schmeicheln, dass du mich auch unter – hm – anders gearteten Umstanden zum Mann gewahlt hattest.«

Frances starrte ihren Mann verdutzt an und brach dann in Lachen aus.

»Ach, du dummer Kerl, du! Was fur romantische Gedanken du hinter deiner trockenen Juristenstirn verbirgst! Hast du wirklich geglaubt, ich hatte dich quasi zum Dank dafur, dass du Vater vor den Wolfen gerettet hast, geheiratet?«

»Du hast sehr an deinem Vater gehangen, Frances.«

»Ich vergotterte ihn. Er war der lustigste Kamerad, den man sich wunschen kann, und er sah fabelhaft aus. Aber deswegen habe ich mich doch nie Illusionen uber ihn hingegeben. Und wenn du glaubst, ich hatte dich als Vaters Anwalt nur geheiratet, um ihn vor dem zu bewahren, was ihm unweigerlich fruher oder spater widerfahren musste, dann kennst du mich nicht. Dann hast du mich uberhaupt nie gekannt.«

Sie sah ihren Mann verblufft an. Wirklich sonderbar, dass man uber zwanzig Jahre mit einem Mann verheiratet sein konnte, ohne die leiseste Ahnung zu haben, was eigentlich in ihm vorging.

»Ich habe dich geheiratet, weil ich dich liebte«, stellte sie sachlich fest.

»Du liebtest mich? Aber was kann dir an mir gefallen haben?«

»Ach, was fur eine Frage, Jeremy! Ich wei? es selbst nicht. Vielleicht weil du so anders warst als die Leute um meinen Vater herum. Und vielleicht auch, weil du nie uber Pferde gesprochen hast. Du kannst dir nicht vorstellen, wie satt ich es hatte, nur uber Pferde und Rennen reden zu horen. Ich erinnere mich, wie du eines Abends zum Essen kamst und ich dich fragte, ob du mir erklaren konntest, was Bimetallismus sei. Und du konntest es wirklich. Es dauerte zwar das ganze Essen lang – wir hatten damals gerade Geld und konnten uns einen fabelhaften franzosischen Koch leisten – «

»Ich muss dir schrecklich auf die Nerven gegangen sein.«

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