funfzehn Jahre alt war, aber sie wirkte alter und reifer, wie die meisten orientalischen Madchen ihres Alters. Wahrend Miss Bulstrode sich mit ihr uber das bevorstehende Semester unterhielt, stellte sie erleichtert fest, dass Shanda flie?end Englisch sprach, nicht verlegen kicherte und bessere Manieren hatte als die meisten ihrer englischen Altersgenossinnen. Es ware keine schlechte Idee, europaische junge Madchen in den Orient zu schicken, damit sie Hoflichkeit und gutes Benehmen lernen, dachte die Schulvorsteherin.

Nachdem beiderseits Komplimente ausgetauscht worden waren, verlie?en die Besucher das Zimmer. Miss Bulstrode offnete sofort die Fenster, um die betaubende Duftwolke hinauszulassen.

Als nachste erschienen Mrs Upjohn und ihre Tochter Julia.

Mrs Upjohn war eine sympathische Frau, Ende drei?ig, mit sandfarbenem Haar, Sommersprossen und einem unkleidsamen Hut. Sie war offensichtlich nicht daran gewohnt, Hute zu tragen, jedoch hielt sie fur diese feierliche Gelegenheit eine Kopfbedeckung fur angebracht.

Julia war kein besonders hubsches Kind. Auch sie hatte Sommersprossen, eine hohe intelligente Stirn und ein freundliches Gesicht.

Die Formalitaten waren schnell erledigt, und Margaret wurde beauftragt, Julia zu Miss Johnson zu bringen.

»Auf Wiedersehen, Mummy«, rief Julia unbeschwert. »Und sei recht vorsichtig, wenn du den Gasofen anzundest, jetzt, wo ich’s nicht mehr machen kann – ja?«

Miss Bulstrode lachelte Mrs Upjohn freundlich zu, forderte sie jedoch nicht auf, Platz zu nehmen. Wer wei?, dachte sie, vielleicht will mir selbst diese sympathische Mutter einer vernunftigen Tochter auseinander setzen, dass ihr Kind unter nervosen Depressionen leidet und mit Samthandschuhen angefasst werden muss. Daher fragte sie nur liebenswurdig:

»Wollten Sie sonst noch irgendetwas mit mir besprechen?«

»Nein, eigentlich nicht«, erwiderte Mrs Upjohn freundlich. »Julia ist kein schwieriges Kind; sie ist gesund und intelligent – aber wahrscheinlich halt jede Mutter die eigene Tochter fur besonders begabt.«

»Mutter sind sehr verschieden«, erklarte die Schulleiterin duster.

»Jedenfalls bin ich uberglucklich, dass Julia hier sein kann«, sagte Mrs Upjohn. »Meine Tante wird fur das Schulgeld aufkommen, denn ich selbst konnte es mir leider nicht leisten. Auch Julia ist ihrer Tante sehr dankbar und freut sich riesig auf die Schule.« Sie ging zum Fenster hinuber und blickte bewundernd auf den gepflegten Garten. »Ein herrlicher Garten! Sie haben bestimmt eine Menge guter Gartner?«

»Das ist im Augenblick ein gro?es Problem. Bisher hatten wir drei sehr gute Gartner, aber leider sind wir jetzt hauptsachlich auf Gelegenheitsarbeiter aus der Nachbarschaft angewiesen«, sagte Miss Bulstrode.

»Es scheint heutzutage uberall schwer zu sein, gelernte Gartner zu finden«, stellte Mrs Upjohn fest. »Jeder behauptet, Gartner zu sein, selbst wenn er davon keine Ahnung hat, nur weil er sich nebenbei eine Kleinigkeit verdienen mochte. Sogar unser Milchmann…« Sie unterbrach sich und sah interessiert aus dem Fenster, dann rief sie: »Nanu! Das ist aber sonderbar…«

Miss Bulstrode hatte diesem Ausruf mehr Beachtung schenken sollen, aber leider tat sie es nicht, da sie zufallig aus dem anderen Fenster schaute, von dem aus man die Rhododendronstraucher sehen konnte. Hier bot sich ihr ein hochst unwillkommener Anblick. Lady Veronica Carlton-Sandways, deren gro?er schwarzer Samthut schief auf ihrem zerzausten Haar sa?, kam mit schwankenden Schritten auf das Schulhaus zu. Sie war offensichtlich schwer betrunken.

Lady Veronicas Hang zur Flasche war Miss Bulstrode nicht unbekannt. In nuchternem Zustand war sie eine reizende Frau und ihren Zwillingstochtern eine gute Mutter – unglucklicherweise war sie eine Quartalssauferin. Ihr Gatte, Major Carlton-Sandways, hatte sich damit abgefunden; seine Kusine, die bei ihnen lebte, lie? Lady Veronica im Allgemeinen nicht aus den Augen. Beim Turnfest war Lady Veronica elegant gekleidet, vollig nuchtern, am Arm ihres Mannes und in Begleitung der Kusine in Meadowbank erschienen. Bei dieser Gelegenheit war sie allen anderen Muttern ein Vorbild an Tugend und Liebenswurdigkeit gewesen. Aber leider gelang es ihr gelegentlich, dem wachsamen Auge des Gatten zu entschlupfen und sich heimlich zu betrinken. Im weinseligen Zustand verspurte sie dann das dringende Bedurfnis, ihre geliebten Tochter in die mutterlichen Arme zu schlie?en. Die Zwillinge waren am Vormittag mit der Bahn angekommen, und niemand hatte Lady Veronica erwartet.

Mrs Upjohn redete noch immer, aber Miss Bulstrode horte nicht zu. Sie erwog verschiedene Moglichkeiten, denn sie erkannte, dass sich Lady Veronica dem aufsassigen Stadium naherte. Aber plotzlich erschien der Retter in der Not in Gestalt von Miss Chadwick, die atemlos um die Ecke bog. Die treue Chaddy, dachte Miss Bulstrode, stets zuverlassig, stets zur Stelle, ob es sich um ein zerschurftes Knie handelt oder um eine betrunkene Mutter.

»So eine Gemeinheit«, lallte Lady Veronica mit lauter Stimme. »Hat versucht mich zu hindern… wollte mich nicht herkommen lassen… habe Edith an der Nase herumgefuhrt. Bin heimlich in die Garage gegangen… hab den Wagen rausgeholt… hab mir ins Faustchen gelacht… dumme Edith… typische alte Jungfer… wird nie einen Mann finden… auf dem Weg Stunk mit der Polizei hat behauptet, ich sei nicht imstande, Wagen zu lenken… lacherlich… will Miss Bulstrode nur Bescheid sagen… hole meine beiden Tochter ab… sollen zuhause bleiben… Mutterliebe… ist etwas ganz Wundervolles… geht nichts uber Mutterliebe…«

»Sehr richtig, Lady Veronica«, erklarte Miss Chadwick. »Wir freuen uns, dass Sie hergekommen sind. Vor allen Dingen mussen Sie die neue Turnhalle sehen, die wird Ihnen bestimmt gefallen.« Sie lenkte Lady Veronicas unsichere Schritte geschickt in die entgegengesetzte Richtung. Wahrend sie sich vom Haus entfernte, sagte sie: »Ich nehme an, dass wir Ihre Tochter dort antreffen werden. So eine schone Turnhalle, neue Schlie?facher und ein Trockenraum fur Badeanzuge…«

Die Stimmen verklangen.

Miss Bulstrode blieb aufmerksam am Fenster stehen. Einmal versuchte Lady Veronica sich freizumachen und zum Haus zuruckzukehren, aber Miss Chadwick konnte es mit ihr aufnehmen. Schlie?lich verschwanden sie hinter der Rhododendronhecke, auf dem Weg zur entfernt und einsam gelegenen Turnhalle.

Miss Bulstrode stie? einen Seufzer der Erleichterung aus. Die brave zuverlassige Chaddy! Altmodisch, nicht sehr intelligent – abgesehen von ihrer Begabung fur Mathematik –, aber immer zur Stelle, wenn sie gebraucht wurde.

Sie wandte sich schuldbewusst Mrs Upjohn zu, die noch immer munter plauderte.

»… aber keine gro?en Heldentaten«, sagte sie. »Ich bin nicht im Fallschirm abgesprungen, und ich war kein Geheimkurier. So tapfer bin ich nicht. Es handelte sich meistens um ziemlich langweilige Buroarbeit, Eintragungen auf Landkarten und dergleichen. Aber manchmal war es doch ziemlich aufregend, wie ich eben schon sagte… Wenn die Geheimagenten sich gegenseitig durch ganz Genf verfolgten… Selbstverstandlich kannte man sich vom Sehen, und oft traf man sich in derselben Bar. Ja, manchmal war es recht amusant. Verheiratet war ich damals naturlich noch nicht…«

Plotzlich unterbrach sie sich und sagte mit einem entschuldigenden Lacheln: »Bitte verzeihen Sie diesen Redefluss! Ich nehme zu viel von Ihrer kostbaren Zeit in Anspruch.«

Sie gab Miss Bulstrode die Hand, verabschiedete sich und ging.

Miss Bulstrode blieb einen Augenblick stirnrunzelnd stehen. Sie hatte das vage Gefuhl, dass ihr irgendetwas Wichtiges entgangen war, aber sie wusste beim besten Willen nicht, was. Sie hatte auch keine Zeit, daruber nachzudenken, denn sie musste noch mit vielen Eltern sprechen. Ihre Schule war beruhmter und gesuchter denn je. Meadowbank stand auf seinem Hohepunkt.

Nichts wies darauf hin, dass innerhalb weniger Wochen in Meadowbank furchtbare Dinge geschehen wurden und dass gewisse tragische Ereignisse bereits stattgefunden hatten… 

1

Etwa zwei Monate vor Beginn des Schuljahrs waren Dinge geschehen, die in Meadowbank unerwartete Ruckwirkungen haben sollten.

Zwei junge Manner sa?en rauchend im Palast zu Ramat und sprachen uber die Zukunft. Der eine hatte einen glatten olivfarbenen Teint und gro?e melancholische Augen. Es war Prinz Ali Yusuf, der Scheich von Ramat, einem kleinen, aber ungeheuer reichen Staat im Nahen Osten. Der andere junge Mann hatte sandfarbenes Haar und Sommersprossen; er besa? kein Privatvermogen und lebte von dem (allerdings sehr ansehnlichen) Gehalt, das Seine

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