blauschimmernde Fliegen. Sie horten das Murmeln des Baches neben den Pappeln.

Er war klar und flo? schnell. Im Lager hatten sie immer zuwenig Wasser gehabt. Hier flo? es und wurde nicht gebraucht. Man mu?te sich an vieles neu gewohnen.

Sie gingen weiter den Abhang hinab. Sie nahmen sich Zeit und ruhten oft aus. Dann kam eine Mulde, und als sie endlich zuruckblickten, war das Lager verschwunden.

Sie sa?en lange und schwiegen. Das Lager war nicht mehr da und auch nicht die zerstorte Stadt.

Sie sahen nur eine Wiese und daruber den weichen Himmel.

Sie fuhlten den lauen Wind auf ihren Gesichtern, und es war, als wehe er durch die schwarzen Spinnweben der Vergangenheit und stie?e sie mit weichen Handen fort. So mu? es vielleicht anfangen, dachte Bucher. Ganz von vorn. Nicht mit Verbitterung und Erinnerungen und Ha?. Mit dem Einfachsten. Mit dem Gefuhl, da? man lebt. Nicht, da? man trotzdem noch lebt wie im Lager.

Einfach, da? man lebt. Er spurte, da? es kein Fortlaufen war. Er wu?te, was 509 von ihm gewollt hatte: da? er einer von denen sein sollte, die durchkommen sollten, ungebrochen, um zu zeugen und zu kampfen.

Aber er fuhlte plotzlich auch, da? die Verantwortung, die die Toten ihm gegeben hatten, nur dann keine unertragliche Burde sein wurde, wenn dieses klare, starke Gefuhl des Lebens dazukommen wurde und er es halten konnte. Es wurde ihn tragen und ihm die doppelte Kraft geben: nicht zu vergessen und auch nicht an der Erinnerung zugrunde zu gehen – so wie Berger es gemeint hatte beim Abschied.

»Ruth«, sagte er nach einiger Zeit. »Wenn man so tief anfangt wie wir, dann mu? doch eigentlich noch eine ganze Menge Gluck vor einem liegen.«

Der Garten bluhte; aber als sie an das wei?e Haus herankamen, sahen sie, da? hinter ihm eine Bombe eingeschlagen war. Sie hatte den ganzen hinteren Teil zerstort; es war nur die Fassade, die unbeschadigt geblieben war. Sogar die geschnitzte Eingangstur war noch da. Sie offneten sie; aber sie fuhrte auf einen Schutthaufen.

»Es war nie ein Haus. All die Zeit.«

»Gut, da? wir nicht gewu?t haben, da? es zerstort war.«

Sie sahen es an. Sie hatten geglaubt, solange es bestande, wurden auch sie bestehen.

Sie hatten an eine Illusion geglaubt. An eine Ruine mit einer Fassade. Es lag Ironie darin und gleichzeitig ein sonderbarer Trost. Es hatte ihnen geholfen, und am Ende kam es nur darauf an.

Sie fanden keine Toten. Das Haus mu?te verlassen gewesen sein, als es zerstort wurde.

Seitlich, unter Trummern, entdeckten sie eine schmale Tur. Sie hing schief in den Angeln, und dahinter war eine Kuche.

Der kleine Raum war nur zum Teil niedergebrochen. Der Herd war unbeschadigt, und sogar ein paar Pfannen und Topfe standen da. Das Rohr des Herdes war leicht wieder zu befestigen und durch ein zerbrochenes Fenster zu fuhren. »Man kann ihn anzunden«, sagte Bucher. »Drau?en ist genug Holz.«

Er suchte im Schutt umher. »Hier unten sind Matratzen. In ein paar Stunden kann man sie herausholen. Wir wollen gleich anfangen.«

»Es ist nicht unser Haus.«

»Es gehort niemand. Fur einige Tage konnen wir schon hierbleiben. Fur den Anfang.«

Abends hatten sie zwei Matratzen in der Kuche. Sie hatten auch kalkverstaubte Decken gefunden und einen heilen Stuhl. In der Schublade des Tisches waren ein paar Gabeln, Loffel und ein Messer gewesen. Ein Feuer brannte im Herd. Der Rauch zog durch das Ofenrohr zum Fenster hinaus.

Bucher suchte drau?en noch weiter in den Trummern.

Ruth hatte ein Stuck Spiegel gefunden und es heimlich in ihre Tasche gesteckt. Jetzt stand sie neben dem Fenster und blickte hinein. Sie horte Buchers Rufe und antwortete; aber sie lie? ihre Augen nicht von dem, was sie sah. Das graue Haar; die eingesunkenen Augen; den bitteren Mund mit den gro?en Zahnlucken. Sie blickte lange und erbarmungslos hin. Dann warf sie den Spiegel ins Feuer.

Bucher kam herein. Er hatte noch ein Kissen gefunden. Der Himmel war inzwischen apfelgrun geworden, und der Abend war sehr still. Sie blickten durch das zerbrochene Fenster hinaus und wurden sich plotzlich bewu?t, da? sie allein waren. Sie kannten es fast nicht mehr. Immer war das Lager mit seinen Menschenmengen dagewesen, die uberfullte Baracke, ja sogar die uberfullte Latrine. Es war gut gewesen, Kameraden zu haben; aber es hatte oft auch bedruckt, nie allein sein zu konnen. Es war wie eine Walze gewesen, die das Selbst flachgepre?t hatte zu einem Massenselbst. »Sonderbar, plotzlich allein zu sein, Ruth.« »Ja. Als waren wir die letzten Menschen.« »Nicht die letzten. Die ersten.« Sie legten eine der Matratzen so, da? sie durch die offene Tur hinaus» schauen konnten. Sie offneten ein paar Buchsen und a?en; dann setzten sie sich nebeneinander in die Tur. Hinter dem Schutthaufen zu beiden Seiten schimmerte das letzte Licht.

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