Dann zeigte er auf Berger und hob drei Finger. »Oder drei?«

Der Amerikaner grinste. Er nahm Lebenthal und schob ihn mit sanfter Gewalt auf das erste Bett; dann Bucher auf das zweite; Berger auf das nachste und Sulzbacher daneben. »So«, sagte er.

»Jeder ein Bett!«

»Mit einer Decke!«

»Ich gebe auf«, erklarte Lebenthal. »Kissen gibt es auch.«

Sie hatten einen Sarg bekommen. Es war eine leichte, schwarze Kiste von normaler Gro?e; aber sie war zu breit fur 509. Man hatte leicht noch jemand dazulegen konnen. Es war das erstemal in langer Zeit, da? er so viel Platz fur sich allein hatte. Man hatte ihm da, wo die Baracke 22 gestanden hatte, ein Grab geschaufelt. Sie fanden, das sei der richtige Platz fur ihn. Es war Abend, als sie ihn hinbrachten. Die Mondsichel hing am dunstigen Himmel. Leute aus dem Arbeitslager halfen ihnen, den Sarg hinabzulassen. Sie hatten eine kleine Schaufel. Jeder trat heran und warf etwas Erde hinunter. Ahasver trat zu nahe heran und rutschte hinab. Sie holten ihn wieder herauf. Andere Haftlinge halfen ihnen, das Grab zuzuschaufeln. Sie gingen zuruck. Rosen trug die Schaufel, um sie wieder abzugeben. Sie kamen an Baracke 20 vorbei. Ein Toter wurde dort herausgebracht. Zwei SS-Leute trugen ihn durch die Tur. Rosen blieb vor ihnen stehen. Sie wollten um ihn herumgehen. Der Vordere war Niemann, der Abspritzer. Die Amerikaner hatten ihn hinter der Stadt gefangen und zuruckgebracht. Er war der Scharfuhrer, vor dem 509 Rosen gerettet hatte. Rosen trat etwas zuruck, hob die Schaufel und schlug sie Niemann ins Gesicht. Er hob sie noch einmal, aber der wachhabende amerikanische Soldat war herangekommen und nahm ihm die Schaufel sanft aus den bebenden Handen. »Come, come – we'll take care of that later.«

Rosen zitterte. Niemann hatte nicht viel abbekommen; nur eine Hautabschurfung im Gesicht.

Berger nahm Rosen am Arm. »Komm. Du bist zu schwach dafur.«

Rosen brach in Tranen aus. Sulzbacher nahm seinen anderen Arm. »Sie werden ihn verurteilen, Rosen. Fur alles.«

»Totschlagen! Totgeschlagen mussen sie werden! Sonst hilft alles nichts! Sonst kommen sie immer wieder!«

Sie zogen ihn fort. Der Amerikaner gab Bucher die Schaufel zuruck. Sie gingen weiter.

»Komisch«, sagte Lebenthal nach einer Weile. »Und du warst immer der, der keine Rache wollte – «

»La? ihn, Leo.«

»Ich lasse ihn ja.«

Jeden Tag verlie?en Gefangene das Lager. Die auslandischen Sklavenarbeiter, die gesund waren und gehen konnten, wurden in Gruppen abtransportiert. Ein Teil der Polen blieb zuruck. Sie wollten nicht in die russische Zone. Fast alle vom Kleinen Lager waren zu schwach; sie mu?ten noch eine Zeitlang verpflegt werden. Und viele wu?ten nicht, wohin sie sollten. Ihre Angehorigen waren zerstreut und getotet; ihr Besitztum gestohlen; ihre Heimatgegend verwustet. Sie waren frei; aber sie konnten nichts damit anfangen. Sie blieben im Lager. Sie hatten kein Geld. Sie halfen die Baracken reinigen. Sie bekamen Betten und Essen; sie warteten; sie formten sich zu Gruppen.

Sie waren die, die wu?ten, da? nichts sie irgendwo mehr erwartete. Dann gab es andere, die es noch nicht glaubten. Sie gingen auf die Suche. Taglich sah man sie den Berg hinunterwandern, einen Ausweis der Zivilverwaltung und der Militarbehorde des Lagers in den Handen, um E?karten darauf zu bekommen und ein paar Ungewisse Daten im Herzen.

Es war vieles anders gekommen. Die Aussicht auf Befreiung war etwas so Ungeheures gewesen, da? die meisten nicht daruber hinausgedacht hatten. Jetzt war sie plotzlich da, und dahinter war auf einmal nicht ein Garten Eden mit Wundern, Wiederfinden, Wiedervereinigung und einem zauberhaften Zuruckrucken der Jahre in eine Zeit, die ohne Elend war – sie war da, und hinter ihr dehnte sich der Schutt der Einsamkeit, der traurigen Erinnerungen, der Verlorenheit, und vor ihr war eine Wuste und etwas Hoffnung. Sie zogen den Berg hinunter, und die Namen von ein paar Orten, ein paar Menschen, von einigen anderen Lagern, und ein blasses Vielleicht waren alles, auf das sie hofften. Sie hofften, vielleicht einen oder zwei wiederzufinden – alle, das wagte fast keiner.

»Es ist besser, wegzugehen, sobald man kann«, sagte Sulzbacher. »Es wird sich nichts andern, und je langer man bleibt, um so schwieriger wird es. Ehe wir uns versehen, sitzen wir in einem neuen Lager – fur Leute, die nicht wissen, wohin sie sollen.«

»Glaubst du, da? du es aushaken kannst?«

»Ich habe zehn Pfund zugenommen.«

»Das ist nicht genug.«

»Ich werde mich nicht anstrengen.«

»Wohin willst du?« fragte Lebenthal.

»Nach Dusseldorf. Meine Frau suchen -«

»Wie willst du nach Dusseldorf kommen? Gibt es dahin Zuge?«

Sulzbacher hob die Schultern. »Ich wei? es nicht. Aber es sind noch zwei hier, die wollen in dieselbe Gegend. Nach Solingen und Duisburg. Wir konnen zusammenbleiben.«

»Sind es alte Bekannte von dir?«

»Nein. Aber es ist doch schon allerhand, wenn man nicht allein ist.«

»Ja, das ist richtig.«

»Das meine ich auch.«

Er schuttelte den anderen die Hande. »Hast du zu essen?« fragte Lebenthal.

»Fur zwei Tage. Wir konnen uns unterwegs bei den amerikanischen Behorden melden. Irgendwie wird es schon klappen.«

Er wanderte mit den beiden, die nach Solingen und Duisburg wollten, den Berg hinab.

Einmal winkte er noch; dann nicht mehr.

»Er hat recht«, sagte Lebenthal. »Ich gehe auch. Heute abend bleibe ich schon in der Stadt. Ich mu? mit jemand sprechen, der mein Partner werden will. Wir wollen ein Geschaft aufmachen. Er hat das Kapital. Ich die Erfahrung.«

»Gut, Leo.«

Lebenthal holte ein Paket amerikanischer Zigaretten aus der Tasche und reichte es herum. »Das wird das gro?e Geschaft«, erklarte er. »Amerikanische Zigaretten. So wie nach dem letzten Kriege. Man mu? rechtzeitig einsteigen.«

Er betrachtete das bunte Packchen. »Besser als alles Geld, das sage ich euch.«

Berger lachelte. »Leo«, sagte er. »Du bist in Ordnung.«

Lebenthal blickte ihn mi?trauisch an. »Ich habe nie behauptet, da? ich ein Idealist bin.«

»Sei nicht beleidigt. Ich meine es ohne Hintergedanken. Du hast uns oft genug uber Wasser gehalten.«

Lebenthal lachelte geschmeichelt. »Man tut, was man kann. Immer gut, einen praktischen Geschaftsmann zwischen sich zu haben. Wenn ich irgendwas fur euch tun kann – wie ist es mit dir, Bucher? Willst du hierbleiben?«

»Nein. Ich warte darauf, da? Ruth etwas kraftiger wird.«

»Gut.« Lebenthal zog eine amerikanische Fullfeder aus der Tasche und schrieb etwas auf. »Hier ist meine Adresse in der Stadt. Im Falle -«

»Woher hast du den Fullfederhalter?« fragte Berger.

»Getauscht. Die Amerikaner sind verruckt nach Andenken aus dem Lager.«

»Was?«

»Sie sammeln. Andenken. Alles. Pistolen, Dolche, Abzeichen, Peitschen, Flaggen – es ist ein gutes Geschaft. Ich habe grundlich vorgesorgt. Mich eingedeckt.«

»Leo«, sagte Berger. »Es ist gut, da? es dich gibt.« Lebenthal nickte ohne Erstaunen.

»Bleibst du vorlaufig hier?« »Ja, ich bleibe hier.«

»Dann sehe ich dich noch ab und zu. Ich schlafe in der Stadt, werde aber zum Essen hier heraufkommen.« »Das dachte ich mir,« »Klar. Hast du Zigaretten genug?«

»Nein.« »Hier.« Lebenthal zog zwei ungeoffnete Packchen aus den Taschen und gab je eines an Berger und Bucher.

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