verbrannte Gerettete fort. 509 horte irgendwo Buchers Stimme. Er war also nicht tot. Es war dann doch nicht alles vergebens gewesen. Er blickte sich um. Nach einiger Zeit bemerkte er, wie neben ihm sich etwas regte. Es dauerte noch eine Weile, bis er es erkannte. Es war Weber. Er lag auf dem Bauch. Es war ihm gelungen, hinter den Totenhaufen zu kriechen, ehe Werner und seine Leute kamen. Sie hatten ihn nicht bemerkt. Er hatte ein Bein angezogen und die Arme ausgestreckt. Blut lief aus seinem Munde. Er lebte noch. 509 versuchte eine Hand zu heben. Er wollte jemand rufen; aber er war zu schwach dazu. Seine Kehle war ausgetrocknet. Nur ein Raspeln kam heraus. Das Knistern der brennenden Baracke war viel zu laut dagegen. Weber hatte die Bewegung der Hand gesehen. Seine Augen folgten ihr. Dann begegneten sie denen von 509. Beide blickten sich an. 509 wu?te nicht, ob Weber ihn erkannte. Er wu?te auch nicht, was die Augen ihm gegenuber sagten. Er spurte plotzlich nur, da? seine Augen langer aushalten mu?ten als die vor ihm. Er mu?te langer leben als Weber. Es war auf eine sonderbare Weise auf einmal unendlich wichtig – als hinge die Gultigkeit von allem, woran er in seinem Leben geglaubt, wofur er gekampft und gelitten hatte, davon ab, da? das Leben hinter seiner Stirn langer glimme als hinter der Stirn vor ihm. Es war wie ein Duell und ein Gottesurteil. Wenn er jetzt durchhielt, wurde auch durchhalten, was so wichtig fur ihn gewesen war, da? er sein Leben deswegen riskiert hatte. Es war wie eine letzte Anstrengung. Noch einmal war es in seine Hande gegeben – und er mu?te es gewinnen. Er atmete weich und vorsichtig, immer nur bis gegen die Grenze des Schmerzes. Er sah das Blut aus Webers Mund rieseln, und er fuhlte nach, ob auch er aus dem Munde blutete. Er spurte etwas, aber als er seine Hand betrachtete, war es wenig, und ihm fiel ein, da? es von seinen zerbissenen Lippen kam. Webers Augen folgten seiner Hand. Dann sahen sich beide wieder an. 509 versuchte zu denken; er wollte noch einmal finden, worauf es ankam und was es war. Es sollte ihm mehr Kraft geben. Es hatte mit dem Einfachsten im Menschen zu tun, und ohne es wurde die Welt zerstort werden, das wu?te sein mudes Gehirn noch. Durch es wurde auch das andere vernichtet werden, das absolut Bose; der Antichrist; die Todsunde gegen den Geist. Worte, dachte er. Sie sagten nur wenig. Aber wozu noch Worte? Er mu?te ausharren. Es mu?te sterben vor ihm. Das war alles. Sonderbar, da? keiner sie sah. Da? man ihn nicht sah, begriff er. Es lagen so viele Tote da. Aber der andere! Er lag ganz im Schatten des Totenhaufens, das mu?te es sein. Die Uniform war schwarz, und das Licht spiegelte nicht auf den Stiefeln. Es waren auch nicht mehr so viele Leute in der Nahe. Sie standen weiter entfernt und starrten auf die Baracken. Die Wande waren an einigen Stellen eingeschlagen. Da verbrannten viele Jahre Elend und Tod. Die vielen Namen und Inschriften. Es krachte. Die Flammen schossen hoch. Das Dach der Baracke sturzte in einem Funkenregen zusammen. 509 sah die brennenden Stucke durch die Luft fliegen. Sie schienen sehr langsam zu fliegen. Eines segelte niedrig uber den Totenhaufen, stie? gegen einen Fu?, drehte sich und fiel auf Weber. Es fiel ihm in den Nacken. Webers Augen begannen zu zittern. Rauch stieg von seinem Uniformkragen auf. 509 hatte sich vorlehnen und das Scheit beiseite schieben konnen. Er glaubte wenigstens, da? er es hatte tun konnen; er wu?te nur nicht genau, ob seine Lunge nicht verletzt war und ob ihm dann das Blut nicht aus dem Munde springen wurde. Doch das war nicht der Grund, da? er es nicht tat. Er unterlie? es auch nicht aus Rache; es ging jetzt um mehr als Rache. Und das ware eine viel zu geringe gewesen. Webers Hande bewegten sich. Der Kopf zuckte. Das Holz brannte weiter im Nacken. Die Uniform war durchsengt. Sie flackerte in kleinen Flammen. Webers Kopf bewegte sich wieder. Das brennende Scheit rutschte vorwarts. Gleich darauf begann das Haar zu kohlen. Das Scheit fing an zu zischen, das Feuer leckte um die Ohren und uber den Kopf. 509 sah nun die Augen genauer. Sie traten starker aus ihren Hohlen hervor. Das Blut quoll sto?weise aus dem Munde, der sich ohne Laut bewegte. Nichts war zu horen in dem Larm der weiter niederbrennenden Baracke. Der Kopf war jetzt nackt und schwarz. 509 starrte ihn an. Das Holzstuck brannte langsam aus. Das Blut versiegte. Alles versank. Nichts war mehr da als die Augen. Die Welt war zusammengeschrumpft auf sie. Sie mu?ten erblinden. 509 wu?te nicht, ob es Stunden oder Minuten gedauert hatte – aber die Arme Webers schienen sich, ohne Bewegung, plotzlich zu strecken. Dann veranderten sich die Augen und waren keine Augen mehr. Sie waren nur noch quallige Dinge. 509 sa? noch eine Zeitlang still. Dann stutzte er vorsichtig einen Arm auf, vorwarts – um sich naher zu schieben. Er mu?te ganz sicher sein, ehe er nachgab. Nur im Kopf fuhlte er noch Festigkeit; sein Korper war bereits ohne Gewicht und hatte zur selben Zeit das ganze Gewicht der Erde und war schon fast ohne Kontrolle. Er konnte ihn nicht vorwartsschieben. Langsam beugte er sich vor, hob einen Finger und stie? ihn gegen die Augen Webers. Sie reagierten nicht. Weber war tot. 509 wollte sich aufrecht setzen, aber er konnte jetzt auch das nicht mehr. Das Vorbeugen hatte bewirkt, was er vorher erwartet hatte. Etwas so tief von innen, als kame es aus der Erde, quoll hoch und flo? uber. Das Blut lief leicht und ohne Schmerzen. Es lief uber Webers Kopf. Es schien, als liefe es nicht nur aus dem Munde, sondern aus dem ganzen Korper, zuruck in die Erde, aus der es wie eine sanfte Fontane aufgestiegen war. 509 versuchte nicht, es zu halten. Die Arme wurden weich. Im Nebel sah er Ahasver riesengro? vor der Baracke. Er ist also doch nicht – dachte er noch, dann wurde die Erde, auf die er sich stutzte, zu Moor, und er sank ein.

Sie fanden ihn erst eine Stunde spater. Sie hatten, nachdem die gro?te Erregung voruber war, angefangen, nach ihm zu suchen. Bucher war schlie?lich auf den Gedanken gekommen, noch einmal nahe zur Baracke zu gehen und dort zu forschen, und hatte ihn dann hinter dem Haufen mit Leichen gefunden.

Er sah Lewinsky und Werner herankommen. »509 ist tot«, sagte er. »Erschossen. Weber auch.

Sie liegen beide zusammen druben.«

»Erschossen? War er denn drau?en?«

»Ja. Er war um die Zeit drau?en.«

»Hatte er den Revolver bei sich?«

»Ja.«

»Und Weber ist auch tot? Dann hat er Weber erschossen«, sagte Lewinsky.

Sie hoben ihn an und legten ihn gerade hin. Dann drehten sie Weber um.

»Ja«, erklarte Werner. »Es sieht so aus. Er hat zwei Schusse im Rucken.«

Er blickte umher und sah den Revolver. »Da ist er.« Er hob ihn auf. »Leer. Er hat ihn gebraucht.«

»Wir mussen ihn wegbringen«, sagte Bucher.

»Wohin? Es ist alles voll von Toten. Uber siebzig sind verbrannt. Mehr als hundert verletzt. La?t ihn einstweilen hier, bis Platz wird.« Werner sah Bucher abwesend an.

»Verstehst du etwas von Automobilen?«

»Nein.«

»Wir brauchen -«, Werner unterbrach sich. »Was rede ich da? Ihr seid ja vom Kleinen Lager. Wir brauchen noch Leute fur die Lastwagen. Komm, Lewinsky!«

»Ja. Verdammt schade um den da.«

»Ja -«

Sie gingen zuruck. Lewinsky sah sich noch einmal um. Dann folgte er Werner. Bucher blieb stehen.

Der Morgen war grau. Die Reste der Baracke brannten noch. Siebzig Leute waren verbrannt. Es waren mehr ohne 509 gewesen, dachte er.

Er stand lange da. Die Warme von der Baracke her war wie ein unnaturlicher Sommer.

Sie wehte uber ihn; er fuhlte sie und verga? sie wieder. 509 war tot. Es war, als seien nicht nur siebzig gestorben – als seien es ein paar hundert.

Die Obleute ubernahmen das Lager rasch. Mittags funktionierte die Kuche. Gefangene mit Waffen hielten die Eingange besetzt fur den Fall, da? die SS zuruckkommen wurde. Ein Komitee aus allen Baracken war gebildet worden und arbeitete bereits. Ein Kommando wurde aufgestellt, um so bald wie moglich Essen in der Umgebung zu requirieren.

»Ich werde Sie ablosen«, sagte jemand zu Berger.

Berger blickte auf. Er war so mude, da? er nichts mehr verstand. »Spritze«, sagte er und hielt seinen Arm hin. »Ich falle sonst um. Ich kann nicht mehr richtig sehen.«

»Ich habe geschlafen«, erwiderte der andere. »Ich werde Sie jetzt ablosen.«

»Wir haben fast keine Anasthetika mehr. Wir brauchen sie dringend. Sind die Leute noch nicht von der Stadt zuruck? Wir haben zu den Hospitalern geschickt.«

Professor Swoboda aus Brunn, Gefangener der tschechischen Abteilung, sah, was los war. Ein todmuder Automat arbeitete da mechanisch weiter. »Sie mussen jetzt schlafen gehen«, sagte er lauter.

Bergers entzundete Augen blinzelten. »Jaja«, erklarte er und beugte sich wieder uber den verbrannten Korper.

Swoboda nahm ihn beim Arm. »Schlafen! Ich lose Sie ab! Schlafen mussen Sie!«

»Schlafen?«

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