»Ja, schlafen.«

»Gut, gut. Die Baracke -« Berger wachte einen Augenblick auf. »Die Baracke ist verbrannt.«

»Gehen Sie in die Kleiderkammer. Da sind ein paar Betten fur uns fertig gemacht.

Gehen Sie dahin schlafen. Ich werde Sie in einigen Stunden wieder wecken.«

»Stunden? Ich werde nicht aufwachen, wenn ich nicht stehenbleibe. Ich mu? noch – meine Baracke -, ich mu? sie -«

»Kommen Sie!« sagte Swoboda energisch. »Sie haben genug getan.«

Er winkte einem Helfer. »Bringt ihn in die Kleiderkammer. Da sind ein paar Betten fur Arzte.«

Er nahm Berger beim Arm und drehte ihn um. »509«, sagte Berger, halb im Schlaf.

»Jaja, gut«, erwiderte Swoboda, der nichts davon verstand. »509, naturlich. Alles in Ordnung.«

Berger lie? sich den wei?en Kittel abnehmen und sich hinausfuhren. Die Luft drau?en traf ihn wie eine schwere Wasserwelle. Er taumelte und blieb stehen. Das Wasser sturzte immer noch uber ihn.

»Mein Gott, ich habe ja operiert«, sagte er.

Er starrte den Helfer an. »Naturlich«, erwiderte der. »Was sonst?«

»Ich habe operiert«, wiederholte Berger.

»Aber naturlich. Erst hast du verbunden und Ol und so was geschmiert, und dann hast du auf einmal mit dem Messer losgelegt. Zwei Spritzen und vier Tassen Kakao hast du zwischendurch gekriegt. Sie konnten dich verdammt gut gebrauchen. Bei dem Ansturm!«

»Kakao?«

»Ja. Das haben die Kerle alles fur sich gehabt. Kakao, Butter und Gott wei? was noch!«

»Operiert. Wirklich operiert«, flusterte Berger.

»Und wie! Hatte ich nie geglaubt, wenn ich es nicht selbst gesehen hatte. Bei deinem Gewicht!

Aber jetzt mu?t du mal ein paar Stunden auf die Matratze. Du kriegst ein richtiges Bett. Von einem Scharfuhrer! Piekfein! Komm.«

»Und ich dachte -«

»Was?«

»Ich dachte, ich konnte es nicht mehr -«

Berger besah seine Hande. Er drehte sie um und lie? sie fallen. »Ja -«, sagte er.

»Schlafen -«

Der Tag war grau. Die Erregung wuchs. Die Baracken summten wie Bienenkorbe. Es war eine sonderbare Zeit der Ungewi?heit, einer unfreien Freiheit, ubersturzt von Hoffnung, Geruchten und gedrangter dunkler Furcht. Immer noch konnten SS-Kommandos zuruckkommen oder organisierte Hitlerjugend. Die im Depot gefundenen Waffen waren zwar verteilt – aber ein paar ausgerustete Kompanien hatten dem Lager einen schweren Kampf bereiten konnen; und mit einiger Artillerie hatte man es beliebig zusammenschie?en konnen.

Die Toten waren zum Krematorium hinubergebracht worden. Es gab keine andere Moglichkeit: Man mu?te sie dort aufeinanderhaufen wie Feuerholz. Das Hospital war uberfullt.

Am fruhen Nachmittag wurde plotzlich ein Flugzeug gesichtet. Es kroch aus den niedrigen Wolken hinter der Stadt.

Die Gefangenen gerieten in Aufruhr.

»Zum Appellplatz! Jeder zum Appellplatz, der laufen kann!«

Zwei andere Flugzeuge tauchten durch die Wolken. Sie zirkelten und folgten dem ersten.

Die Motoren drohnten. Tausende von Gesichtern starrten in den Himmel.

Die Flugzeuge kamen rasch heran. Die Obmanner hatten einen Teil der Leute aus dem Arbeitslager zum Appellplatz gebracht. Sie formierten sie dort in zwei langen Reihen, die ein riesiges Kreuz bildeten. Lewinsky hatte Bettucher aus der Kaserne besorgt, und an den Enden der Kreuzbalken hielten je vier Gefangene ein Tuch und schwenkten es.

Die Flugzeuge waren jetzt uber dem Lager und umkreisten es. Sie kamen tiefer und tiefer.

»Da!« schrie jemand. »Die Flugel! Wieder!«

Die Gefangenen schwenkten die Tucher. Sie schwenkten die Arme. Sie schrieen in das Rohren der Motoren. Viele rissen ihre Jacken ab und schwenkten sie. Die Flieger kamen noch einmal sehr tief herunter. Die Flugel gru?ten wieder. Dann verschwanden sie.

Die Menge drangte zuruck. Sie blickte immer wieder zum Himmel auf. »Speck «, sagte jemand.

»Nach dem Krieg 1914 gab es Speckpakete von Ubersee -«

Dann sahen sie plotzlich, unten auf der Stra?e, niedrig und gefahrlich, den ersten amerikanischen Panzer.

XXV

Der Garten lag in silbrigem Licht. Veilchen dufteten. Die Obstbaume an der Sudwand standen, als seien sie uberflogen von rosa und wei?en Schmetterlingen.

Alfred ging voran. Drei Mann folgten. Sie gingen leise. Alfred deutete auf den Stall.

Die drei Amerikaner verteilten sich lautlos.

Alfred stie? die Tur auf. »Neubauer«, sagte er. »Kommen Sie 'raus!«

Ein Grunzen antwortete aus der warmen Dunkelheit. »Was? Wer ist da?«

»Kommen Sie 'raus.«

»Was? Alfred – ist das Alfred?«

»Ja.«

Neubauer grunzte wieder. »Verdammt! Schwer gepennt! Getraumt.« Er rausperte sich.

»Blodsinn getraumt. Sagtest du 'raus zu mir?«

Einer der Soldaten war gerauschlos neben Alfred getreten. Eine Taschenlampe blitzte auf. »Hande hoch! Kommen Sie heraus!«

Im fahlen Kreis des Lichtes sah man ein Feldbett, auf dem Neubauer halb ausgezogen sa?. Er glotzte, aus puffigen Augen zwinkernd, in den scharfen Kreis. »Was?« sagte er verquollen. »Was ist das? Wer sind Sie?«

»Hande hoch!« sagte der Amerikaner. »Sie hei?en Neubauer?«

Neubauer hob halb die Hande und nickte.

»Kommandant des Konzentrationslagers Meilern?«

Neubauer nickte wieder.

»Kommen Sie 'raus!«

Neubauer sah die dunkle Mundung der automatischen Pistole auf sich gerichtet. Er stand auf und hob die Hande so rasch hoch, da? die Finger gegen die niedrige Decke des Schuppens stie?en.

»Ich bin nicht angezogen.«

»'raus!«

Neubauer kam zogernd heran. Er war in Hemd; Hose und Stiefeln. Grau und verschlafen stand er da. Einer der Soldaten tastete ihn rasch ab.

Neubauer sah Alfred an. »Du hast sie hierher gefuhrt?«

»Ja.«

»Judas!«

»Sie sind kein Christus, Neubauer«, erwiderte Alfred langsam. »Und ich bin kein Nazi.«

Der Amerikaner, der im Schuppen gewesen war, kam zuruck. Er schuttelte den Kopf.

»Vorwarts«, sagte der, der deutsch sprach. Er war ein Korporal.

»Kann ich meinen Rock anziehen?« fragte Neubauer. »Er hangt im Schuppen. Hinter dem Kaninchenstall.«

Der Korporal zogerte einen Augenblick. Dann ging er und kam mit einer l Ziviljacke wieder.

»Nicht die, bitte«, erklarte Neubauer. »Ich bin Soldat. Meine Uniformjacke, bitte.«

»Sie sind kein Soldat.«

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