Die Klone lagen als schwarze, verkohlte Masse da. Aus der Augenhohle des einen ragte ein kleiner, goldener Pfeil — ich glaubte, dass er aus Alex’ Armbanduhr entstanden war, die plotzlich ihre Form verandert und sich gestreckt hatte.

Und meine Beine trugen mich zum Rand der Plattform. Der Befehl der toten Psychopatin Alla Neige wirkte noch immer! Ich schaute mich um — Stasj beugte sich uber Alex, Natascha lag bewegungslos. Sie hatte Gluck. Offensichtlich hatte sie vor Schreck das Bewusstsein verloren.

Ich will nicht!

Jetzt will ich auf gar keinen Fall! Es ist doch letztendlich alles gut ausgegangen!, dachte ich.

Der Putsch ist misslungen! Die Menschen werden normal! Frau Prasidentin Snow wird ergriffen und aufgehangt! Ich will nicht in das Losungsmittel springen, ich bin lebendig, ich bin ein guter Mensch, ich mochte in die Schule gehen, Fu?ball spielen und Trickfilme schauen! Nein!

Ich klammerte mich an das Gelander am Rand der Plattform. Unter mir schwammen drei graue, trube Wolken… und ein dunner, vor meinen Augen schrumpfender und sich auflosender Rollstuhl in einem riesigen, mit klarer Flussigkeit gefullten Keramikkessel.

Ich will nicht!

Meine Fu?e schritten uber den Rand und ich schloss die Augen.

Ein starker Ruck warf mich zuruck auf die Plattform. Stasj beugte sich uber mich, und ich las ihm entweder von den Lippen ab oder spurte ganz einfach seinen Befehl: »Nicht nach unten springen!«

Die Welt fullte sich wieder mit Stimmen. Der junge Phag Alex weinte und schluchzte leise. Stasj schrie durch die Werkhalle: »Nicht springen! Hort nicht auf diese Hexen! Nicht springen! Niemand unterwirft sich dummen Befehlen!«

»Ist das kein dummer Befehl?«, flusterte ich.

Stasj entspannte sich und verstummte. Ich wurde kurz von ihm umarmt. Er roch nach irgendeiner Saure.

»Was hast du ausgespuckt?«, fragte ich.

»Ein Metalllosungsmittel«, erwiderte Stasj. »Unschadlich fur organische Stoffe.«

Er stutzte Natascha, die langsam ihr Bewusstsein wiedererlangte und sich reckte. Er zog sie vom Rand weg, legte sie neben Lion und Alex und befahl: »Nicht in den Kessel springen! Ruhig liegen!«

Schwankend ging ich auf ihn zu. Stasj kummerte sich um Alex — im Bauch des Jungen befand sich ein schwarzes ausgebranntes Loch, sein Gesicht war mit Schwei?tropfen bedeckt. Er schien Stasj nicht wahrzunehmen und murmelte: »Die Kinder zuruckhalten… der Befehl wirkt… sie werden springen…«

»Ich habe sie schon zuruckgehalten…«, flusterte Stasj beruhigend. »Halt aus, Praktikant… Tikkirej! Die Warter haben an der Hufte rechts eine Erste-Hilfe-Tasche!«

»Sofort…« Ich eilte zu den willenlosen Korpern. Schadenfroh trat ich den am nachsten Liegenden und drehte ihn auf die Seite. Ich holte das Erste-Hilfe-Packchen aus der Tasche und brachte es Stasj.

Stasj offnete das Futteral und spritzte Alex nacheinander einige Ampullen. Er entnahm ein breites Metallarmband und legte es ihm um den Arm. Auf dem Armband blinkte ein rotes Alarmlampchen.

»Halt aus«, bat Stasj. »Gib dich nicht auf.«

»Stasj…«, machte ich auf mich aufmerksam.

»Was ist?«

»Semetzki… musste er sehr leiden?«

Stasj schwieg lang. Dann sagte er: »Als er an mir vorbeiraste, konnte ich ihm in die Augen schauen. Er war bereits tot, Tikki. Er starb, als er auf volle Geschwindigkeit schaltete und sich mit seinem Rollstuhl todesmutig auf den Feind sturzte.«

»Woran ist er gestorben?«

»Am Alter. Er war doch schon uralt und im vergangenen Monat hat er ein sturmisches Leben gefuhrt… Tikkirej! Lauf durch die Gebaude des Kosmodroms! Such ein Lazarett, und wenn du dort Arzte findest, die nicht eingeschlafen sind, bring sie her! Mit Tragen und einer Reanimationseinheit. Kannst du dir das merken?«

»Ja!«, rief ich. Vielleicht hat mich Stasj ja doch wegen Semetzki angelogen. Aber ich wollte dem nicht auf den Grund gehen.

In diesem Augenblick offnete Alex die Augen. Er schaute mich benebelt an und flusterte: »Unglucksrabe…!«

»Selber einer!«, erwiderte ich frohlich.

»Ich bin… schon funfzehn. Stasj… bekomme ich das Testat?«

»Wenn du nicht stirbst, hast du das Testat bestanden«, bestimmte Stasj. »Klar? Anderenfalls scheidest du postum aus. Ein Toter kann nicht Phag werden!«

»Ich werde mich bemuhen«, hauchte Alex und leckte sich die Lippen.

Stasj schaute mich an und verzog das Gesicht. »Du bist noch hier?«

»Stasj… und das macht nichts, dass ich der Klon eines Tyrannen bin?«

»Du wirst gleich ein wegen Befehlsverweigerung verhafteter Klon eines Tyrannen sein!« Auf einmal verstummte Stasj. Offensichtlich wurde ihm klar, wie wichtig das fur mich war. »Es macht nichts, Tikki. Der Mensch — das ist nicht nur das Genom. Aber jetzt beeile dich bitte. Alex ist schwer verwundet.«

Ich lief wie der Wind. Als ich an den Wartern vorbeikam, beugte ich mich nach unten und zog einem von ihnen einen Militarblaster aus dem Arm. Weiter lief ich mit der Waffe in der Hand durch die Korridore des Dienstbereichs.

Dort stie? ich auf einen erschrockenen uniformierten Jungling mit einem Strahlenkarabiner. Er erblickte mich, machte gro?e Augen und hob seine Waffe.

»Wirf dein Spielzeug weg! Sonst rei?e ich dir die Hande ab!«, schrie ich.

Der junge Mann erbebte und lie? den Karabiner fallen.

»Wo ist das Lazarett? Wei?t du das?«

»J-Ja…«, antwortete er stotternd.

»Fuhr mich hin!«

»Das ist das Imperium, ja? Werde ich erschossen?«

»Wenn du schwatzt — auf jeden Fall!«, brullte ich ihn an. »Ins Lazarett, schnell! Du wirst mir helfen, die Tragen zu schleppen.«

»Und wer bist du?«, wollte der Soldat wissen, wobei er auf den Blaster in meiner Hand schielte.

»Ein Phag!«

Er zog den Kopf ein und trabte den Korridor entlang. Ich folgte ihm.

»Ich wurde gezwungen!«, rechtfertigte sich der junge Mann beim Laufen. »Alle sind gegangen, also auch ich. Ich war immer fur den Imperator! Fur Inej sind wir nur Kanonenfutter…«

Also hatte die verruckte alte Schnee Unrecht, als sie von der Bevolkerung als »Masse« und »Vieh« sprach.

Warum nur sind so viele mit Leichtigkeit damit einverstanden, zu eben dieser Masse zu werden?

»Du wurdest gezwungen — dann lass dich nicht zwingen«, erwiderte ich und bemuhte mich, nicht au?er Atem zu geraten. »Alle gehen — und du bleibst. Klar? Denke selbst! Handle nach deinem Gewissen! Ube keinen Verrat! Sei nicht feige! Mach dich nicht zur Masse!«

Irgendwo au?erhalb des Gebaudes krachte es. Die Raumschiffe mit den Luftlandetruppen des Imperiums trafen ein. Epilog Das Licht in der Bar schien ungewohnlich grell. Was nicht verwunderlich war, denn sie beherbergte keinen einzigen Gast, und der Barkeeper, mit einem Staubsauger bewaffnet, reinigte den Teppichboden zwischen den Tischen.

Als ich eintrat, schaltete er sofort den Staubsauger aus und zog ihn hinter den Tresen. Noch auf dem Weg hob der Barkeeper die Augenbrauen und sah genauer hin. Und als ich den Tresen erreichte, staunte er mich frohlich an.

»Du bist doch der Junge, der sich als Modul verpflichtet hat!« Und sofort fragte er vorsichtig: »Wie geht’s?«

»Alles in Ordnung, das Gehirn trocknet nicht so schnell ein«, antwortete ich. »Milchshake bitte. Einen echten. Sie mussten doch echte Milch haben. Zwei Shakes.«

Der Barkeeper nickte achtungsvoll und holte aus dem Kuhlschrank ein Flaschchen mit echter Kuhmilch. Er zeigte mir das Zertifikat auf dem Flaschenhals, offnete den Deckel und goss die Milch in den Mixer.

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