Jetzt verschwanden von meinem Abbild samtliche Muskeln. Ubrig blieben die Knochen und die inneren Organe. Ich krummte mich und fuhlte eine aufsteigende Ubelkeit.

»Tut dir oft der Magen weh?«, erkundigte sich der Arzt.

»Nein, niemals.«

»Warum lugst du? Man sieht es ja doch… Pawel! Hast du ihm etwa Wodka eingeflo?t?«

»Das ist so ublich. Wir haben ein Glaschen miteinander getrunken.«

»Eine Mannschaft von Schwachsinnigen… Junge, gab es bei dir positive Mutationen?«

»Ja. Den Komplex Inferno.«

Ich hielt die Augen geschlossen und horte, wie Anton dem Altesten erklarte: »Siehst du, dass die Organe des Immunsystems vergro?ert sind? Die Nieren sind fur die Ausschwemmung von Nukliden ausgelegt, Schilddruse und Hoden geschutzt. Der Junge kann ziemlich gut mit Radioaktivitat leben. Und auch die ublichen Kleinigkeiten — ein ganzlich von Lymphgewebe ausgefullter Blinddarm, ein verstarktes Herz…«

»Anton, mir wird gleich ubel. Erspare mir den Anblick eines skelettierten Kindes!«

»Wie du willst…«

Ich offnete wieder die Augen und schaute auf mein eigenes Skelett. Das war mir recht sympathisch, wirkte aber ziemlich mickrig.

»Hattest du dir die Hand gebrochen?«, fragte der Arzt.

»Die rechte«, bestatigte ich. In meinem Gesundheitspass gab es daruber schon keine Eintragung mehr, und ich hatte darauf gehofft, dass niemand davon erfahren wurde.

»Nicht so schlimm, ist ganz gut zusammengewachsen«, beruhigte mich Anton. Er nahm sich einen Handdetektor, kam naher und untersuchte mich mit dem Schallkopf, ohne einen Blick auf den Screen zu werfen.

»Annehmbar?«, interessierte sich der Alteste. Er sa? im frei gewordenen Sessel, trank bedachtig Antons Getrank aus und rauchte eine Zigarette.

»Der Korper ist in Ordnung«, gab Anton zu, »jetzt prufen wir den Shunt auf Durchgangigkeit… Wann warst du das letzte Mal auf Toilette, mein Junge?«

»Ha?«, ich verstand den Zusammenhang nicht.

Anton zog eine Grimasse: »Okay, vielleicht bleibt es ihm erspart.«

»Sicher bleibt es ihm erspart«, bekraftigte der Alteste frohlich.

Anton fasste mich kraftig unter die Oberarme, hob mich hoch und empfahl: »Halt es zuruck!«

Das Kommando gab er sicherlich uber seinen Shunt. Ich verlor namlich sofort das Bewusstsein. Als ich nach einem Augenblick wieder zu mir kam, tat mein Kopf weh und die Hande zitterten leicht. Anton hielt mich noch immer fest. Meine Beine waren nass und uber den Boden kroch eine Reinigungsschildkrote, die ab und zu an meine Hacken stie?.

Ich hatte mich bepinkelt!

»Geh duschen, diese Tur da«, sagte mir Anton. »Wasch dich und zieh dich an.«

Er verzog zwar das Gesicht, war mir aber anscheinend nicht bose. Ich nahm meine Sachen und verschwand im Bad, rot wie ein Krebs und davon uberzeugt, dass nun alles zu Ende sei.

Ein schones Modul, bei dem die Schlie?muskeln nichts aushalten… Unter der Dusche dachte ich traurig, dass ich besser gleich verschwinden sollte, ohne mich noch einmal bemerkbar zu machen.

Ich ging aber doch zuruck.

Anton sa? wieder in seinem Sessel, das Kofferchen war verstaut, uber die Wande liefen kunstliche bunte Verzierungen. Der Alteste rauchte. Der Boden war sauber und trocken.

»Verzeihung«, murmelte ich.

»Ich bin ja selber schuld«, au?erte Anton plotzlich, »hatte dich zu lange unter Spannung.«

»Lange?«, fragte ich irritiert.

»Eine Viertelstunde. Es waren zu interessante Werte. Du hast nicht vierundachtzigeinhalb, wie es im Attest steht, sondern neunzig Komma sieben. Hervorragende Werte. Damit wirst du in die Kriegsflotte aufgenommen, Abteilung Pilot und Raumschiffkapitan.«

Der Alteste schien meine Angst zu verstehen.

»Aber wir nehmen dich doch, wir nehmen dich«, sagte er, »wenn du unbedingt willst, bist du als Modul eingestellt.«

»Obwohl ich empfehlen wurde, das Gehirn zu schonen«, bemerkte Anton. »Verstehst du, mein Freund, die Stirnhirnlappen sind nicht fur den Dauerbetrieb geschaffen. Sie… wie soll ich das ausdrucken… schlafen ein. Sie fangen an zu faulenzen. Mit allen unangenehmen Folgen…«

Plotzlich fing er an zu lachen. Ich ahnte den Grund und wurde wieder rot.

»Zusammengefasst, ich wurde dir abraten«, fuhr Anton schon ernster fort, »ehrlich. Aber wenn du darauf bestehst, nehmen wir dich mit Kusshand. Wir brauchen immer Module.«

»Ich… ich bin bereit.«

»Musst du noch irgendwelche Dinge regeln?«, fragte mich der Alteste.

»Ja.«

Ich konnte ja nicht ahnen, dass sich alles so schnell entscheiden wurde!

»Dann komm morgen fruh hierher. Wir starten am Abend… Wobei dir das eigentlich egal sein kann.«

Ich nickte und zog mich zur Tur zuruck.

»Warte!«, rief Anton plotzlich. »Ich mochte dir noch eine Sache erklaren, mein Junge. Jetzt unterhalten wir uns mit dir, und das ist fur uns angenehm, denn du bist ein kluger, tapferer Kerl. Der durchaus unser Kollege werden konnte… unser echter Kollege. Wenn du aber ein Modul wirst, wird sich alles verandern. Wir werden uns dir gegenuber vollig anders verhalten. Auch wenn du dir nach der ersten Reise das Kosmodrom des anderen Planeten anschauen wirst, noch frohlich, neugierig und interessiert. Wir werden uns mit dir dann nicht mehr unterhalten, Spa?e machen und lachen. Wir haben namlich Hunderte von solchen wie dich gesehen, am Anfang noch klug, mutig und gut. Und wenn man euch wie normalen Menschen begegnen wurde, nachdem ihr an den Dauerbetrieb angeschlossen wart, dann wurden das die starksten Nerven nicht aushalten.«

Ich fuhlte mich wie nach einem Schlag ins Gesicht. Ich wurgte an einem nicht existenten Brocken im Hals, denn ich mochte den Altesten und sogar den gemeinen, fiesen Arzt.

Jetzt jedoch sahen sie mich sehr ernsthaft an und…

Genau wie ich die Eltern, als sie mir vom »Haus des Abschieds« erzahlten.

»Als Mannschaftsmitglied und Miteigentumer des Raumschiffs, der damit seinen Lebensunterhalt verdient, mochte ich dich sehr gern als Modul anwerben«, sagte der Alteste und hustelte, »aber als Mensch, der selbst Sohne gro?zieht, wurde ich dir nicht zuraten.«

»Ich komme«, flusterte ich.

»Hier, nimm!« Der Alteste kam auf mich zu und gab mir einige zusammengeheftete Blatter.

»Das ist unser Arbeitsvertrag fur Module. Es ist ein Standardvertrag, genau wie er von der Gilde empfohlen wurde. Lies ihn dir trotzdem sorgfaltig durch. Alles Weitere ist dann deine Entscheidung.«

Ich nahm den Vertrag an mich und verlie? den Raum. In meinem Kopf summte es und die Haut uber dem Ohr um den Shunt herum juckte ein wenig. Das kam von der Aufregung.

Au?erdem war mir unheimlich, dass sowohl der Alteste als auch der Arzt ehrlich zu mir gewesen waren. Dass sie gute Menschen waren.

Dass ich vorhatte, sie alle zu betrugen.

Kapitel 2

Lediglich Gleb begleitete mich zum Abschied.

Schwanzte die Schule und kam mit.

Bis zur letzten Minute nahm er mich nicht ernst, obwohl er die leere Wohnung gesehen hatte, aus der das stadtische Mobiliar abgeholt und alles, was den Eltern gehorte, in einem kleinen Container im Keller eingelagert war.

»Du bist geisteskrank«, stie? Gleb aus, als der Bus zum Kosmodrom einbog. Er begann mir zu glauben.

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