ihrer zerfetzten Kleidung und mit ihren zerschundenen Korpern, am Boden und bettelten um Gnade, bettelten darum, am Leben gelassen zu werden. Aber sie fanden kein Mitleid, nur Hohn und Spott. Und das hei?e Blei, das ihre Lebensadern durchschnitt.

In Urillas Kopf hallten die Schusse wider, die ihre Familie ausgeloscht hatten. So laut wie eben die Schusse, die Billy Calhoun getroffen hatten.

»Morder!« schrie Urilla und warf sich erneut auf den Trapper, fuhr mit ihren Fingernageln durch sein Gesicht.

Der kraftige Mann schuttelte sie ab wie ein lastiges Insekt und fuhr mit der Linken durch sein zerkratztes Antlitz. Als er das Blut an seiner Hand sah, verzerrte sich das ha?liche Gesicht vor Wut, und er fletschte seine schlechten, fauligen Zahne. Er stie? die Rechte mit dem Revolver vor und schwenkte die Mundung auf Urilla, die uber eine Wagendeichsel gestolpert war und am Boden kniete.

»Was fallt dir ein, du dumme Hure!« stie? der Mann wutend hervor und spannte den Hahn.

Vielleicht ist es besser so, dachte Urilla, als der Schu? krachte. Dann ist dieses Leben endlich vorbei!

Sie starrte ihren Peiniger an und wartete vergeblich auf den Einschlag der Kugel, auf den rasenden Schmerz, der das Ende ankundigte.

Erstaunt beobachtete sie statt dessen, wie sich das Gesicht des Trappers verzerrte. Erst beherrschte Verwunderung die rauhen Zuge, dann Schmerz und Panik.

Laut stohnend drehte er sich um, den 44er noch immer in der Rechten.

Da fiel ein zweiter Schu?.

Der Trapper erbebte unter dem Einschlag der Kugel und stolperte nach hinten, auf Urilla zu.

Jetzt erst registrierte sie, da? nicht er geschossen hatte, sondern jemand, der zwischen den Planwagen im Halbdunkel der Abenddammerung verborgen war.

Als der Mountain Man mit dem Rucken gegen den Prarieschoner stie?, loste sich endlich der Schu? aus seinem Kerr-Revolver. In dem Moment fiel ihm die Waffe auch schon aus der Hand. Die Kugel fuhr in den Boden und wirbelte eine kleine Erdfontane auf.

Noch einmal versuchte sich der Trapper aufzurichten. Aber der Versuch mi?lang. Mit einem gurgelnden Laut auf den aufgerissenen Lippen sturzte er lang hin und lag dann ebenso reglos zwischen den Wagen wie Billy Calhoun.

Urilla kniete noch neben der Deichsel und begriff erst allmahlich, da? sie Gevatter Tod noch einmal entkommen war. Vorsichtig legte sie ihre Hande auf den nackten Bauch und strich uber das werdende Leben in ihrem Leib.

Ich lebe! dachte sie voller Freude. Wir leben!

Schritte lenkten sie ab. Zwischen den Wagen trat eine gro?e dunkle Gestalt hervor. Ihre Konturen wurden nur langsam in dem schwindenden Restlicht erkennbar, das die bereits hinter der Cascade Range verschwundene Sonne noch ausstrahlte. Die gro?e, hagere, leicht nach vorn gebeugte Gestalt wirkte wie ein riesiger Raubvogel. Wie ein Aasgeier, der sich auf den am Boden liegenden Trapper sturzen wollte.

Der Aasgeier war ein Mann, der sich deshalb nur schwer vom immer mehr verblassenden Dammerlicht abhob, weil er ganz in Schwarz gekleidet war, vom Hut, uber Mantel, Jacke und Hose bis zu den Stiefeln und Lederhandschuhen. Nur der Hemdkragen unter dem langen schmalen Hals bildete eine wei? leuchtende Ausnahme. Der Mann wirkte in seinem Aufzug wie ein Geistlicher, aber dazu pa?te nicht der gro?e Revolver in seiner Rechten, aus dessen Mundung Rauch nach oben stieg, um sich in der Luft krauselnd aufzulosen.

Urilla hielt den Mann fur ihren Retter, und doch angstigte sie sein Anblick. Er wirkte wie der wandelnde Tod mit dem schmalen, eingefallenen Gesicht, dessen Augen so tief in den Hohlen lagen, da? sie kaum zu sehen waren. Aber doch! Sie waren von seltsam rotlicher Farbe, wie es Urilla noch nie gesehen hatte. Dieses rotliche Leuchten strahlte aus den Augenhohlen und erinnerte sie an das Fegefeuer.

Urilla vermochte nicht genau zu sagen, wie alt der Fremde war. Das faltige Gesicht wirkte nicht mehr jung, eher wie das eines Mannes, der die Funfzig langst uberschritten hatte. Aber vielleicht hatten die seltsam gluhenden Augen auch schon viele Dinge gesehen, die den Mann vorzeitig hatten altern lassen.

Jedenfalls machte die bedachtige Art, mit der er sich Urilla naherte, ganz diesen Eindruck. Das blutige Drama, das so plotzlich uber diesen Ort hereingebrochen war, schien ihn nicht im geringsten aus der Fassung zu bringen.

Er blieb neben dem Trapper stehen und beugte sich uber ihn. Den Revolver mit dem zuruckgezogenen Hahn hielt er auf die bewegungslose Gestalt gerichtet, wahrend er sie vorsichtig mit der freien Hand umdrehte.

»Tot«, stellte der Fremde ohne eine Gefuhlsregung uberflussigerweise fest.

Auch Urilla sah sofort, da? dem jungen Trapper nicht mehr zu helfen war. Eine Kugel war ihm in die Brust gedrungen, die andere in den Kopf. Mitten auf seiner Stirn klaffte ein gro?es rotes Loch, das wie ein drittes Auge wirkte.

Zitternd erhob sich Urilla, sich an Vorderrad und Fahrerkasten des Prarieschoners hochziehend.

Der Fremde steckte den Sechsschusser zuruck in das schwarzlederne Holster an seiner rechten Seite und zog seinen schwarzen Mantel aus.

»Sie sollten sich etwas uberziehen«, sagte er mit einer gefuhllosen Stimme, die zu dem seltsamen Mann pa?te.

Zogernd lie? es Urilla zu, da? er den Mantel um sie legte. Bis jetzt war sie sich ihrer Blo?e gar nicht bewu?t gewesen, so hatten sie das Geschehen und das uberraschende Auftauchen des seltsamen Fremden mitgenommen.

Sie hielt den Mantel vor ihrer nackten Brust mit einer Hand zusammen und zeigte mit der anderen Hand auf den Wagen, neben dem Billy Calhoun lag.

»Was ist mit Billy?«

»Ein Freund von Ihnen?« fragte der Fremde.

Urilla nickte und sagte: »Billy wollte mir helfen.«

Mit langen Schritten ging der Fremde zu ihm und zog Billys Oberkorper unter dem Wagen hervor.

Wahrenddessen schickte Urilla ein stilles Sto?gebet gen Himmel, der Schu? moge nicht todlich gewesen sein.

Ihr Gebet wurde nicht erhort.

»Ihrem Freund ist leider nicht mehr zu helfen, Ma'am«, sagte der Fremde, als er sich wieder aufrichtete. »Die Kugel hat ihn dicht neben dem Herzen getroffen. Der Herr in seiner unerforschlichen Weisheit hat ihn zu sich genommen. Die Seele dieses Jungen.«

Weiter kam er nicht. Die von den Schussen alarmierten Menschen drangten sich zwischen die Wagen.

Urilla dachte an den jungen Halbindianer und brach in Tranen aus.

*

Atemlos lief Martin zu Urilla, nahm sie fest in die Arme und strich trostend uber ihr lockiges Haar. Als sich der umgelegte Mantel ein Stuck offnete und er das zerfetzte Kleid sah, ahnte er, was sich abgespielt hatte.

»Wer hat das getan?« fragte er zwar mit leiser Stimme, aber dennoch in einem Tonfall, der seine Erregung und seinen Zorn deutlich hervortreten lie?.

Urilla wollte antworten, aber sie konnte es nicht. Der Gedanke an das, was beinahe mit ihr und ihrem ungeborenen Kind geschehen ware, und der Gedanke, da? Billy Calhoun fur sie gestorben war, hatten sie uberwaltigt. Ihre aufgewuhlten Gefuhle brachen sich Bahn und lie?en nichts anderes zu als hemmungsloses Weinen.

Martins suchende Augen hefteten sich an dem schwarzgekleideten Fremden fest.

»Haben Sie etwas mit der Sache zu tun, Mister?« fragte der junge Deutsche grimmig.

Der raubvogelhafte Mann nickte. »Das habe ich in der Tat.«

»Was haben Sie Urilla angetan?« stie? Martin mit bebender Stimme hervor.

»Ich habe ihr meinen Mantel gegeben, um ihre Blo?e zu bedecken. Und ich kam gerade noch rechtzeitig, um zu verhindern, da? dieser Lump Ihre Frau erscho?.«

Der Fremde zeigte mit dem behandschuhten Finger auf die Leiche des jungen Trappers.

Martins Blick und die Blicke der ubrigen Siedler richteten sich auf den Toten.

»Sie haben den Trapper erschossen, Mister?« fragte Jacob, der zusammen mit Martin als einer der ersten bei den Planwagen angekommen war.

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