Kabinett. Ich fragte nach seinem Namen, er hatte ihn nicht nennen wollen.

Ich trat ein und erkannte Herrn de Faverne.

Er war bleich und ebenso aufgeregt wie am Morgen; ein Buch, das er zu lesen versucht hatte, lag offen auf dem Schreibtisch.

»Nun«, fragte ich, »es geht Ihnen schlechter?«

»Ja«, antwortete er, »sehr schlecht; es ist mir ein furchtbares Ereignis, ein gräßliches Abenteuer begegnet, und ich bin hierhergelaufen, um es Ihnen zu erzählen.

Hören Sie, Doktor, seitdem ich mich in Paris aufhalte, seit ich das Leben führe, das Sie kennen, sind Sie der einzige Mensch, der mir volles Vertrauen eingeflößt hat; ich komme auch, wie Sie sehen, nicht um von Ihnen ein Mittel dagegen zu verlangen; Sie haben mir gesagt, es gebe keines, und während ich Sie rufen ließ, wußte ich wohl, daß es keines gibt, sondern ich wünschte einen Rat von Ihnen zu erhalten.«

»Ein Rat ist viel schwieriger zu geben als eine Verordnung, mein Herr, und ich gestehe Ihnen, daß ich nur sehr selten einen erteile.

Einmal verlangt man im allgemeinen nur einen Rat, um sich selbst in dem Entschluß zu bestärken, den man schon gefaßt hat, oder wenn man, noch unentschieden über das, was man tun soll, den gegebenen Rat befolgt, so tut man es, damit man eines Tages das Recht hat, zum Ratgeber zu sagen: Daran sind Sie schuld.«

»Es ist etwas Wahres an Ihrer Bemerkung, Doktor; doch wie ich glaube, daß ein Arzt nicht berechtigt ist, eine Verordnung zu verweigern, glaube ich ebenso nicht, daß ein Mensch befugt ist, einen Rat zu verweigern.«

»Sie haben recht, ich weigere mich auch nicht, Ihnen einen Rat zu geben, Sie werden mir nur das Vergnügen machen, ihn nicht zu befolgen.«

Ich setzte mich nun zu ihm, doch statt mir zu antworten, ließ er den Kopf sinken und stützte ihn auf die Hände. Wie vernichtet saß er da.

»Nun?« fragte ich nach einem Augenblick Stillschweigen.

»Nun«, erwiderte er, »am klarsten bei dem allem ist mir, daß ich verloren bin.«

Es lag in diesen Worten ein solcher Ausdruck der Überzeugung, daß ich bebte.

»Verloren, Sie? Und wie das?« fragte ich.

»Ich bin sicher, sie wird mich verfolgen, sie wird jedem sagen, wer ich bin, sie wird meinen wahren Namen in allen Straßen ausschreien.«

»Wer wird Sie verfolgen?«

»Sie, bei Gott!«

»Sie? Wer sie?«

»Marie!« »Wer ist Marie?«

»Ach ja, das können Sie nicht wissen; eine kleine Närrin, eine leichtfertige Dirne, mit der mich abzugeben ich die Güte hatte, mit der ein Kind zu zeugen ich so albern war.«

»Nun, wenn es eine von den Frauen ist, bei denen man sich mit Geld abfindet - sind Sie reich genug.«

»Ja«, entgegnete er, mich unterbrechend, »zu diesen Frauen zählt Marie leider nicht; sie ist ein Dorfmädchen, ein armes Mädchen, ein frommes Mädchen.«

»Eben noch nannten Sie diese Marie eine leichtfertige Dirne.«

»Ich hatte unrecht, mein lieber Doktor, ich hatte unrecht, es war der Zorn, der mich so sprechen ließ, oder vielmehr - nein, nein, es war die Furcht.«

»Diese Frau ist also imstande, Ihr Schicksal zu beeinflussen?«

»Sie kann meine Heirat mit Fräulein de Macartie verhindern.«

»Wie das?«

»Wenn sie meinen Namen nennt und verrät, wer ich bin.«

»Sie heißen also nicht de Faverne?«

»Nein.«

»Sie sind also kein Vicomte?«

»Nein.«

»Sie sind also nicht auf Guadeloupe geboren?«

»Nein. Sehen Sie, dies alles ist eine erfundene Geschichte.«

»Olivier hatte also recht?«

»Ja.«

»Aber wie konnte Herr de Malpas, der Gouverneur von Guadeloupe, beurkunden ...?«

»Still«, sagte de Faverne, indem er heftig meine Hand drückte, »das ist mein anderes Geheimnis, Sie wissen, das Geheimnis, das mich umbringt.«

Wir blieben einen kurzen Augenblick lang alle beide stumm.

»Diese Frau, diese Marie - Sie haben sie wiedergesehen?«

»Heute, Herr Doktor, heute am Abend; sie hat ihr Dorf verlassen, ist nach Paris gekommen und hat mich hier gefunden. Und heute abend ist sie mit ihrem Kind zu mir gekommen.«

»Was haben Sie getan?«

»Ich habe gesagt«, versetzte Herr de Faverne mit düsterem Ton, »ich habe gesagt ich kenne sie nicht, und ließ sie von meinen Leuten vor die Tür werfen.«

Ich wich unwillkürlich zurück.

»Das haben Sie getan, Sie haben Ihr Kind verleugnet und seine Mutter durch Ihre Lakaien wegjagen lassen?«

»Was hätte ich denn sonst tun sollen?«

»Das ist abscheulich.«

»Ich weiß es wohl.«

Und wir versanken beide wieder in Stillschweigen. Nach einem Augenblick erhob ich mich.

»Und was habe ich mit alledem zu schaffen?« fragte ich aufgeregt.

»Sehen Sie nicht, daß mich Gewissensbisse peinigen?«

»Ich bemerke, daß sie Furcht haben.«

»Doktor . Ich wünschte, Sie würden diese Frau sehen.«

»Ich?«

»Ja, Sie, tun Sie mir den Gefallen, sie zu sehen.«

»Wo werde ich sie finden?«

»Einen Augenblick, nachdem ich sie weggejagt hatte, schob ich den Vorhang meines Fensters zurück und gewahrte sie mit ihrem Kind auf einem Prellstein.«

»Und Sie glauben, daß sie noch dort ist?«

»Ja.«

»Sie sind also wieder mit ihr zusammengetroffen?«

»Nein, ich bin durch eine Hintertür hinausgegangen und zu Ihnen gelaufen.«

»Warum sind Sie nicht ganz einfach durch die Vordertür hinaus und in Ihrem Wagen gefahren?« »Ich befürchtete, sie würde sich meinen Pferden unter die Füße werfen.«

Ich erschauerte.

»Was soll ich denn da tun? Wie kann ich Ihnen nützen?«

»Doktor, tun Sie mir einen Gefallen: Sprechen Sie mit ihr, sie soll mit ihrem Kind nach Trouville zurückkehren; ich gebe ihr, was sie will, zehntausend Franc, zwanzigtausend Franc, fünfzigtausend Franc.«

»Und wenn sie das alles ausschlägt?«

»Wenn sie es ausschlägt, wenn sie es ausschlägt . Nun, wir werden sehen.«

Der Vicomte sprach diese letzten Worte mit einem so finsteren Ton, daß ich für die arme Frau zitterte.

»Es ist gut, mein Herr«, antwortete ich, »ich will sie sehen.«

»Und Sie werden sie dahin bringen, daß sie abreist?«

»Dafür kann ich mich nicht verbürgen; aber ich werde alles tun, die Sprache der Vernunft mit

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