»Weil die sie nichts angehen«, sagte Doniger.

»Sie haben ihr Leben riskiert —«

»Sie sind freiwillig gegangen.« . »Aber sie —«

»Ach, die konnen mich doch mal«, sagte Doniger. »Was soll denn diese plotzliche Besorgtheit? Das sind doch nur ein paar Historiker — die werden eh alle arbeitslos, wenn sie nicht fur mich arbeiten.«

Gordon antwortete nicht. Er schaute uber Donigers Schulter. Doniger drehte sich langsam um.

Johnston stand hinter ihm sowie das Madchen, das jetzt die Haare ganz kurz geschnitten hatte, und einer der Manner. Sie waren schmutzig, zerlumpt und blutbespritzt. Sie standen vor einem Videomonitor, der das Auditorium zeigte. Die Konzernchefs verlie?en eben den Saal, die Buhne war leer. Aber offensichtlich hatten sie seine Rede gehort, oder zumindest Teile davon.

»Nun«, sagte Doniger und lachelte plotzlich, »ich bin sehr froh, da? Sie zuruck sind.«

»Das sind wir auch«, erwiderte Johnston. Aber er lachelte nicht.

Keiner sagte etwas.

Sie starrten ihn einfach nur an.

»Ach, ihr konnt mich doch alle«, sagte Doniger. Dann wandte er sich an Gordon: »Warum hast du mich hierhergebracht? Weil die Historiker entrustet sind? Das ist die Zukunft, ob es ihnen gefallt oder nicht. Ich habe keine Zeit fur diese Schei?e. Ich mu? eine Firma leiten.« Aber Gordon hielt einen Gaszylinder in der Hand. »Es hat einige Diskussionen gegeben, Bob«, sagte er. »Wir glauben, da? jetzt jemand, der etwas gema?igter ist, die Firma leiten sollte.« Doniger horte ein Zischen. Und roch etwas Scharfes, wie Ather.

Als er aufwachte, horte er ein lautes Summen und ein Kreischen wie von berstendem Metall. Er war in der Maschine. Er sah, da? sie ihn alle durch die Schilde hindurch anstarrten. Er wu?te nicht, wie er jetzt, da die Prozedur angefangen hatte, noch aussteigen sollte. »Das wird nicht funktionieren«, sagte er laut, und dann blendete ihn das violette Licht des Lasers. Die Blitze wurden immer schneller. Er sah, wie der Transitraum in die Hohe wuchs, wahrend er selbst schrumpfte — der zischende Nebel, der ihn jetzt in Bodennahe umgab — dann das letzte Kreischen in seinen Ohren, und er schlo? die Augen und wartete. Schwarze.

Er horte das Zwitschern von Vogeln und offnete die Augen. Das erste, was er sah, war klarer blauer Himmel. Er war also nicht am Vesuv. Er befand sich in einem urtumlichen Wald mit gro?en Baumen. Er war nicht in Tokio. Das Zwitschern der Vogel klang angenehm, die Luft war warm. Er war auch nicht in Tunguska. Wo zum Teufel war er nur?

Die Maschine stand leicht schief, der Waldboden neigte sich sanft nach links. Ein Stuck weiter vorne sah er Licht zwischen den Baumen. Er stieg aus der Maschine und ging den Hang hinunter. Irgendwo in der Ferne horte er den langsamen Rhythmus einer einzelnen Trommel. Er kam zu einer Lucke in den Baumen und sah unter sich eine befestigte Stadt. Sie war zum Teil verhullt vom Rauch vieler Feuer, aber er erkannte sie sofort. Ach, zum Teufel, dachte er, ist ja nur Castelgard. Was sollte das denn, da? man ihn hierherschickte?

Es war naturlich Gordon, der hinter all dem steckte. Sein blodsinniges Gefasel, da? die Akademiker enttauscht seien. Es war Gordon. Der Hurensohn war Chef der Technik gewesen, und jetzt glaubte er, er konne Chef der ganzen Firma werden. Gordon hatte ihn hierhergeschickt, weil er glaubte, er konne nicht zuruckkehren. Aber Doniger konnte zuruckkehren, und er wurde es auch. Kein Problem - weil er namlich die ganze Zeit einen Keramikmarker bei sich trug. Er hatte ihn in einem Schlitz in seiner Schuhsohle versteckt. Er zog den Schuh aus und schaute in den Schlitz. Ja, die wei?e Keramik war da. Aber sie steckte tief im Schlitz und schien sich dort verklemmt zu haben. Als er den Schuh schuttelte, fiel sie nicht heraus. Er probierte es mit einem Zweig, aber der brach ab.

Als nachstes versuchte er, den Absatz abzurei?en, aber ohne Hilfsmittel reichte seine Kraft nicht. Was er brauchte, war irgendein Metall, ein Keil oder ein Mei?el. In der Stadt wurde er so etwas finden, da war er sich ganz sicher.

Er streifte sich den Schuh wieder uber, zog Jackett und Krawatte aus und ging weiter den Hang hinunter. Als er sich die Stadt genauer anschaute, fielen ihm einige merkwurdige Details auf. Er stand knapp oberhalb des Osttors in der Stadtmauer, aber das Tor war weit offen. Und auf der Mauer waren keine Soldaten zu sehen. Das war merkwurdig. Was fur ein Jahr es auch sein mochte, es war offensichtlich eine Zeit des Friedens — solche Zeiten hatte es im Hundertjahrigen Krieg gegeben, zwischen den englischen Invasionen. Niemand arbeitete auf den Feldern. Sie wirkten vernachlassigt, uberall wucherte Unkraut. Was ist denn hier los? dachte er.

Er ging auf das Tor zu. Nun sah er, da? es unbewacht war, weil der diensthabende Soldat tot auf dem Rucken lag. Doniger beugte sich uber ihn, um ihn genauer anzusehen. Aus den Augenwinkeln liefen Schlieren hellroten Bluts. Anscheinend hat er einen Schlag auf den Kopf bekommen, dachte er.

Nun wandte er sich der Stadt selbst zu. Der Rauch, das sah er jetzt, kam aus kleinen Topfen, die uberall herumstanden, auf dem Boden, auf Mauern, auf Zaunpfosten. Und die Stadt wirkte verlas-sen, menschenleer lag sie im hellen Sonnenlicht. Nur Dinge lagen und standen herum, Werkzeuge, Karren, Fasser, Bundel mit Waren und Lebensmitteln, doch nirgendwo war eine Menschenseele zu sehen. Er ging zum Markt, auch dort war niemand. Die Stande waren leer, nur hier und dort lagen vertrocknete Gemusereste. Dann horte er den Gesang von Monchen; sie kamen auf ihn zu. Und wieder horte er die Trommel.

Ein Schauder uberlief ihn.

Ein Dutzend Monche, alle in Schwarz, bog in einer Art Prozession singend um die Ecke. Die Halfte von ihnen war bis zur Taille nackt und schlug sich selbst mit metallbesetzten Peitschen. Schultern und Rucken bluteten heftig. Flagellanten.

Ja, das waren sie, Flagellanten. Doniger stohnte leise auf und wich vor den Monchen zuruck, die gemessenen Schritts an ihm vorbeizogen, ohne ihn zu beachten. Er wich weiter zuruck und immer weiter, bis er gegen etwas Holzernes stie?.

Als er sich umdrehte, sah er einen holzernen Pferdekarren, aber kein

Pferd. Auf dem Karren stapelten sich mehrere Kleiderbundel. Dann sah er einen Kinderfu? aus einem der Bundel herausragen. Und aus einem anderen einen Frauenarm. Das Summen von Fliegen war sehr laut. Eine

Wolke von Fliegen, die uber den Leichen schwirrte.

Doniger fing an zu zittern.

Der Arm zeigte schwarzliche Beulen.

Der Schwarze Tod.

Er wu?te jetzt, welches Jahr es war. 1348. Das Jahr, als die Pest uber Castelgard kam und ein Drittel der Bevolkerung totete. Und er wu?te, wie sie sich verbreitete — durch Flohbisse, durch Beruhrung und durch die Luft. Schon das Atmen konnte einen Menschen toten. Er wu?te, da? die Pest schnell toten konnte, da? die Leute einfach auf der Stra?e umfielen. Im ersten Augenblick fuhlte man sich noch vollig gesund. Und dann fing es an mit Husten und Kopfweh. Eine Stunde spater war man tot.

Er war dem Soldaten am Tor sehr nahe gekommen. Nahe an sein

Gesicht.

Sehr nahe.

Doniger lie? sich an einer Mauer zu Boden sinken und spurte, wie er vor Entsetzen erstarrte.

Und wie er so dasa?, fing er an zu husten.

Epilog

Regen fegte uber die graue englische Landschaft. Die Scheibenwischer tickten hin und her. Edward Johnston sa? vorgebeugt auf dem Fahrersitz, um durch den Regen etwas erkennen zu konnen. Drau?en erstreckten sich flache, dunkelgrune Hugel, unterteilt von dunklen Hecken, doch alles verschwamm in Regenschleiern. Die letzte Farm lag schon einige Kilometer hinter ihnen.

Johnston fragte: »Elsie, bist du sicher, da? das die richtige Stra?e ist?«

»Absolut«, sagte Elsie Kastner, die die Karte auf dem Scho? hatte. Sie fuhr die Route mit dem Finger nach. »Sechs Kilometer hinter Cheatham

Cross nach Bishop's Vale abbiegen, und nach eineinhalb Kilometern mu?te es da rechts oben liegen.«

Sie deutete auf einen Hugel mit vereinzelten Eichen.

»Ich sehe uberhaupt nichts«, sagte Chris vom Rucksitz her.

Kate sagte: »Ist die Klimaanlage an? Mir ist hei?.« Sie war im siebten

Monat schwanger, und ihr war die ganze Zeit hei?.

»Ja, sie ist an«, sagte Johnston.

»Bis zum Anschlag?«

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