Chris strich ihr beruhigend ubers Knie.

Johnston fuhr langsam und suchte nach einem Hinweisschild am Stra?enrand. Der Regen lie? etwas nach, die Sicht wurde besser. Und dann sagte Elsie: »Dort!«

Auf der Kuppe des Hugels war ein dunkles Rechteck mit brockelnden Mauern zu erkennen. »Das soll es sein?«

»Das ist Eltham Castle«, sagte sie. »Oder was davon ubrig ist.« Johnston fuhr an den Stra?enrand und stellte den Motor ab. EI-sie las aus ihrem Fuhrer vor: »... An dieser Stelle errichtet von John d'Eltham im elften Jahrhundert, mit verschiedenen Erganzungen und Umbauten aus spaterer Zeit. Bemerkenswert ist vor allem die Ruine des Hauptturms aus dem zwolften Jahrhundert und eine Kapelle im englischen gotischen Stil aus dem vierzehnten. Ohne Bezug zu Eltham Castle in London, das aus einer spateren Zeit stammt.« Der Regen hatte fast ganz aufgehort, der Wind trug nur noch vereinzelte Tropfen heran. Johnston offnete die Fahrertur, stieg aus und zog sich seinen Regenmantel uber. Elsie stieg auf ihrer Seite aus, ihre Unterlagen in einer Plastiktute unter dem Arm. Chris lief um das Auto herum, offnete Kate die Tur und half ihr heraus. Sie kletterten uber eine niedrige Steinmauer und stiegen zur Burg hoch.

Die Ruine war machtiger, als sie von der Stra?e aus ausgesehen hatte; hohe Steinmauern, dunkel vom Regen. Dacher und Decken gab es keine mehr, die Raume waren zum Himmel hin offen. Keiner sagte etwas, wahrend sie durch die Anlage gingen. Sie sahen keine Hinweisschilder, keine Erklarungstafeln, nichts, was darauf hindeutete, was dieser Ort gewesen war, nicht einmal auf seinen Namen. Schlie?lich fragte Kate: »Wo ist sie?«

»Die Kapelle? Da druben.«

Sie gingen um eine hohe Mauer herum und standen vor einer erstaunlich gut erhaltenen Kapelle mit einem Dach, das irgendwann in der Vergangenheit restauriert worden war. Die Fenster waren nur offene Bogen in der Mauer, ohne Glas. Eine Tur gab es nicht, nur einen offenen Torbogen.

Im Innern blies der Wind durch Ritzen und Fensteroffnungen. Wasser tropfte vom Dachstuhl. Johnston zog eine gro?e Taschenlampe heraus und leuchtete die Wande ab.

Chris fragte: »Wie bist du uberhaupt auf diesen Ort gesto?en, Elsie?« »Naturlich bei meinen Recherchen in den alten Dokumenten«, sagte sie. »In den Troyes-Archiven gab es einen Hinweis auf einen wohlhabenden englischen Briganten namens Andrew d'Eltham, der in seinen spateren Jahren dem Kloster von Sainte-Mere einen Besuch abstattete. Er brachte seine ganze Familie aus England mit, seine Frau und seine erwachsenen Sohne. Das hat mich dazu gebracht, weiterzusuchen.«

»Hier«, sagte Johnston und richtete den Strahl seiner Lampe auf den Boden.

Sie traten zu ihm.

Abgebrochene Aste und eine Schicht feuchten Laubs bedeckte den Boden. Johnston hatte sich hingekniet und wischte alles weg. Zwei verwitterte, in den Boden eingelassene Grabplatten kamen zum Vorschein. Chris hielt den Atem an, als er die erste sah. Eine Frau war darauf dargestellt, in zuchtigen langen Gewandern, auf dem Rucken liegend. Es war unverkennbar Lady Claire. Im Gegensatz zu vielen solcher Grabplatten war Claire hier mit offenen Augen dargestellt, die den Betrachter unverhullt anstarrten.

»Noch immer schon«, sagte Kate, den Rucken durchgedruckt, die Hand in die Seite gestemmt.

»Ja«, sagte Johnston. »Noch immer schon.«

Nun legten sie die zweite Grabplatte frei. Neben Lady Claire sahen sie Andre Marek liegen. Auch er hatte die Augen offen. Marek sah alter aus, mit einer Furche auf einer Gesichtshalfte, die eine Altersfalte sein konnte oder eine Narbe.

Elsie sagte: »Den Dokumenten zufolge geleitete Andrew Lady Claire von Frankreich nach England und heiratete sie spater. Er scherte sich nicht um die Geruchte, da? Claire ihren ersten Gatten ermordet habe. Nach allen Berichten liebte er seine Frau sehr. Sie hatten funf Sohne und waren ihr ganzes gemeinsames Leben lang unzertrennlich. Im Alter«, sagte Elsie, »verlegte der alte Kampe sich auf ein geruhsames Leben und widmete sich seinen Enkeln. Andrews letzte Worte waren: >Ich habe ein gutes Leben gewahlt. Er wurde im Juni 1382 in der Familienkapelle begraben.«

»Dreizehnzweiundachtzig«, sagte Chris. »Er wurde also vierundfunfzig.«

Johnston wischte den Rest des Steins sauber. Sie sahen Mareks Schild: ein stolzierender englischer Lowe in einem Feld franzosischer Lilien. Uber dem Schild standen franzosische Worte.

Elsie las vor: »Sein Familienmotto, in Anlehnung an Richard Lowenherz, steht uber dem Wappenschild: >Mes compagnons: cui jamoie et cui j'aim ... Me dii, chanson.< Sie hielt inne und ubersetzte dann: >Gefahrten, die ich liebte und die ich noch immer liebe... Sag ihnen, mein Lied.<«

Lange starrten sie Andres Bildnis schweigend an. Johnston strich mit den Fingern uber die steinernen Umrisse von Mareks Gesicht. »Nun ja«, sagte er schlie?lich, »wenigstens wissen wir, was passiert ist.«

»Glaubst du, da? er glucklich war?« fragte Chris. »Ja«, antwortete Johnston. Aber er dachte, wie sehr Marek diese Welt auch geliebt haben mochte, ganz die seine konnte sie wohl nie gewesen sein. Nicht wirklich. Er mu?te sich immer wie ein Fremder vorgekommen sein, isoliert von seiner Umgebung, weil er aus einer anderen Zeit gekommen war.

Der Wind heulte. Ein paar Blatter wehten uber den Boden. Die Luft war feucht und kalt. Sie standen stumm da.

»Ich frage mich, ob er je an uns dachte«, sagte Chris und betrachtete das steinerne Gesicht. »Ob er uns vermi?te.«

»Naturlich«, sagte der Professor. »Vermi?t du ihn nicht?«

Chris nickte. Kate schniefte und schneuzte sich.

»Ich vermisse ihn«, sagte Johnston.

Sie gingen wieder nach drau?en und den Hugel hinunter zum Auto. Inzwischen hatte der Regen vollig aufgehort, aber die Wolken, die tief uber den fernen Hugeln hingen, waren noch immer dunkel und schwer.

Danksagungen

Unser Verstandnis des Mittelalters hat sich in den letzten funfzig Jahren dramatisch verandert. Obwohl man noch immer einige selbstgefallige Wissenschaftler vom dunklen Zeitalter sprechen hort, haben moderne Erkenntnisse solche Vereinfachungen langst uber den Haufen geworfen. Eine Zeit, die fruher als statisch, grausam und ruckstandig betrachtet wurde, wird jetzt als dynamisch gesehen, als eine Zeit rasanter Entwicklungen, in der Wissen gesucht und geschatzt wurde, in der gro?e Universitaten gegrundet wurden und man das Lernen forderte, in der mit Begeisterung neue Techniken entwickelt und angewandt wurden, in der alle gesellschaftlichen Beziehungen im Flu? waren und in der das allgemeine Niveau der Gewalt oft weniger todlich war als heute. Was den uberkommenen Ruf des Mittelalters als dunkle Zeit der Beschranktheit, der religiosen Vorurteile und des massenhaften Abschlachtens angeht, so mu? die Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts jeden nachdenklichen Beobachter zu dem Schlu? fuhren, da? wir in keiner Weise besser sind.

Genau genommen war die Vorstellung vom grausamen Mittelalter eine Erfindung der Renaissance, deren Vertreter sich bemuhten, einen neuen Geist herauszustellen, auch wenn dies auf Kosten der Fakten ging. Wenn die Vorstellung vom ruckstandigen Mittelalter sich als hartnackiges Vorurteil erweist, so mag das daran liegen, da? es einen Glauben zu bestatigen scheint, von dem die moderne Welt nicht lassen will - der Glaube namlich, da? unsere Art sich immer weiterentwickelt, hin zu einem besseren und erleuchteteren Leben. Dieser Glaube ist ein reines Phantasieprodukt, aber als solches au?erst zahlebig. Dem modernen Menschen fallt es besonders schwer, sich vorzustellen, da? unsere heutige, wissenschaftliche Zeit keine Verbesserung sein konnte gegenuber einer vorwissenschaftlichen Periode.

Noch ein Wort zum Zeitreisen. Es stimmt zwar, da? Quantenteleportation in Labors auf der ganzen Welt demonstriert wurde, die praktische Anwendung eines solchen Phanomens liegt jedoch in ferner Zukunft. Die in diesem Buch vorgestellten Ideen wurden von Spekulationen angeregt, die, unter anderen, David Deutsch, Kip Thorne, Paul Nahin und Charles Bennett angestellt haben. Was hier beschrieben wird, mag sie amusieren, aber sie wurden es nicht ernst nehmen. Das vorliegende Buch ist ein Roman. Zeitreisen gehort eindeutig ins Reich der Phantasie.

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