Regierung wurde einen Stundenplan wie deinen haben wollen — oder akzeptieren mussen.“

Oder eine Geisha…? Er zog sich weiter an und sprach es nicht laut aus; er wu?te, sie hatte keine andere Wahl, und sie daran zu erinnern war unnotig und taktlos. Einer Frau, die wegen genetischer Defekte sterilisiert worden war, standen nur sehr wenige Wege offen, in einer Gesellschaft, die eine Frau vor allem als potentielle Mutter sah. Ware sie mit einem verstandnisvollen Ehemann verheiratet, einem, der bereit ware, sich mit einer Kontraktmutter zufriedenzugeben, konnte sie ein normales Leben fuhren. Aber eine Frau, die wegen Sterilitat geschieden war — oder eine unverheiratete, sterile Frau —, hatte nur zwei Moglichkeiten: entweder eine niedere, unerfreuliche Arbeit zu tun, standig der Strahlung der schmutzigen Atombatterien aus der Zeit vor dem Krieg ausgesetzt, oder als Geisha zu arbeiten und somit die Kunden einer Gesellschaft zu unterhalten. Das war zwar Prostitution, doch es war akzeptiert. Eine Geisha hatte nur wenige Rechte und kaum Prestige, doch sie hatte Sicherheit, eine komfortable Umgebung, schone Kleider und ausreichend Geld, das ihren Unterhalt sicherte, wenn die Blute ihrer Jahre voruber war. Es war eine sterile Existenz, doch physische Sterilitat lie? keinen anderen Ausweg.

Wadie kannte die Alternativen, daher konnte er weder verurteilen noch richten. Und gelegentlich fiel ihm ein, auch er hatte, als er beschlo?, fur die Regierung zu arbeiten, eine Karriere gewahlt, die die Leute noch weniger respektierten als die formelle Prostitution — und auch eine Karriere, die sein Leben so bar aller echten Beziehungen machte wie das einer Geisha. Er sah an seinem eigenen Bild im Spiegel vorbei auf die bereits wieder schlafende Kimoru; einer ihrer schlanken Arme griff unbewu?t in die nun leere Seite des Bettes. Er hatte keine Kinder und keine Frau. Die meisten der Frauen, denen er begegnete, waren Frauen wie Kimoru, Geishas, die er wahrend der Verhandlungen traf, die er fur die Gesellschaften fuhrte, bei denen sie angestellt waren. Er ging ihnen aus dem Weg, wenn er einen Auftrag hatte, weil er allem aus dem Weg ging, was man nachtraglich als Bestechung hatte auslegen konnen. Doch in ihrer Freizeit wahlten die Geishas ihre Begleiter gern selbst aus, und er hatte genug Geld, um ihnen ein angenehmes Leben zu ermoglichen.

Doch nur selten blieb er lange genug an einem Ort, um eine Frau wirklich gut kennenzulernen; die wenigen normalen Frauen, die er kennengelernt hatte, hatten ihn mit ihren endlosen, geistlosen Konversationen und ihrer endlosen Koketterie lediglich ermudet.

Wadie strich sein dunkles, lockiges Haar zuruck und setzte sorgfaltig das Barett auf. Er zog sich peinlich genau an, selbst im Morgengrauen. Das erwartete man von ihm. Er hob einen silbernen Ring, verziert mit Rubinen, auf und zog ihn uber seinen Daumen. Er war ein Dankbarkeitsgeschenk von zwei Menschen gewesen, denen er vor vielen Megasekunden geholfen hatte, einem Mann-und-Frau-Schurfteam. Wieder erinnerte er sich an diese Frau — eine weibliche Pilotin, eine gesunde, kraftige Frau, die sich hatte sterilisieren lassen, um ins All reisen zu konnen. Keine typische Frau, denn keine Frau wurde freiwillig ein Zuhause und ein Familienleben zuruckweisen. Diese Frau war ein Au?enseiter gewesen — halsstarrig, defensiv, selbstbewu?t; aus der Art geschlagen und fehl am Platze. Und doch hatte ihr Partner sie geheiratet. Doch auch er selbst war eine Art Au?enseiter gewesen; ein Medienmann, ein professioneller Lugner mit Skrupeln. Es war kein Wunder, da? die beiden beschlossen hatten, den Rest ihres Lebens irgendwo im Nichts zu verbringen, indem sie Altmaterial auf ruinierten Welten suchten…

Angesichts dieser Erinnerungen schuttelte Wadie den Kopf; er blickte in den Spiegel und durch ihn hindurch in die Vergangenheit. Er fragte sich wieder, wie er sich schon unzahlige Male zuvor gefragt hatte, welch bizarrer Mechanismus sie zusammengebracht hatte und noch immer zusammenhielt. Gleichzeitig fragte er sich kurz, fast neidisch, warum dieser Mechanismus noch nie bei ihm funktioniert hatte. Er zuckte die Achseln, schlupfte in seine laubgrune Jacke und knopfte den hohen Kragen mit den reich mit Stickereien verzierten Aufschlagen zu. Zum Teufel, er war elf hundertundfunfzig Megasekunden alt — achtunddrei?ig Jahre der alten Welt —, und den gro?ten Teil davon hatte er damit verbracht, anderer Leute Probleme zu losen, hatte das Leben irgendeines anderen gelebt anstatt sein eigenes. Wenn er bis heute noch keine Frau gefunden hatte, die ihn um seiner selbst willen wollte, oder eine, die ihn alles vergessen lie?, dann wurde er auch in Zukunft keine finden. Er wurde nicht junger; wenn er ein Kind wollte, konnte er es sich kaum leisten, noch langer zu warten. Wenn er diesen neuen Auftrag erfullt hatte, wurde er sich eine Kontraktmutter mieten, die wahrend seiner Abwesenheit sein Kind gebar und erzog. Als er das Apartment verlie? und leise die Tur schlo?, sah er ein letztes Mal zu der schlafenden Kimoru zuruck.

Wadie gahnte diskret, als er den Schatten des Gebaudes verlie? und den stillen Platz uberquerte. Inzwischen war es fast Tag, und das Gluhen der Fluoreszenzlampen erhellte wie die Dammerung den imitierten Himmel der Decke zehn Meter uber seinem Kopf. Die magnetisierten Sohlen seiner polierten Stiefel klickten leise auf dem polierten Metall des Platzes, eine zusatzliche Sicherheit in der schwachen Gravitation des Toledo- Planetoiden. Die Oberflache des Platzes krummte sich entlang der Innenhulle eines massiven, ausgehohlten Eisenklumpens, der Ertrag eines reichen Miners und ein solides Heim, doch eines, das unerfreulicherweise begann, sein Alter zu zeigen. Das silberne, geometrische Filigranmuster puren mineralischen Eisens unter seinen Fu?en hatte sich einst unter einem dunnen, unsichtbaren Schutzfilm befunden, aber nun, da der Film sich zersetzte, oxidierte es. Deutlich konnte er die Rostspuren sehen, ein dumpfes Rotbraun im fruhen Licht des beginnenden Tages, das seine Augen uber den Platz und hin zu der matten Rokokowand und dem Eingang des Regierungszentrums zog. Symptome einer tiefgreifenden Krankheit… so etwas wie Panik wurgte ihn, gewohnheitsma?ig holte er tief Atem und verdrangte den Gedanken, da? das Ende nur noch eine Frage der Zeit war. Er ging weiter dem Zentrum entgegen, wobei er sich die Aufschlage seiner Manschetten zurechtruckte. Ein anstandiges Leben ist die beste Verteidigung, dachte er sauerlich.

Lije MacWong erwartete ihn bereits im Inneren. Offiziell arbeitete Wadie fur die Burger des Demarchy; tatsachlich arbeitete er fur MacWong. MacWong, die Wahl des Volkes: die absolute Demokratie des Demarchy war ein trugerisches Wasser unter dem zerbrechlichen Regierungsschiff, das bereits zahllose ungluckliche Reprasentanten ertrankt hatte. Aber MacWong pa?te sich instinktiv dem Strom der offentlichen Meinung an, riskierte manchmal sogar eine Umlenkung dieses Stromes, um seine eigenen Vorstellungen von den Notwendigkeiten durchsetzen zu konnen. Er tat die Geschafte der Leute und brachte sie dazu, da? ihnen das gefiel. Von Zeit zu Zeit fragte Wadie sich, was das Geheimnis MacWongs war; er fragte sich dann allerdings immer auch, ob er es wirklich wissen wollte. „Friede und Wohlstand, Lije.“

Als Wadie das Buro betrat, sah MacWong auf, eisblaue Augen schimmerten in seinem dunklen Gesicht. „Friede und Wohlstand, Wadie.“ Er erhob sich, erwiderte eine formelle Verbeugung und bewegte sich widerwillig von seinem Aquarium weg.

Wadie starrte an ihm vorbei, um einen Blick auf die Fische zu erhaschen — drei glitzernde, goldene Dinger, nicht gro?er als ein Finger, mit Flossen, die hauchzarten, schimmernden Geweben glichen, bewegten sich schlangelnd durch die Wasserpflanzen. Die Goldfische waren die einzigen nichtmenschlichen Geschopfe, die er je gesehen hatte, und nach allem, was er wu?te, bezahlte MacWong immer noch fur sie. Er zog seinen Hut ab und beobachtete, wie er langsam seine Form verlor und neben dem MacWongs auf der Schreibtischplatte in sich zusammensank. „Mit allem gebuhrenden Respekt — ich vertraue darauf, da? diese mysteriose Nachricht aus dem All echt ist und ich nicht nur hier bin, weil Sie mich gerne leiden sehen.“ Er sank langsam in einen von MacWongs neokolonialistischen Stuhlen, wobei er die Falten seines Anzugs glattete.

„Setzen Sie sich.“ MacWong lachelte tolerant. „Die Botschaft ist echt. Das sind durchaus keine selbstgemachten Trickfilme, die ich Ihnen gleich zeigen werde.“ Vorsichtig lehnte er sich an eine Kante seines Schreibtischs, wobei er die Fresken der silbernen Tierkopfe sorgfaltig mied, dann drehte er einen Regler des Kommunikationssets. Nichts geschah. „Verflucht!“ Er hob einen aus Platin geformten Briefbeschwerer, der wie eine springende Katze geformt war, auf und schlug damit auf das Pult. Der Schlag war nicht sehr heftig, doch die Kleinfelter-Wandprojektion verschwand und wurde ersetzt durch das Bild eines weiblichen Gesichts. „Ich wei? nicht, was ich tun soll, wenn dieser Schreibtisch den Geist aufgibt. Die werden auch nicht mehr so hergestellt wie fruher.“ Er stellte den Briefbeschwerer sachte an seinen ursprunglichen Platz zuruck.

„Sie stellen sie uberhaupt nicht mehr her, Lije.“ Wadie strich mit den Fingern uber die Stickerei auf seinem Jackett; seine Finger erstarrten, als er auf den Schirm blickte. „Ein Hologramm? Woher haben Sie das, MacWong?“

„Wir haben es aus der Atmosphare aufgeschnappt oder aus dem All, wie auch immer, vor etwa drei?ig Kiloseks. Es ist tatsachlich eine Hologrammtransmission; wir benotigten zehn Kiloseks, um das herauszufinden. Und sie wurde nicht abgestrahlt. Stellen Sie sich die Energie und die Bandbreite vor, die so etwas erfordert. Zur Holle, ich kenne niemanden mehr, der dazu in der Lage ware.“

„Das wird auch keiner mehr konnen…“ Als die Stimme der Frau lauter wurde, verstummte er, starrte und

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