Idiotenthums. Die Begriffe» wahr «und» unwahr «haben, wie mir scheint, in der Optik keinen Sinn. — Wogegen man sich allein zu wehten hat, das ist die Falschheit, die Instinkt-Doppelzungigkeit, welche diese Gegensatze nicht als Gegensatze empfinden will: wie es zum Beispiel Wagner's Wille war, der in solchen Falschheiten keine kleine Meisterschaft hatte. Nach der Herren-Moral, der vornehmen Moral hinschielen (- die islandische Sage ist beinahe deren wichtigste Urkunde) und dabei die Gegenlehre, die vom» Evangelium der Niedrigen«, vom Bedurfniss der Erlosung, im Munde fuhren!… Ich bewundere, anbei gesagt, die Bescheidenheit der Christen, die nach Bayreuth gehn. Ich selbst wurde gewisse Worte nicht aus dem Munde eines Wagner aushalten. Es giebt Begriffe, die nicht nach Bayreuth gehoren… Wie? ein Christenthum, zurechtgemacht fur Wagnerianerinnen, vielleicht von Wagnerianerinnen — denn Wagner war in alten Tagen durchaus feminini generis — ? Nochmals gesagt, die Christen von heute sind mir zu bescheiden… Wenn Wagner ein Christ war, nun dann war vielleicht Liszt ein Kirchenvater! — Das Bedurfniss nach Erlosung, der Inbegriff aller christlichen Bedurfnisse hat mit solchen Hanswursten Nichts zu thun: es ist die ehrlichste Ausdrucksform der decadence, es ist das uberzeugteste, schmerzhafteste ja-sagen zu ihr in sublimen Symbolen und Praktiken. Der Christ will von sich loskommen. Le moi est toujours haissable. — Die vornehme Moral, die Herren-Moral, hat umgekehrt ihre Wurzel in einem triumphirenden ja-sagen zu sich, — sie ist Selbstbejahung, Selbstverherrlichung des Lebens, sie braucht gleichfalls sublime Symbole und Praktiken, aber nur» weil ihr das Herz zu voll «ist. Die ganze schone, die ganze grosse Kunst gehort hierher: beider Wesen ist Dankbarkeit. Andrerseits kann man von ihr nicht einen Instinkt-Widerwillen gegen die decadents, einen Hohn, ein Grauen selbst vor deren Symbolik abrechnen: dergleichen ist beinahe ihr Beweis. Der vornehme Romer empfand das Christenthum als foeda superstitio: ich erinnere daran, wie der letzte Deutsche vornehmen Geschmacks, wie Goethe das Kreuz empfand. Man sucht umsonst nach werthvolleren, nach nothwendigeren Gegensatzen…[1]

Aber eine solche Falschheit, wie die der Bayreuther, ist heute keine Ausnahme. Wir kennen alle den unasthetischen Begriff des christlichen Junkers. Diese Unschuld zwischen Gegensatzen, dies» gute Gewissen «in der Luge ist vielmehr modern par excellence, man definirt beinahe damit die Modernitat. Der moderne Mensch stellt, biologisch, einen Widerspruch der Werthe dar, er sitzt zwischen zwei Stuhlen, er sagt in Einem Athem ja und Nein. Was Wunder, dass gerade in unsern Zeiten die Falschheit selber Fleisch und sogar Genie wurde? dass Wagner» unter uns wohnte«? Nicht ohne Grund nannte ich Wagner den Cagliostro der Modernitat… Aber wir Alle haben, wider Wissen, wider Willen, Werthe, Worte, Formeln, Moralen entgegengesetzter Abkunft im Leibe, — wir sind, physiologisch betrachtet, falsch… Eine Diagnostik der modernen Seele — womit begonne sie? Mit einem resoluten Einschnitt in diese Instinkt-Widerspruchlichkeit, mit der Herauslosung ihrer Gegensatz-Werthe, mit der Vivisektion vollzogen an ihrem lehrreichsten Fall. — Der Fall Wagner ist fur den Philosophen ein Glucksfall, — diese Schrift ist, man hort es, von der Dankbarkeit inspirirt…

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Примечания

1

uber den Gegensatz» vornehme Moral «und» christliche Moral «unterrichtete zuerst meine» Genealogie der Moral«: es giebt vielleicht keine entscheidendere Wendung in der Geschichte der religiosen und moralischen Erkenntniss. Dies Buch, mein Prufstein fur Das, was zu mir gehort, hat das Gluck, nur den hochstgesinnten und strengsten Geistern zuganglich zu sein: dem Reste fehlen die Ohren dafur. Man muss seine Leidenschaft in Dingen haben, wo sie heute Niemand hat…

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