raubt uns die Junglinge, er raubt selbst noch unsre Frauen und schleppt sie in seine Hohle… Ah, dieser alte Minotaurus! Was er uns schon gekostet hat! Alljahrlich fuhrt man ihm Zuge der schonsten Madchen und Junglinge in sein Labyrinth, damit er sie verschlinge, — alljahrlich intonirt ganz Europa» auf nach Kreta! auf nach Kreta!»…

*) Anmerkung. — War Wagner uberhaupt ein Deutscher? Man hat einige Grunde, so zu fragen. Es ist schwer, in ihm irgend einen deutschen Zug ausfindig zu machen. Er hat, als der grosse Lerner, der er war, viel Deutsches nachmachen gelernt — das ist Alles. Sein Wesen selbst widerspricht dem, was bisher als deutsch empfunden wurde: nicht zu reden vom deutschen Musiker! — Sein Vater war ein Schauspieler Namens Geyer. Ein Geyer ist beinahe schon ein Adler… Das, was bisher als» Leben Wagner's «in Umlauf gebracht ist, ist fable convenue, wenn nicht Schlimmeres. Ich bekenne mein Misstrauen gegen jeden Punkt, der bloss durch Wagner selbst bezeugt ist. Er hatte nicht Stolz genug zu irgend einer Wahrheit uber sich, Niemand war weniger stolz; er blieb, ganz wie Victor Hugo, auch im Biographischen sich treu, — er blieb Schauspieler.

Zweite Nachschrift

— Mein Brief, scheint es, ist einem Missverstandnisse ausgesetzt. Auf gewissen Gesichtern zeigen sich die Falten der Dankbarkeit; ich hore selbst ein bescheidenes Frohlocken. Ich zoge vor, hier wie in vielen Dingen, verstanden zu werden. — Seitdem aber in den Weinbergen des deutschen Geistes ein neues Thier haust, der Reichswurm, die beruhmte Rhinoxera, wird kein Wort von mir mehr verstanden. Die Kreuzzeitung selbst bezeugt es mir, nicht zu reden vom litterarischen Centralblatt. — Ich habe den Deutschen die tiefsten Bucher gegeben, die sie uberhaupt besitzen — Grund genug, dass die Deutschen kein Wort davon verstehn… Wenn ich in dieser Schrift Wagnern den Krieg mache — und, nebenbei, einem deutschen» Geschmack«—, wenn ich fur den Bayreuther Cretinismus harte Worte habe, so mochte ich am allerwenigsten irgend welchen andren Musikern damit ein Fest machen. Andre Musiker kommen gegen Wagner nicht in Betracht. Es steht schlimm uberhaupt. Der Verfall ist allgemein. Die Krankheit liegt in der Tiefe. Wenn Wagner der Name bleibt fur den Ruin der Musik, wie Bernini fur den Ruin der Skulptur, so ist er doch nicht dessen Ursache. Er hat nur dessen tempo beschleunigt, — freilich in einer Weise, dass man mit Entsetzen vor diesem fast plotzlichen Abwarts, Abgrundwarts steht. Er hatte die Naivetat der decadence: dies war seine Uberlegenheit. Er glaubte an sie, er blieb vor keiner Logik der decadence stehn. Die Andern zogern — das unterscheidet sie. Sonst Nichts!… Das Gemeinsame zwischen Wagner und» den Andern«— ich zahle es auf: der Niedergang der organisirenden Kraft; der Missbrauch uberlieferter Mittel, ohne das rechtfertigende Vermogen, das zum-Zweck; die Falschmunzerei in der Nachbildung grosser Formen, fur die heute Niemand stark, stolz, selbstgewiss, gesund genug ist; die Uberlebendigkeit im Kleinsten; der Affekt um jeden Preis; das Raffinement als Ausdruck des verarmten Lebens; immer mehr Nerven an Stelle des Fleisches. — Ich kenne nur Einen Musiker, der heute noch im Stande ist, eine Ouverture aus ganze in Holze zu schnitzen: und Niemand kennt ihn… Was heute beruhmt ist, macht, im Vergleich mit Wagner, nicht» bessere «Musik, sondern nur unentschiedenere, sondern nur gleichgultigere: — gleichgultigere, weil das Halbe damit abgethan ist, dass das Ganze da ist. Aber Wagner war ganz; aber Wagner war die ganze Verderbniss; aber Wagner war der Muth, der Wille, die Uberzeugung in der Verderbniss — was liegt noch an Johannes Brahms!… Sein Gluck war ein deutsches Missverstandniss: man nahm ihn als Antagonisten Wagner's, — man brauchte einen Antagonisten! — Das macht keine nothwendige Musik, das macht vor Allem zu viel Musik! — Wenn man nicht reich ist, soll man stolz genug sein zur Armuth!… Die Sympathie, die Brahms unleugbar hier und da einflosst, ganz abgesehen von jenem Partei- Interesse, Partei-Missverstandnisse, war mir lange ein Rathsel: bis ich endlich, durch einen Zufall beinahe, dahinter kam, dass er auf einen bestimmten Typus von Menschen wirkt. Er hat die Melancholie des Unvermogens; er schafft nicht aus der Fulle, er durstet nach der Fulle. Rechnet man ab, was er nachmacht, was er grossen alten oder exotisch-modernen Stilformen entlehnt — er ist Meister in der Copie — , so bleibt als sein Eigenstes die Sehnsucht… Das errathen die Sehnsuchtigen, die Unbefriedigten aller Art. Er ist zu wenig Person, zu wenig Mittelpunkt… Das verstehen die» Unpersonlichen «die Peripherischen, — sie lieben ihn dafur. In Sonderheit ist er der Musiker einer Art unbefriedigter Frauen. Funfzig Schritt weiter: und man hat die Wagnerianerin — ganz wie man funfzig Schritt uber Brahms hinaus Wagner findet — , die Wagnerianerin, einen ausgepragteren, interessanteren, vor Allem anmuthigeren Typus. Brahms ist ruhrend, so lange er heimlich schwarmt oder uber sich trauert — darin ist er» modern«—; er wird kalt, er geht uns Nichts mehr an, sobald er die Klassiker beerbt… Man nennt Brahms gern den Erben Beethoven's: ich kenne keinen vorsichtigeren Euphemismus. — Alles, was heute in der Musik auf» grossen Stil «Anspruch macht, ist damit entweder falsch gegen uns oder falsch gegen sich. Diese Alternative ist nachdenklich genug: sie schliesst namlich eine Casuistik uber den Werth der zwei Falle in sich ein.»Falsch gegen uns«: dagegen protestirt der Instinkt der Meisten — sie wollen nicht betrogen werden — ; ich selbst freilich wurde diesen Typus immer noch dem anderen (»falsch gegen sich«) vorziehn. Dies ist mein Geschmack. — Fasslicher, fur die» Armen im Geiste «ausgedruckt: Brahms — oder Wagner… Brahms ist kein Schauspieler. — Man kann einen guten Theil der andren Musiker in den Begriff Brahms subsumiren. — Ich sage kein Wort von den klugen Affen Wagner's, zum Beispiel von Goldmark: mit der» Konigin von Saba «gehort man in die Menagerie, — man kann sich sehen lassen. — Was heute gut gemacht, meisterhaft gemacht werden kann, ist nur das Kleine. Hier allein ist noch Rechtschaffenheit moglich. — Nichts kann aber die Musik in der Hauptsache von der Hauptsache kuriren, von der Fatalitat, Ausdruck des physiologischen Widerspruchs zu sein, — modern zu sein. Der beste Unterricht, die gewissenhafteste Schulung, die grundsatzliche Intimitat, ja selbst Isolation in der Gesellschaft der alten Meister — das bleibt Alles nur palliativisch, strenger geredet, illusorisch, weil man die Voraussetzung dazu nicht mehr im Leibe hat: sei dies nun die starke Rasse eines Handel, sei es die uberstromende Animalitat eines Rossini. — Nicht jeder hat das Recht zu jedem Lehrer: das gilt von ganzen Zeitaltern. — An sich ist die Moglichkeit nicht ausgeschlossen, dass es noch Reste starkerer Geschlechter, typisch unzeitgemasser Menschen irgendwo in Europa giebt: von da aus ware eine verspatete Schonheit und Vollkommenheit auch fur die Musik noch zu erhoffen. Was wir, besten Falls, noch erleben konnen, sind Ausnahmen. Von der Regel, dass die Verderbniss obenauf, dass die Verderbniss fatalistisch ist, rettet die Musik kein Gott. —

Epilog

— Entziehen wir uns zuletzt, um aufzuathmen, fur einen Augenblick der engen Welt, zu der jede Frage nach dem Werth von Personen den Geist verurtheilt. Ein Philosoph hat das Bedurfniss, sich die Hande zu waschen, nachdem er sich so lange mit dem» Fall Wagner «befasst hat. — Ich gebe meinen Begriff des Modernen. — Jede Zeit hat in ihrem Maass von Kraft ein Maass auch dafur, welche Tugenden ihr erlaubt, welche ihr verboten sind. Entweder hat sie die Tugenden des aufsteigenden Lebens: dann widerstrebt sie aus unterstem Grunde den Tugenden des niedergehenden Lebens. Oder sie ist selbst ein niedergehendes Leben, — dann bedarf sie auch der Niedergangs-Tugenden, dann hasst sie Alles, was aus der Fulle, was aus dem Uberreichthum an Kraften allein sich rechtfertigt. Die Aesthetik ist unabloslich an diese biologischen Voraussetzungen gebunden: es giebt eine decadence-Aesthetik, es giebt eine klassische Aesthetik, — ein» Schones an sich «ist ein Hirngespinst, wie der ganze Idealismus. — In der engeren Sphare der sogenannten moralischen Werthe ist kein grosserer Gegensatz aufzufinden, als der einer Herren-Moral und der Moral der christlichen Werthbegriffe: letztere, auf einem durch und durch morbiden Boden gewachsen (- die Evangelien fuhren uns genau dieselben physiologischen Typen vor, welche die Romane Dostoiewsky's schildern), die Herren-Moral (»romisch«,»heidnisch«,»klassisch«,»Renaissance«) umgekehrt als die Zeichensprache der Wohlgerathenheit, des aufsteigenden Lebens, des Willens zur Macht als Princips des Lebens. Die Herren-Moral bejaht ebenso instinktiv, wie die christliche verneint (»Gott«,»Jenseits«,»Entselbstung «lauter Negationen). Die erstere giebt aus ihrer Fulle an die Dinge ab — sie verklart, sie verschont, sie vernunftigt die Welt — , die letztere verarmt, verblasst, verhasslicht den Werth der Dinge, sie verneint die Welt.»Welt «ein christliches Schimpfwort. — Diese Gegensatzformen in der Optik der Werthe sind beide nothwendig: es sind Arten zu sehen, denen man mit Grunden und Widerlegungen nicht beikommt. Man widerlegt das Christenthum nicht, man widerlegt eine Krankheit des Auges nicht. Dass man den Pessimismus wie eine Philosophie bekampft hat, war der Gipfelpunkt des gelehrten

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