aus (verlegte sie vor den Anfang oder hinter die Scene). Das Wort Drama ist dorischer Herkunft: und nach dorischem Sprachgebrauch bedeutet es» Ereigniss,«»Geschichte, «beide Worte in hieratischem Sinne. Das alteste Drama stellte die Ortslegende dar, die» heilige Geschichte, «auf der die Grundung des Cultus ruhte (- also kein Thun, sondern ein Geschehen: dson heisst im Dorischen gar nicht thun«).

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Anbei noch ein Wort uber die Schriften Wagner's: sie sind, unter Anderem, eine Schule der Klugheit. Das System von Prozeduren, das Wagner handhabt, ist auf hundert andre Falle anzuwenden, — wer Ohren hat, der hore. Vielleicht habe ich einen Anspruch auf offentliche Erkenntlichkeit, wenn ich den drei werthvollsten Prozeduren einen pracisen Ausdruck gebe.

Alles, was Wagner nicht kann, ist verwerflich.

Wagner konnte noch Vieles: aber er will es nicht, — aus Rigorositat im Princip.

Alles, was Wagner kann, wird ihm Niemand nachmachen, hat ihm Keiner vorgemacht, soll ihm Keiner nachmachen…

Wagner ist gottlich…

Diese drei Satze sind die Quintessenz von Wagner's Litteratur; der Rest ist — »Litteratur.»

— Nicht jede Musik hat bisher Litteratur nothig gehabt: man thut gut, hier nach dem zureichenden Grund zu suchen. Ist es, dass Wagner's Musik zu schwer verstandlich ist? Oder furchtete er das Umgekehrte, dass man sie zu leicht versteht, — dass man sie nicht schwer genug versteht? — Thatsachlich hat er sein ganzes Leben Einen Satz wiederholt: dass seine Musik nicht nur Musik bedeute! Sondern mehr! Sondern unendlich viel mehr!…»Nicht nur Musik«— so redet kein Musiker. Nochmals gesagt, Wagner konnte nicht aus dem Ganzen schaffen, er hatte gar keine Wahl, er musste Stuckwerk machen,»Motive«, Gebarden, Formeln, Verdopplungen und Verhundertfachungen, er blieb Rhetor als Musiker — er musste grundsatzlich deshalb das» es bedeutet «in den Vordergrund bringen.»Die Musik ist immer nur ein Mittel«: das war seine Theorie, das war vor Allem die einzige ihm uberhaupt mogliche Praxis. Aber so denkt kein Musiker. — Wagner hatte Litteratur nothig, um alle Welt zu uberreden, seine Musik ernst zu nehmen, tief zu nehmen,»weil sie Unendliches bedeute«; er war zeitlebens der Commentator der» Idee«. — Was bedeutet Elsa? Aber kein Zweifel: Elsa ist» der unbewusste Geist des Volks«(- mit dieser Erkenntniss wurde ich nothwendig zum vollkommnen Revolutionar«—).

Erinnern wir uns, dass Wagner in der Zeit, wo Hegel und Schelling die Geister verfuhrten, jung war; dass er errieth, dass er mit Handen griff, was allein der Deutsche ernst nimmt — »die Idee«, will sagen Etwas, das dunkel, ungewiss, ahnungsvoll ist; dass Klarheit unter Deutschen ein Einwand, Logik eine Widerlegung ist. Schopenhauer hat, mit Harte, die Epoche Hegel's und Schelling's der Unredlichkeit geziehn — mit Harte, auch mit Unrecht: er selbst, der alte pessimistische Falschmunzer, hat es in Nichts» redlicher «getrieben als seine beruhmteren Zeitgenossen. Lassen wir die Moral aus dem Spiele: Hegel ist ein Geschmack… Und nicht nur ein deutscher, sondern ein europaischer Geschmack! — Ein Geschmack, den Wagner begriff! — dem er sich gewachsen fuhlte! den er verewigt hat! — Er machte bloss die Nutzanwendung auf die Musik — er erfand sich einen Stil, der» Unendliches bedeutet,«— er wurde der Erbe Hegel's… Die Musik als» Idee»—

Und wie man Wagnern verstand! — Dieselbe Art Mensch, die fur Hegel geschwarmt, schwarmt heute fur Wagner; in seiner Schule schreibt man sogar Hegelisch! — Vor Allen verstand ihn der deutsche Jungling. Die zwei Worte» unendlich «und» Bedeutung «genugten bereits: ihm wurde dabei auf eine unvergleichliche Weise wohl. Es ist nicht die Musik, mit der Wagner sich die Junglinge erobert hat, es ist die» Idee«: — es ist das Rathselreiche seiner Kunst, ihr Versteckspielen unter hundert Symbolen, ihre Polychromie des Ideals, was diese Junglinge zu Wagner fuhrt und lockt;»es ist Wagner's Genie der Wolkenbildung, sein Greifen, Schweifen und Streifen durch die Lufte, sein Uberall und Nirgendswo, genau Dasselbe, womit sie seiner Zeit Hegel verfuhrt und verlockt hat! — Inmitten von Wagner's Vielheit, Fulle und Willkur sind sie wie bei sich selbst gerechtfertigt — »erlost«—. Sie horen mit Zittern, wie in seiner Kunst die grossen Symbole aus vernebelter Ferne mit sanftem Donner laut werden; sie sind nicht ungehalten, wenn es zeitweilig grau, grasslich und kalt in ihr zugeht. Sind sie doch sammt und sonders, gleich Wagnern selbst, verwandt mit dem schlechten Wetter, dem deutschen Wetter! Wotan ist ihr Gott: aber Wotan ist der Gott des schlechten Wetters… Sie haben Recht, diese deutschen Junglinge, so wie sie nun einmal sind: wie konnten sie vermissen, was wir Anderen, was wir Halkyonier bei Wagnern vermissen — la gaya scienza; die leichten Fusse; Witz, Feuer, Anmuth; die grosse Logik; den Tanz der Sterne; die ubermuthige Geistigkeit; die Lichtschauder des Sudens; das glatte Meer — Vollkommenheit…

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Ich habe erklart, wohin Wagner gehort — nicht in die Geschichte der Musik. Was bedeutet er trotzdem in deren Geschichte? Die Heraufkunft des Schauspielers in der Musik: ein capitales Ereigniss, das zu denken, das vielleicht auch zu furchten giebt. in Formel:»Wagner und Liszt.«— Noch nie wurde die Rechtschaffenheit der Musiker, ihre» Echtheit «gleich gefahrlich auf die Probe gestellt. Man greift es mit Handen: Der grosse Erfolg, der Massen-Erfolg ist nicht mehr auf Seite der Echten, — man muss Schauspieler sein, ihn zu haben! — Victor Hugo und Richard Wagner — sie bedeuten Ein und Dasselbe: dass in Niedergangs-Culturen, dass uberall, wo den Massen die Entscheidung in die Hande fallt, die Echtheit uberflussig, nachtheilig, zurucksetzend wird. Nur der Schauspieler weckt noch die grosse Begeisterung. — Damit kommt fur den Schauspieler das goldene Zeitalter herauf — fur ihn und fur Alles, was seiner Art verwandt ist. Wagner marschirt mit Trommeln und Pfeifen an der Spitze aller Kunstler des Vortrags, der Darstellung, des Virtuosenthums; er hat zuerst die Kapellmeister, die Maschinisten und Theatersanger uberzeugt. Nicht zu vergessen die Orchestermusiker: — er» erloste «diese von der Langenweile… Die Bewegung, die Wagner schuf, greift selbst in das Gebiet der Erkenntniss uber: ganze zugehorige Wissenschaften tauchen langsam aus jahrhundertealter Scholastik empor. Ich hebe, um ein Beispiel zu geben, mit Auszeichnung die Verdienste Riemann's um die Rhythmik hervor, des Ersten, der den Hauptbegriff der Interpunktion auch fur die Musik geltend gemacht hat (leider vermittelst eines hasslichen Wortes: er nennt's» Phrasirung«). — Dies Alles sind, ich sage es mit Dankbarkeit, die Besten unter den Verehrern Wagner's, die Achtungswurdigsten — sie haben einfach Recht, Wagnern zu verehren. Der gleiche Instinkt verbindet sie mit einander, sie sehen in ihm ihren hochsten Typus, sie fuhlen sich zur Macht, zur Grossmacht selbst umgewandelt, seit er sie mit seiner eignen Gluth entzundet hat. Hier namlich, wenn irgendwo, ist der Einfluss Wagner's wirklich wohlthatig gewesen. Noch nie ist in dieser Sphare so viel gedacht, gewollt, gearbeitet worden. Wagner hat allen diesen Kunstlern ein neues Gewissen eingegeben: was sie jetzt von sich fordern, von sich erlangen, das haben sie nie vor Wagner von sich gefordert — sie waren fruher zu bescheiden dazu. Es herrscht ein andrer Geist am Theater, seit Wagner's Geist daselbst herrscht: man verlangt das Schwerste, man tadelt hart, man lobt selten, — das Gute, das Ausgezeichnete gilt als Regel. Geschmack thut nicht mehr Noth; nicht einmal Stimme. Man singt Wagner nur mit ruinirter Stimme: das wirkt» dramatisch«. Selbst Begabung ist ausgeschlossen. Das espressivo um jeden Preis, wie es das Wagnerische Ideal, das decadence-Ideal verlangt, vertragt sich schlecht mit Begabung. Dazu gehort bloss Tugend — will sagen Dressur, Automatismus,»Selbstverleugnung. «Weder Geschmack, noch Stimme, noch Begabung: die Buhne Wagner's hat nur Eins nothig — Germanen!… Definition des Germanen: Gehorsam und lange Beine… Es ist voll tiefer Bedeutung, dass die Heraufkunft Wagner's zeitlich mit der Heraufkunft des» Reichs «zusammenfallt: beide Thatsachen beweisen Ein und Dasselbe — Gehorsam und lange Beine. — Nie ist besser gehorcht, nie besser befohlen worden. Die Wagnerischen Kapellmeister in Sonderheit sind eines Zeitalters wurdig, das die Nachwelt einmal mit scheuer Ehrfurcht das klassische Zeitalter des Kriegs nennen wird. Wagner verstand zu commandiren; er war auch damit der grosse Lehrer. Er commandirte als der unerbittliche Wille zu sich, als die lebenslangliche Zucht an sich: Wagner, der vielleicht das grosste Beispiel der Selbstvergewaltigung abgiebt, das die Geschichte der Kunste hat (- selbst Alfieri, sonst sein Nachstverwandter, ist noch uberboten. Anmerkung eines Turiners).

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