sein Pathos wirft jeden Geschmack, jeden Widerstand uber den Haufen. — Wer hat diese Uberzeugungskraft der Gebarde, wer sieht so bestimmt, so zu allererst die Gebarde! Dies Athem-Anhalten des Wagnerischen Pathos, dies Nicht-mehr-loslassen-Wollen eines extremen Gefuhls, diese Schrecken einflossende Lange in Zustanden, wo der Augenblick schon erwurgen will! —

War Wagner uberhaupt ein Musiker? jedenfalls war er etwas Anderes mehr: namlich ein unvergleichlicher Histrio, der grosste Mime, das erstaunlichste Theater-Genie, das die Deutschen gehabt haben, unser Sceniker par excellence. Er gehort wo andershin als in die Geschichte der Musik: mit deren grossen Echten soll man ihn nicht verwechseln. Wagner und Beethoven — das ist eine Blasphemie — und zuletzt ein Unrecht selbst gegen Wagner… Er war auch als Musiker nur Das, was er uberhaupt war: er wurde Musiker, er wurde Dichter, weil der Tyrann in ihm, sein Schauspieler-Genie ihn dazu zwang. Man errath Nichts von Wagner, so lange man nicht seinen dominirenden Instinkt errieth.

Wagner war nicht Musiker von Instinkt. Dies bewies er damit, dass er alle Gesetzlichkeit und, bestimmter geredet, allen Stil in der Musik preisgab, um aus ihr zu machen, was er nothig hatte, eine Theater-Rhetorik, ein Mittel des Ausdrucks, der Gebarden-Verstarkung, der Suggestion, des Psychologisch-Pittoresken. Wagner durfte uns hier als Erfinder und Neuerer ersten Ranges gelten — er hat das Sprachvermogen der Musik in's Unermessliche vermehrt — : er ist der Victor Hugo der Musik als Sprache. Immer vorausgesetzt, dass man zuerst gelten lasst, Musik durfe unter Umstanden nicht Musik, sondern Sprache, sondern Werkzeug, sondern ancilla dramaturgica sein. Wagner's Musik, nicht vom Theater-Geschmacke, einem sehr toleranten Geschmacke, in Schutz genommen, ist einfach schlechte Musik, die schlechteste uberhaupt, die vielleicht gemacht worden ist. Wenn ein Musiker nicht mehr bis drei zahlen kann, wird er» dramatisch«, wird er» Wagnerisch»…

Wagner hat beinahe entdeckt, welche Magie selbst noch mit einer aufgelosten und gleichsam elementarisch gemachten Musik ausgeubt werden kann. Sein Bewusstsein davon geht bis in's Unheimliche, wie sein Instinkt, die hohere Gesetzlichkeit, den Stil gar nicht nothig zu haben. Das Elementarische genugt — Klang, Bewegung, Farbe, kurz die Sinnlichkeit der Musik. Wagner rechnet nie als Musiker, von irgend einem Musiker-Gewissen aus: er will die Wirkung, er will Nichts als die Wirkung. Und er kennt das, worauf er zu wirken hat! — Er hat darin die Unbedenklichkeit, die Schiller hatte, die jeder Theatermensch hat, er hat auch dessen Verachtung der Welt, die er sich zu Fussen legt!… Man ist Schauspieler damit, dass man Eine Einsicht vor dem Rest der Menschen voraus hat: was als wahr wirken soll, darf nicht wahr sein. Der Satz ist von Talma formulirt: er enthalt die ganze Psychologie des Schauspielers, er enthalt — zweifeln wir nicht daran! — auch dessen Moral. Wagner's Musik ist niemals wahr.

— Aber man halt sie dafur: und so ist es in Ordnung. —

So lang man noch kindlich ist und Wagnerianer dazu, halt man Wagner selbst fur reich, selbst fur einen Ausbund von Verschwender, selbst fur einen Grossgrundbesitzer im Reich des Klangs. Man bewundert an ihm, was junge Franzosen an Victor Hugo bewundern, die» konigliche Freigebigkeit«. Spater bewundert man den Einen wie den Andern aus umgekehrten Grunden: als Meister und Muster der Oekonomie, als kluge Gastgeber. Niemand kommt ihnen darin gleich, mit bescheidenem Aufwand eine furstliche Tafel zu reprasentiren. — Der Wagnerianer, mit seinem glaubigen Magen, wird sogar satt bei der Kost, die ihm sein Meister vorzaubert. Wir Anderen, die wir in Buchern wie in Musik vor Allem Substanzverlangen und denen mit bloss» reprasentirten «Tafeln kaum gedient ist, sind viel schlimmer dran. Auf deutsch: Wagner giebt uns nicht genug zu beissen. Sein recitativo — wenig Fleisch, schon mehr Knochen und sehr viel Bruhe — ist von mir» alla genovese «getauft: womit ich durchaus den Genuesen nicht geschmeichelt haben will, wohl aber dem alteren recitativo, dem recitativo secco. Was gar das Wagnerische» Leitmotiv «betrifft, so fehlt mir dafur alles kulinarische Verstandniss. Ich wurde es, wenn man mich drangt, vielleicht als idealen Zahnstocher gelten lassen, als Gelegenheit, Reste von Speisen los zu werden. Bleiben die» Arien «Wagner's — Und nun sage ich kein Wort mehr.

9

Auch im Entwerfen der Handlung ist Wagner vor Allem Schauspieler. Was zuerst ihm aufgeht, ist eine Scene von unbedingt sichrer Wirkung, eine wirkliche Actio*) mit einem hautrelief der Gebarde, eine Scene, die umwirft — diese denkt er in die Tiefe, aus ihr zieht er erst die Charaktere. Der ganze Rest folgt daraus, einer technischen Okonomik gemass, die keine Grunde hat, subtil zu sein. Es ist nicht das Publikum Corneille's, das Wagner zu schonen hat: blosses neunzehntes Jahrhundert. Wagner wurde uber» das Eine, was noth thut «ungefahr urtheilen, wie jeder andre Schauspieler heute urtheilt: eine Reihe starker Scenen, eine starker als die andre — und, dazwischen, viel kluge Stupiditat. Er sucht sich selbst zuerst die Wirkung seines Werkes zu garantiren, er beginnt mit dem dritten Akte, er beweist sich sein Werk mit dessen letzter Wirkung. Mit einem solchen Theaterverstande als Fuhrer ist man nicht in Gefahr, unversehens ein Drama zu schaffen. Das Drama verlangt die harte Logik: aber was lag Wagnern uberhaupt an der Logik! Nochmals gesagt: es ist nicht das Publikum Corneille's, das er zu schonen hatte: blosse Deutsche! Man weiss, bei welchem technischen Problem der Dramatiker alle seine Kraft ansetzt und oft Blut schwitzt: dem Knoten Nothwendigkeit zu geben und ebenso der Losung, so dass beide nur auf eine einzige Art moglich sind, beide den Eindruck der Freiheit machen (Princip des kleinsten Aufwandes von Kraft). Nun, dabei schwitzt Wagner am wenigsten Blut; gewiss ist, dass er fur Knoten und Losung den kleinsten Aufwand von Kraft macht. Man nehme irgend einen» Knoten «Wagner's unter das Mikroskop — man wird dabei zu lachen haben, das verspreche ich. Nichts erheiternder als der Knoten des Tristan, es musste denn der Knoten der Meistersinger sein. Wagner ist kein Dramatiker, man lasse sich Nichts vormachen. Er liebte das Wort» Drama«: das ist Alles — er hat immer die schonen Worte geliebt. Das Wort» Drama «in seinen Schriften ist trotzdem bloss ein Missverstandniss (- und eine Klugheit: Wagner that immer vornehm gegen das Wort» Oper«—); ungefahr wie das Wort» Geist «im neuen Testament bloss ein Missverstandniss ist. — Er war schon nicht Psychologe genug zum Drama; er wich instinktiv der psychologischen Motivirung aus — womit? damit, dass er immer die Idiosynkrasie an deren Stelle ruckte… Sehr modern, nicht wahr? sehr Pariserisch! sehr decadent!… Die Knoten, anbei gesagt, die thatsachlich Wagner mit Hulfe dramatischer Erfindungen zu losen weiss, sind ganz andrer Art. Ich gebe ein Beispiel. Nehmen wir den Fall, dass Wagner eine Weiberstimme nothig hat. Ein ganzer Akt ohne Weiberstimme — das geht nicht! Aber die» Heldinnen «sind im Augenblick alle nicht frei. Was thut Wagner? Er emancipirt das alteste Weib der Welt, die Erda:»herauf, alte Grossmutter! Sie mussen singen!«Erda singt. Wagner's Absicht ist erreicht. Sofort schafft er die alte Dame wieder ab.»Wozu kamen Sie eigentlich? Ziehn Sie ab! Schlafen Sie gefalligst weiter!«— In summa: eine Scene voller mythologischer Schauder, bei der der Wagnerianer ahnt…

«Aber der Gehalt der Wagnerischen Texte! ihr mythischer Gehalt, ihr ewiger Gehalt!«— Frage: wie pruft man diesen Gehalt, diesen ewigen Gehalt? — Der Chemiker antwortet: man ubersetzt Wagnern in's Reale, in's Moderne, — seien wir noch grausamer! in's Burgerliche! Was wird dabei aus Wagner? — Unter uns, ich habe es versucht. Nichts unterhaltender, Nichts fur Spaziergange mehr zu empfehlen als sich Wagnern in verjungten Proportionen zu erzahlen: zum Beispiel Parsifal als Candidaten der Theologie, mit Gymnasialbildung (- letztere als unentbehrlich zur reinen Thorheit). Welche Uberraschungen man dabei erlebt! Wurden Sie es glauben, dass die Wagnerischen Heroinen sammt und sonders, sobald man nur erst den heroischen Balg abgestreift hat, zum Verwechseln Madame Bovary ahnlich sehn! — wie man umgekehrt auch begreift, dass es Flaubert freistand, seine Heldin in's Skandinavische oder Karthagische zu ubersetzen und sie dann, mythologisirt, Wagnern als Textbuch anzubieten. Ja, in's Grosse gerechnet, scheint Wagner sich fur keine andern Probleme interessirt zu haben, als die, welche heute die kleinen Pariser decadents interessiren. Immer funf Schritte weit vom Hospital! Lauter ganz moderne, lauter ganz grossstadtische Probleme! zweifeln Sie nicht daran!… Haben Sie bemerkt (es gehort in diese Ideen-Association), dass die Wagnerischen Heldinnen keine Kinder bekommen? — Sie konnen's nicht… Die Verzweiflung, mit der Wagner das Problem angegriffen hat, Siegfried uberhaupt geboren werden zu lassen, verrath, wie modern er in diesem Punkte fuhlte. — Siegfried» emancipirt das Weib«— doch ohne Hoffnung auf Nachkommenschaft. — Eine Thatsache endlich, die uns fassungslos lasst: Parsifal ist der Vater Lohengrin's! Wie hat er das gemacht? — Muss man sich hier daran erinnern, dass die Keuschheit Wunder thut«?…

Wagnerus dixit princeps in castitate auctoritas.

Anmerkung. Es ist ein wahres Ungluck fur die Aesthetik gewesen, dass man das Wort Drama immer mit» Handlung«ubersetzt hat. Nicht Wagner allein irrt hierin; alle Welt ist noch im Irrthum; die Philologen sogar, die es besser wissen sollten. Das antike Drama hatte grosse Pathosscenen im Auge — es schloss gerade die Handlung

Вы читаете Der Fall Wagner
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату
×