Schreckens und der Verstummelung zu befreien, die sie gerade mit eigenen Augen in der Arena gesehen haben.

Einige der Besoffenen werfen Mull und leere Flaschen in die Arena, um die angebundenen Bei?er weiter anzustacheln, die ihre Arme nach ihnen ausstrecken und an ihren Ketten rei?en. Aus ihren Mundern flie?t schwarzer Speichel. Die beiden toten Kampfer liegen zusammengesackt au?er Reichweite der Zombies, wahrend die Menge sie unentwegt niederpfeift und ausbuht. So geht das schon beinahe eine Stunde lang.

Jetzt ertont die Stimme wieder. »DER GOVERNOR HAT EINE SONDERDURCHSAGE FUR SIE!«

Bei der Ansage horen sie auf, und ihr Gegrole verstummt auf einen Schlag. Die aufgeputschten Zuschauer wanken ungelenk zuruck zu ihren Platzen. Manche stolpern, raffen sich aber wieder auf, und in wenigen Minuten sitzt die gesamte Meute auf den vorderen Rangen der Tribunen vor dem Maschendrahtzaun, der einst die Zuschauer vor Autotrummern und brennenden Reifen schutzte.

»UND JETZT EINEN WUNDERBAREN APPLAUS FUR UNSEREN FURCHTLOSEN ANFUHRER, DEN GOVERNOR!«

Dann erscheint eine Gestalt in einem langen Mantel, tritt aus dem Schatten des mittleren Tunnels in den grellen Schein der Flutlichter. Die matschigen, blutbesudelten Rockzipfel seines Mantels wehen im Wind. Er macht den Eindruck eines trojanischen Generals, der gerade von der Belagerung zuruckgekommen ist. Er schreitet in die Arena, halt bei den auf dem Boden liegenden, toten Wachen inne, rei?t an dem Mikrofonkabel hinter sich, hebt das Mikro hoch und brullt: »FREUNDE, DAS SCHICKSAL HAT JEDEN EINZELNEN VON EUCH HIERHER VERSCHLAGEN … UND ES IST UNSER SCHICKSAL, DIE PLAGE GEMEINSAM ZU UBERLEBEN!«

Die Zuschauer, die meisten von ihnen total besoffen, brullen begeistert.

»UND ES IST MEIN SCHICKSAL, EUER ANFUHRER ZU SEIN … UND ICH AKZEPTIERE DIESE AUFGABE UND FULLE SIE VOLLER STOLZ AUS! UND FALLS IRGENDJEMAND VON EUCH AUF DEN BILLIGEN PLATZEN ES NICHT MAG, DANN KANN ER JEDERZEIT ZU MIR KOMMEN UND DIE HERRSCHAFT AN SICH REISSEN! JEDERZEIT! HAT JEMAND VON EUCH GENUGEND MUMM, UM UNSER STADTCHEN HIER AM LAUFEN ZU HALTEN?«

Die trunkenen Stimmen verstummen, die Gesichter hinter dem Maschendrahtzaun erschlaffen. Jetzt hat er ihre Aufmerksamkeit. Der Wind, der durch das Dach pfeift, untermalt das Schweigen auf den Rangen.

»JEDER EINZELNE VON EUCH SOLL HEUTE ABEND ZEUGE EINER GROSSEN VERANDERUNG IN WOODBURY WERDEN, DENN AB SOFORT IST DAS TAUSCHSYSTEM ABGESCHAFFT!«

Jetzt herrscht totale Stille. Die Zuschauer haben so etwas nicht erwartet und starren ihn mit offenen Mundern an, als ob sie an jedem seiner Worte hangen.

»VON NUN AN WERDEN VORRATE AUSSCHLIESSLICH FUR DAS GEMEINWOHL GESAMMELT UND GERECHT AN ALLE VERTEILT! UND SO WERDEN DIE LEUTE IN ZUKUNFT SICH IN UNSERE GEMEINDE INTEGRIEREN – INDEM SIE VORRATE SAMMELN UND DEM GEMEINWOHL DIENEN!«

Ein alterer Herr einige Reihen uber den anderen steht etwas unstet auf wackligen Beinen. Sein Heilsarmee- Mantel halt den Wind eher schlecht als recht ab. Der Mann beginnt zu klatschen, nickt mit dem Kopf und reckt sein haariges, unrasiertes Kinn stolz in die Hohe.

»ICH WERDE DAFUR SORGEN, DASS DIE NEUEN REGELN DURCHGESETZT WERDEN! ABER SOLLTE SICH HERAUSSTELLEN, DASS JEMAND ETWAS TAUSCHT, UM SICH SOMIT MEHR ESSEN ZU BESCHAFFEN, WIRD ER ALS STRAFE IM RING DES TODES KAMPFEN!« Der Governor halt inne, lasst den Blick uber die Menge schweifen und sieht, welchen Eindruck seine Worte auf sie haben. »WIR SIND KEINE BARBAREN! WIR KONNEN AUFEINANDER AUFPASSEN! WIR! SIND! UNSERER! BRUDER! HUTER!!«

Jetzt stehen immer mehr Zuschauer auf und beginnen zu klatschen. Einige von ihnen scheinen auf einen Schlag auszunuchtern und beginnen vor Begeisterung laut zu rufen.

Die Predigt des Governors nahert sich dem Hohepunkt: »DAS WIRD EIN NEUES ZEITALTER FUR WOODBURY EINLAUTEN. AB JETZT ARBEITEN WIR ZUSAMMEN! WIR WERDEN EINE GLUCKLICHERE, GESUNDERE, BESSERE GEMEINSCHAFT BILDEN!«

Jetzt steht so gut wie jeder auf den Beinen, und der Klang ihrer Rufe steigt uber die Tribunen hinauf in den Nachthimmel. Das Klatschen wird nur von ihren enthusiastischen Rufen ubertont. Sie blicken einander erleichtert an, die Gesichter von angenehmer Uberraschung gezeichnet … Vielleicht sogar Hoffnung.

Tatsache aber ist, dass die Zuschauer aus dieser Entfernung und hinter dem Maschendrahtzaun das blutrunstige Funkeln in den Augen ihres gutmutigen Anfuhrers nicht bemerken.

Am nachsten Morgen befindet sich die schlanke junge Frau mit Zopfen im ubel riechenden Schlachthaus tief in den Katakomben des Stadions.

Sie ist in ein zu gro?es Georgia-Tech-Sweatshirt gekleidet, tragt antiken Schmuck und kaputte Jeans. Lilly zittert nicht, verspurt weder das Verlangen, auf ihren Fingernageln zu kauen, noch fuhlt sie irgendeinen Abscheu oder auch nur den geringsten Ekel angesichts der furchterlichen Arbeit, die sie als Strafe fur ihren Putschversuch auferlegt bekommen hat.

Das Einzige, was ihr durch den Kopf geht, ist eine tief verankerte, brodelnde Wut, als sie mit der gro?en, mit Teflon uberzogenen Axt in dem schummrigen Licht des unterirdischen Schlachthauses ausholt.

Sie schlagt zu, trifft hart und genau und hackt den Knorpel vom bereits abgetrennten Bein des Schweden, das direkt uber dem Bodenablauf auf einem Holzblock liegt. Ein feuchtes Gerausch fullt den Raum, als ob man den Deckel eines Dampfkochtopfs unter Druck offnet. Die Schneide fahrt durch das Knie gleich einem Kuchenmesser, das einen Hahnchenschenkel durchtrennt. Das Blut spritzt und trifft Lilly an Hals und Kinn, aber sie merkt es kaum, als sie die beiden Halften in einen Eimer wirft, der neben ihr steht.

Broyles, Manning und Zorn sind bereits verarbeitet, in einzelne Portionen von Eingeweiden, Organen, haarigen Skalps, schleimigen wei?en Kugelgelenken und abgetrennten Gliedma?en aufgeteilt, die anschlie?end auf Eis gelagert werden, um die Spiele aufrechtzuerhalten, die Zombies in der Arena nicht zu wild werden zu lassen.

Lilly tragt Gummihandschuhe. Wahrend der letzten Stunden hat sich ihre Farbe in ein dunkles Violett verwandelt. Sie benutzt ihre Wut, um harter zuzuschlagen, hat schon drei Leichen zerlegt, ohne es wirklich wahrzunehmen, bemerkt die anderen beiden Personen in dem Schlachthaus, Martinez und Stevens, uberhaupt nicht, die in den hinteren Ecken des fensterlosen, dreckigen, stinkenden Raums ihrer grasslichen Arbeit nachgehen.

Die Ausgesto?enen unterhalten sich nicht, hacken und schneiden eine weitere halbe Stunde an den Leichen, ehe gegen Mittag gedampfte Schritte aus dem Korridor ertonen. Die Tur wird aufgeschlossen.

»Wollte nur mal sehen, wie ihr vorankommt«, begru?t sie der Governor. Er tragt eine schicke, lederne Weste. Am Bein ist ein Pistolenhalfter befestigt. Er hat seine Haare aus dem markanten Gesicht nach hinten uber die Ohren gestreift. »Sehr beeindruckend«, lobt er, geht zu Lilly und schaut in ihren Eimer voll mit menschlichen Uberresten. »Konnte sein, dass ich spater noch einmal vorbeikomme, um mir ein wenig davon abzuholen.«

Lilly blickt nicht zu ihm auf, sondern hackt weiter, schmei?t Teile in den Eimer und wischt die Axt an ihrer Jeans ab. Dann zerrt sie einen Torso, an dem noch ein Kopf hangt, auf ihren Hackblock.

»Macht schon weiter so, ihr flei?igen Arbeiter«, ermutigt der Governor sie mit einem beifalligen Nicken, ehe er wieder zur Tur geht. Als er im Korridor verschwindet, murmelt Lilly etwas zu sich selbst, das niemand sonst horen kann.

Die Stimme in ihrem Kopf – nichts anderes scheint sie mehr am Leben zu erhalten – dringt bis zu ihren Lippen vor, als sie flustert: »Bald … Sobald du nicht mehr gebraucht wirst … Endest du hier. Versprochen.«

Sie holt erneut aus und schlagt wieder und immer wieder zu.

DANKSAGUNG

Ganz besonderen Dank an Robert Kirkman, David Alpert, Brendan Deneen, Nicole Sohl, dem Circle of Confusion, Andy Cohen, Kemper Donovan und Tom Leavens.

Jay Bonansinga

An meinen Vater, Carl Kirkman, der mir den Wert selbststandiger Arbeit vermittelt und mir gezeigt hat, was man alles erreichen kann, wenn man hart arbeitet und sich auf das Wesentliche konzentriert. Und an meinen Schwiegervater, John Hicks, der mir zu so viel Selbstvertrauen verholfen hat, den Sprung ins kalte Wasser zu wagen, meinen Job zu kundigen und meinen eigenen Weg zu gehen. Ich verdanke euch beiden so viel.

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