Muller ist tot. Man hat ihm aus nachster Nahe eine Leuchtkugel in den Magen geschossen. Er lebte noch eine halbe Stunde bei vollem Verstande und furchtbaren Schmerzen. Bevor er starb, ubergab er mir seine Brieftasche und vermachte mir seine Stiefel – dieselben, die er damals von Kemmerich geerbt hat. Ich trage sie, denn sie passen mir gut. Nach mir wird Tjaden sie bekommen, ich habe sie ihm versprochen.

Wir haben Muller zwar begraben konnen, aber lange wird er wohl nicht ungestort bleiben. Unsere Linien werden zuruckgenommen. Es gibt druben zu viele frische englische und amerikanische Regimenter. Es gibt zuviel Corned beef und wei?es Weizenmehl. Und zuviel neue Geschutze. Zuviel Flugzeuge.

Wir aber sind mager und ausgehungert. Unser Essen ist so schlecht und mit so viel Ersatzmitteln gestreckt, da? wir krank davon werden. Die Fabrikbesitzer in Deutschland sind reiche Leute geworden – uns zerschrinnt die Ruhr die Darme. Die Latrinenstangen sind stets dicht gehockt voll; – man sollte den Leuten zu Hause diese grauen, gelben, elenden, ergebenen Gesichter hier zeigen, diese verkrummten Gestalten, denen die Kolik das Blut aus dem Leibe quetscht und die hochstens mit verzerrten, noch schmerz-bebenden Lippen sich angrinsen:»Es hat gar keinen Zweck, die Hose wieder hochzuziehen -«

Unsere Artillerie ist ausgeschossen – sie hat zuwenig Munition -, und die Rohre sind so ausgeleiert, da? sie unsicher schie?en und bis zu uns heruberstreuen. Wir haben zuwenig Pferde. Unsere frischen Truppen sind blutarme, erholungsbedurftige Knaben, die keinen Tornister tragen konnen, aber zu sterben wissen. Zu Tausenden. Sie verstehen nichts vom Kriege, sie gehen nur vor und lassen sich abschie?en. Ein einziger Flieger knallte aus Spa? zwei Kompanien von ihnen weg, ehe sie etwas von Deckung wu?ten, als sie frisch aus dem Zuge kamen.

»Deutschland mu? bald leer sein«, sagt Kat.

Wir sind ohne Hoffnung, da? einmal ein Ende sein konnte. Wir denken uberhaupt nicht so weit. Man kann einen Schu? bekommen und tot sein; man kann verletzt werden, dann ist das Lazarett die nachste Station. Ist man nicht amputiert, dann fallt man uber kurz oder lang einem dieser Stabsarzte in die Hande, die, das Kriegsverdienstkreuz im Knopfloch, einem sagen:»Wie, das bi?chen verkurzte Bein? An der Front brauchen Sie nicht zu laufen, wenn Sie Mut haben. Der Mann ist k.v. Wegtreten!«

Kat erzahlt eine der Geschichten, die die ganze Front von den Vogesen bis Flandern entlanglaufen, – von dem Stabsarzt, der Namen vorliest auf der Musterung und, wenn der Mann vortritt, ohne aufzusehen, sagt:»K. v. Wir brauchen Soldaten drau?en.« Ein Mann mit Holzbein tritt vor, der Stabsarzt sagt wieder: k.v. -»Und da«, Kat hebt die Stimme,»sagt der Mann zu ihm: ›Ein Holzbein habe ich schon; aber wenn ich jetzt hinausgehe und wenn man mir den Kopf abschie?t, dann lasse ich mir einen Holzkopf machen und werde Stabsarzt!‹«- Wir sind alle tief befriedigt uber diese Antwort.

Es mag gute Arzte geben, und viele sind es; doch einmal fallt bei den hundert Untersuchungen jeder Soldat einem dieser zahlreichen Heldengreifer in die Finger, die sich bemuhen, auf ihrer Liste moglichst viele a. v. und g. v. in k. v. zu verwandeln.

Es gibt manche solcher Geschichten, sie sind meistens noch viel bitterer. Aber sie haben trotzdem nichts mit Meuterei und Miesmachen zu tun; sie sind ehrlich und nennen die Dinge beim Namen; denn es besteht sehr viel Betrug, Ungerechtigkeit und Gemeinheit beim Kommi?. Ist es nicht viel, da? trotzdem Regiment auf Regiment in den immer aussichtsloser werdenden Kampf geht und da? Angriff auf Angriff erfolgt bei zuruckweichender, zerbrockelnder Linie?

Die Tanks sind vom Gespott zu einer schweren Waffe geworden. Sie kommen, gepanzert, in langer Reihe gerollt und verkorpern uns mehr als anderes das Grauen des Krieges.

Die Geschutze, die uns das Trommelfeuer heruberschicken, sehen wir nicht, die angreifenden Linien der Gegner sind Menschen wie wir – aber diese Tanks sind Maschinen, ihre Kettenbander laufen endlos wie der Krieg, sie sind die Vernichtung, wenn sie fuhllos in Trichter hineinrollen und wieder hochklettern, unaufhaltsam, eine Flotte brullender, rauchspeiender Panzer, unverwundbare, Tote und Verwundete zerquetschende Stahltiere. – Wir schrumpfen zusammen vor ihnen in unserer dunnen Haut, vor ihrer kolossalen Wucht werden unsere Arme zu Strohhalmen und unsere Handgranaten zu Streichholzern.

Granaten, Gasschwaden und Tankflottillen – Zerstampfen, Zerfressen, Tod.

Ruhr, Grippe, Typhus – Wurgen, Verbrennen, Tod. Graben, Lazarett, Massengrab – mehr Moglichkeiten gibt es nicht.

* * *

Bei einem Angriff fallt unser Kompaniefuhrer Bertinck. Er war einer dieser prachtvollen Frontoffiziere, die in jeder brenzligen Situation vorne sind. Seit zwei Jahren war er bei uns, ohne da? er verwundet wurde, da mu?te ja endlich etwas passieren. Wir sitzen in einem Loch und sind eingekreist. Mit den Pulverschwaden weht der Gestank von ol oder Petroleum heruber. Zwei Mann mit einem Flammenwerfer werden entdeckt, einer tragt auf dem Rucken den Kasten, der andere hat in den Handen den Schlauch, aus dem das Feuer spritzt. Wenn sie so nahe herankommen, da? sie uns erreichen, sind wir erledigt, denn zuruck konnen wir gerade jetzt nicht.

Wir nehmen sie unter Feuer. Doch sie arbeiten sich naher heran, und es wird schlimm. Bertinck liegt mit uns im Loch. Als er merkt, da? wir nicht treffen, weil wir bei dem scharfen Feuer zu sehr auf Deckung bedacht sein mussen, nimmt er ein Gewehr, kriecht aus dem Loch und zielt, liegend aufgestutzt. Er schie?t – im selben Moment schlagt eine Kugel bei ihm klatschend auf, er ist getroffen. Doch er bleibt liegen und zielt weiter – einmal setzt er ab und legt dann aufs neue an; endlich kracht der Schu?. Bertinck la?t das Gewehr fallen, sagt:»Gut«, und rutscht zuruck. Der hinterste der beiden Flammenwerfer ist verletzt, er fallt, der Schlauch rutscht dem andern weg, das Feuer spritzt nach allen Seiten, und der Mann brennt.

Bertinck hat einen Brustschu?. Nach einer Weile schmettert ihm ein Splitter das Kinn weg. Der gleiche Splitter hat noch die Kraft, Leer die Hufte aufzurei?en. Leer stohnt und stemmt sich auf die Arme, er verblutet rasch, niemand kann ihm helfen. Wie ein leerlaufender Schlauch sackt er nach ein paar Minuten zusammen. Was nutzt es ihm nun, da? er in der Schule ein so guter Mathematiker war.

* * *

Die Monate rucken weiter. Dieser Sommer 1918 ist der blutigste und der schwerste. Die Tage stehen wie Engel in Gold und Blau unfa?bar uber dem Ring der Vernichtung. Jeder hier wei?, da? wir den Krieg verlieren. Es wird nicht viel daruber gesprochen, wir gehen zuruck, wir werden nicht wieder angreifen konnen nach dieser gro?en Offensive, wir haben keine Leute und keine Munition mehr. Doch der Feldzug geht weiter – das Sterben geht weiter – Sommer 1918 – Nie ist uns das Leben in seiner kargen Gestalt so begehrenswert erschienen wie jetzt; – der rote Klatschmohn auf den Wiesen unserer Quartiere, die glatten Kafer an den Grashalmen, die warmen Abende in den halbdunklen, kuhlen Zimmern, die schwarzen, geheimnisvollen Baume der Dammerung, die Sterne und das Flie?en des Wassers, die Traume und der lange Schlaf – o Leben, Leben, Leben!

Sommer 1918 – Nie ist schweigend mehr ertragen worden als in dem Augenblick des Aufbruchs zur Front. Die wilden und aufpeitschenden Geruchte von Waffenstillstand und Frieden sind aufgetaucht, sie verwirren die Herzen und machen den Aufbruch schwerer als jemals!

Sommer 1918 – Nie ist das Leben vorne bitterer und grauenvoller als in den Stunden des Feuers, wenn die bleichen Gesichter im Schmutz liegen und die Hande verkrampft sind zu einem einzigen: Nicht! Nicht! Nicht jetzt noch! Nicht jetzt noch im letzten Augenblick! Sommer 1918 – Wind der Hoffnung, der uber die verbrannten Felder streicht, rasendes Fieber der Ungeduld, der Enttauschung, schmerzlichste Schauer des Todes, unfa?bare Frage: Warum? Warum macht man kein Ende? Und warum flattern diese Geruchte vom Ende auf?

* * *

Es gibt so viele Flieger hier, und sie sind so sicher, da? sie auf einzelne Leute Jagd machen wie auf Hasen. Auf ein deutsches Flugzeug kommen mindestens funf englische und amerikanische. Auf einen hungrigen, muden deutschen Soldaten im Graben kommen funf kraftige, frische andere im gegnerischen. Auf ein deutsches Kommi?brot kommen funfzig Buchsen Fleischkonserven druben. Wir sind nicht geschlagen, denn wir sind als Soldaten besser und erfahrener; wir sind einfach von der vielfachen Ubermacht zerdruckt und zuruckgeschoben.

Einige Regenwochen liegen hinter uns – grauer Himmel, graue zerflie?ende Erde, graues Sterben. Wenn wir

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