geblieben?«
Er greift nach seinem Hut und wirft die Tur schmetternd hinter sich zu. Wir sehen ihn auf seinen stammigen X-Beinen uber den Hof stampfen, halbmilitarisch mit seinen Radfahrklammern. Er ist im Abmarsch zu seinem Stammtisch in der Gastwirtschaft Blume.
»Freude am Geschaft will er haben, dieser burgerliche Sadist«, sage ich argerlich.»Auch das noch! Wie kann man unser Geschaft anders als mit frommem Zynismus betreiben, wenn man seine Seele bewahren will? Dieser Heuchler aber will Freude am Schacher mit Toten haben und halt das noch fur sein angestammtes Recht!«
Georg lacht.»Nimm dein Geld und la? uns auch aufbrechen! Wolltest du dir nicht noch eine Krawatte kaufen? Vorwarts damit! Heute gibt es keine Gehaltserhohungen mehr!«
Er nimmt den Koffer mit dem Geld und stellt ihn achtlos in das Zimmer neben dem Buro, wo er schlaft. Ich verstaue meine Packen in einer Tute mit der Aufschrift: Konditorei Keller – feinste Backwaren, Lieferung auch ins Haus.
»Kommt Riesenfeld tatsachlich?«frage ich.
»Ja, er hat telegraphiert.«
»Was will er? Geld? Oder verkaufen?«
»Das werden wir sehen«, sagt Georg und schlie?t das Buro ab.
II
Wir treten aus der Tur. Die heftige Sonne des spaten Aprils sturzt auf uns herunter, als wurde ein riesiges goldenes Becken mit Licht und Wind ausgeschuttet. Wir bleiben stehen. Der Garten steht in grunen Flammen, das Fruhjahr rauscht im jungen Laub der Pappel wie eine Harfe, und der erste Flieder bluht.
»In?ation!«sage ich.»Da hast du auch eine – die wildeste von allen. Es scheint, da? selbst die Natur wei?, da? nur noch in Zehntausenden und Millionen gerechnet wird. Sieh dir an, was die Tulpen da machen! Und das Wei? druben und das Rot und uberall das Gelb! Und wie das riecht!«
Georg nickt, schnuppert und nimmt einen Zug aus der Brasil; Natur ist fur ihn doppelt schon, wenn er dabei eine Zigarre rauchen kann.
Wir fuhlen die Sonne auf unseren Gesichtern und blicken auf die Pracht. Der Garten hinter dem Hause ist gleichzeitig der Ausstellungsplatz fur unsere Denkmaler. Da stehen sie, angefuhrt wie eine Kompanie von einem dunnen Leutnant, von dem Obelisken Otto, der gleich neben der Tur seinen Posten hat. Er ist das Stuck, das ich Heinrich geraten habe zu verkaufen, das alteste Denkmal der Firma, ihr Wahrzeichen und eine Monstrositat an Geschmacklosigkeit. Hinter ihm kommen zuerst die billigen kleinen Hugelsteine aus Sandstein und gegossenem Zement, die Grabsteine fur die Armen, die brav und anstandig gelebt und geschuftet haben und dadurch naturlich zu nichts gekommen sind. Dann folgen die gro?eren, schon mit Sockeln, aber immer noch billig, fur die, die schon etwas Besseres sein mochten, wenigstens im Tode, da es im Leben nicht moglich war. Wir verkaufen mehr davon als von den ganz einfachen, und man wei? nicht, ob man diesen verspateten Ehrgeiz der Hinterbliebenen ruhrend oder absurd ?nden soll. Das nachste sind die Hugelsteine aus Sandstein mit eingelassenen Platten aus Marmor, grauem Syenit oder schwarzem schwedischem Granit. Sie sind bereits zu teuer fur den Mann, der von seiner Hande Arbeit gelebt hat. Kleine Kau?eute, Werkmeister, Handwerker, die einen eigenen Betrieb gehabt haben, sind die Kunden dafur – und naturlich der ewige Unglucksrabe, der kleine Beamte, der immer mehr vorstellen mu?, als er ist, dieser brave Stehkragenproletarier, von dem keiner wei?, wie er es fertigbringt, heutzutage noch zu existieren, da seine Gehaltserhohungen stets viel zu spat kommen.
Alle diese Denkmaler sind noch das, was man als Kleinvieh bezeichnet – erst hinter ihnen kommen die Klotze aus Marmor und Granit. Zunachst die einseitig polierten, bei denen die Vorder?achen glatt sind, Seiten und Rucken?ache rauh gespitzt und die Sockel allseitig rauh. Das ist bereits die Klasse fur den wohlhabenderen Mittelstand, den Arbeitgeber, den Geschaftsmann, den besseren Ladenbesitzer und, naturlich, den tapferen Unglucksraben, den hoheren Beamten, der, ebenso wie der kleine, im Tode mehr ausgeben mu?, als er im Leben verdient hat, um das Dekorum zu wahren.
Die Aristokratie der Grabsteine jedoch sind der allseitig polierte Marmor und der schwarze schwedische Granit. Da gibt es keine rauhen Seiten und Rucken?achen mehr; alles ist auf Hochglanz gebracht worden, ganz gleich, ob man es sieht oder nicht, sogar die Sockel, und davon gibt es nicht nur einen oder zwei, sondern oft auch einen geschragten dritten, und oben darauf, wenn es sich um ein Glanzstuck im wahren Sinne des Wortes handelt, auch noch ein stattliches Kreuz aus demselben Material. So etwas ist heute naturlich nur noch da fur reiche Bauern, gro?e Sachwertbesitzer, Schieber und die geschickten Geschaftsleute, die mit langfristigen Wechseln arbeiten und so von der Reichsbank leben, die alles mit immer neuen, ungedeckten Geldscheinen bezahlt.
Wir blicken gleichzeitig auf das einzige dieser Glanzstucke, das bis vor einer Viertelstunde noch Eigentum der Firma war. Da steht es, schwarz und blitzend wie der Lack eines neuen Automobils, das Fruhjahr umduftet es, Fliederbluten neigen sich ihm zu, es ist eine gro?e Dame, kuhl, unberuhrt und noch fur eine Stunde jungfraulich -, dann wird ihm der Name des Hofbesitzers Heinrich Fleddersen auf den schmalen Bauch gemei?elt werden, in lateinischer, vergoldeter Schrift, der Buchstabe zu achthundert Mark.»Fahre wohl, schwarze Diana!«sage ich.»Dahin!«und lufte meinen Hut.»Es ist dem Poeten ewig unverstandlich, da? auch vollkommene Schonheit den Gesetzen des Schicksals untersteht und elend sterben mu?! Fahr wohl! Du wirst nun eine schamlose Reklame fur die Seele des Gauners Fleddersen werden, der armen Witwen aus der Stadt ihre letzten Zehntausender fur viel zu teure, mit Margarine verfalschter Butter entrissen hat – von seinen Wucherpreisen fur Kalbsschnitzel, Schweinekoteletts und Rinderbraten ganz zu schweigen! Fahr wohl!«
»Du machst mich hungrig«, erklart Georg.»Auf zur „Walhalla“! Oder mu?t du vorher noch deinen Schlips kaufen?«
»Nein, ich habe Zeit, bis die Geschafte schlie?en. Sonnabends gibt es nachmittags keinen neuen Dollarkurs. Von zwolf Uhr heute mittag bis Montag fruh bleibt unsere Wahrung stabil. Warum eigentlich? Da mu? irgendwas machtig faul dabei sein. Warum fallt die Mark uber das Wochenende nicht? Halt Gott sie auf?«
»Weil die Borse dann nicht arbeitet. Sonst noch Fragen?«
»Ja. Lebt der Mensch von innen nach au?en oder von au?en nach innen?«
»Der Mensch lebt, Punkt. Es gibt Gulasch im „Walhalla“, Gulasch mit Kartoffeln, Gurken und Salat. Ich habe das Menu gesehen, als ich von der Bank kam.«
»Gulasch!«Ich p?ucke eine Primel und stecke sie mir ins Knop?och.»Der Mensch lebt, du hast recht! Wer weiter fragt, ist schon verloren. Komm, la? uns Eduard Knobloch argern!«
Wir betreten den gro?en Speisesaal des Hotels»Walhalla«. Eduard Knobloch, der Besitzer, ein fetter Riese mit einer braunen Perucke und einem wehenden Bratenrock, verzieht bei unserem Anblick das Gesicht, als hatte er bei einem Rehrucken auf eine Schrotkugel gebissen.
»Guten Tag, Herr Knobloch«, sagte Georg.»Schones Wetter heute! Macht machtigen Appetit!«
Eduard zuckt nervos die Achseln.»Zuviel essen ist ungesund! Schadet der Leber, der Galle, allem.«
»Nicht bei Ihnen, Herr Knobloch«, erwidert Georg herzlich.»Ihr Mittagstisch ist gesund.«
»Gesund, ja. Aber zuviel gesund kann auch schadlich sein. Nach den neuesten wissenschaftlichen Forschungen ist zuviel Fleisch -«
Ich unterbreche Eduard, indem ich ihm einen leichten Schlag auf seinen weichen Bauch versetze. Er fahrt zuruck, als hatte ihm jemand an die Geschlechtsteile gegriffen.»Gib Ruhe und fuge dich in dein Geschick«, sage ich.»Wir fressen dich schon nicht arm. Was macht die Poesie?«
»Geht betteln. Keine Zeit! Bei diesen Zeiten!«
Ich lache nicht uber diese Albernheit. Eduard ist nicht nur Gastwirt, er ist auch Dichter; aber so billig darf er mir nicht kommen.»Wo ist ein Tisch?«frage ich.
Knobloch sieht sich um. Sein Gesicht erhellt sich plotzlich.
»Es tut mir au?erordentlich leid, meine Herren, aber ich sehe gerade, da? kein Tisch frei ist.«
»Das macht nichts. Wir warten.«
Eduard blickt noch einmal umher.»Es sieht so aus, als ob auch einstweilen keiner frei wurde«, verkundet er strahlend.»Die Herrschaften sind alle erst bei der Suppe. Vielleicht versuchen Sie es heute einmal im „Altstadter Hof“ oder im Bahnhofshotel. Man soll dort auch passabel essen.«