Dichter sind unruhig und tun, als waren sie bewegt. Hungermann tritt als erster auf mich zu.»Du kennst meine Gedichte. Du hast selbst gesagt, da? sie eines deiner starksten dichterischen Erlebnisse waren. Starker als Stefan George.«

Er sieht mich intensiv an. Ich habe das nie gesagt. Bambuss hat es gesagt; dafur hat Hungermann uber Bambuss gesagt, da? er ihn fur bedeutender als Rilke halte. Aber ich widerspreche nicht. Ich sehe den Dichter Casanovas und Mohammeds erwartungsvoll an.

»Also gut«, fahrt Hungermann fort, wird aber abgelenkt.»Woher hast du ubrigens diesen neuen Anzug?«

»Ich habe ihn mir heute von einem Schweizer Honorar gekauft«, erwidere ich mit der Bescheidenheit eines Pfauen.»Es ist mein erster neuer Anzug, seit ich Soldat Seiner Majestat wurde. Kein umgearbeiteter Militarrock. Echtes, richtiges Zivil! Die In?ation ist vorbei!«

»Ein Schweizer Honorar? Du bist also bereits international bekannt? Nun ja«, sagt Hungermann uberrascht und sofort leicht verargert:»Von einer Zeitung?«

Ich nicke. Der Autor Casanovas macht eine abschatzige Bewegung.»Dachte ich! Meine Sachen sind naturlich nichts fur den Tagesverbrauch. Hochstens fur literarische Zeitschriften ersten Ranges. Was ich vorher meinte, ist, da? ein Band Gedichte von mir unglucklicherweise vor drei Monaten bei Arthur Bauer in Werdenbruck erschienen ist! Ein Frevel!«

»Hat man dich dazu gezwungen?«

»Ja, moralisch. Bauer hat mich belogen. Er wolle enorme Reklame machen, den Verlag erweitern, Morike, Goethe, Rilke, Stefan George, vor allem Holderlin mit mir erscheinen lassen – und nichts davon hat er gehalten.«

»Er hat Otto Bambuss herausgebracht«, erwidere ich.

Hungermann winkt ab.»Bambuss – unter uns, ein Pfuscher und Nachemp?nder. Hat mir nur geschadet. Wei?t du, wieviel Bauer von meinem Werk verkauft hat? Nicht mehr als funfhundert Exemplare!«

Ich wei? von Bauer, da? die Gesamtau?age zweihundertfunfzig Exemplare war; verkauft worden sind achtundzwanzig, davon heimlich von Hungermann angekauft neunzehn. Und zum Druck gezwungen wurde nicht Hungermann, sondern Bauer. Hungermann, als Deutschlehrer am Realgymnasium, hat Arthur erpre?t, da er sonst einen andern Buchhandler an seiner Schule empfehlen wurde.

»Wenn du jetzt in Berlin an der Zeitung bist«, erklart Hungermann,»du wei?t, da? Kameradschaft unter Kunstlern das edelste Gut ist!«

»Ich wei? es.«Hungermann zieht ein Bandchen seiner Gedichte aus der Tasche.»Hier – mit Widmung. Schreib daruber in Berlin. Und schick mir zwei Belegexemplare. Ich werde dir dafur hier in Werdenbruck die Treue halten. Und wenn du druben einen guten Verleger ?ndest – der zweite Band der Gedichte ist in Vorbereitung.«

»Gemacht.«

»Ich wu?te, da? ich mich auf dich verlassen kann.«Hungermann schuttelt mir feierlich die Hand.»Bringst du nicht auch bald etwas heraus?«

»Nein. Ich habe es aufgegeben.«

»Was?«

»Ich will noch warten«, sage ich.»Ich will mich erst einmal in der Welt umsehen.«

»Sehr weise!«erklart Hungermann nachdrucklich.»Wenn nur mehr Leute das machen wurden, anstatt unreifes Zeug zu schmieren und den Konnern dadurch im Wege zu stehen!«

Er schaut scharf im Raume umher. Ich erwarte irgendein belustigtes Zwinkern von ihm; aber er ist plotzlich serios. Ich bin fur ihn eine Geschaftsmoglichkeit geworden; da hat ihn der Humor sofort verlassen.»Sag den anderen nichts von unserer Abmachung«, scharft er mir noch ein.

»Sicher nicht«, erwidere ich und sehe Otto Bambuss sich heranpirschen.

Eine Stunde spater habe ich von Bambuss die»Stimmen der Stille«mit schmeichelhafter Widmung in der Tasche, dazu in Schreibmaschinen-Durchschlagen die exotischen Sonette»Die Tigerin«, die ich in Berlin anbringen soll – von Sommerfeld trage ich die Abschrift seines Buches vom Tode in freien Rhythmen bei mir – von anderen Mitgliedern ein Dutzend weitere Arbeiten in Kopien – und von Eduard den Durchschlag seines Paans auf den Tod eines Freundes, hundertundachtundsechzig Zeilen, die Valentin, dem Kameraden, Mitkampfer und Menschen gewidmet sind. Eduard arbeitet schnell.

Es ist plotzlich alles weit weg.

Es ist so weit weg wie die In?ation, die vor zwei Wochen gestorben ist – oder die Kindheit, die von einem Tage zum andern in einem Militarrock erstickt wurde. Es ist so weit weg wie Isabelle.

Ich sehe die Gesichter an. Sind es noch die Gesichter staunender Kinder, die dem Chaos oder dem Wunder gegenuberstehen, oder sind es bereits die Gesichter betriebsamer Vereinsmeier? Ist in ihnen noch etwas von dem hingerissenen und entsetzten Antlitz Isabelles, oder sind es nur die Imitatoren und geschwatzigen Wichtigtuer des Zehntel-Talents, das jede Jugend hat und dessen Verglimmen sie gro?sprecherisch und neidisch besingen, anstatt ihm schweigend zuzuschauen und einen Funken davon in ihr Dasein hinuberzuretten?

»Kameraden«, sage ich.»Ich trete hiermit aus eurem Klub aus.«

Alle Gesichter wenden sich mir zu.»Ausgeschlossen! Du bleibst korrespondierendes Mitglied des Klubs in Berlin«, erklart Hungermann.

»Ich trete aus«, sage ich.

Einen Augenblick schweigen die Poeten. Sie sehen mich an. Irre ich mich, oder sehe ich in einigen Augen etwas wie Angst vor einer Entdeckung?»Du meinst das wirklich?«fragt Hungermann.

»Ich meine es wirklich.«

»Gut. Wir nehmen deinen Austritt an und ernennen dich hiermit zum Ehrenmitglied des Klubs.«

Hungermann blickt sich um. Er erhalt rauschenden Beifall. Die Gesichter entspannen sich.»Einstimmig angenommen!«sagt der Dichter des Casanova.

»Ich danke euch«, erwidere ich.»Es ist ein stolzer Moment. Aber ich kann das nicht annehmen. Es ware so, wie sich in seine eigene Statue zu verwandeln. Ich will nicht als Ehrenmitglied von irgend etwas in die Welt gehen, nicht einmal als das von unserem Etablissement in der Bahnstra?e.«

»Das ist kein schoner Vergleich«, erklart Sommerfeld, der Poet des Todes.

»Es sei ihm gestattet«, erwidert Hungermann.»Als was willst du dann in die Welt gehen?«

Ich lache.»Als kleiner Funke Leben, der versuchen wird, nicht zu erloschen.«

»Du lieber Gott«, sagt Bambuss.»Steht das nicht ahnlich schon bei Euripides?«

»Moglich, Otto. Dann mu? etwas daran sein. Ich will auch nicht daruber schreiben; ich will versuchen, es zu sein.«

»Es steht nicht bei Euripides«, erklart Hungermann, der Akademiker, mit freudigem Blick auf den Dorfschulmeister Bambuss.»Du willst also -«fragt er mich.

»Ich habe gestern abend ein Feuer gemacht«, sage ich.»Es brannte gut. Ihr kennt die alte Marschregel: leichtes Gepack.«

Sie nicken alle eifrig. Sie kennen sie»nicht«mehr, das wei? ich plotzlich.»Also dann«, sage ich.»Eduard, ich habe hier noch zwolf E?marken. Die De?ation hat sie uberholt; aber ich glaube, ich hatte noch ein legales Recht, wenn ich es vor Gericht durchfechten mu?te, dafur mein Essen zu verlangen. Willst du sie in zwei Flaschen Johannisberger umtauschen? Wir wollen sie jetzt trinken.«

Eduard kalkuliert blitzschnell. Er kalkuliert auch Valentin ein und das Gedicht uber ihn in meiner Tasche.»In drei«, sagt er.

Willy sitzt in einem kleinen Zimmer. Er hat es gegen seine elegante Wohnung getauscht. Es ist ein machtiger Sprung in die Armut, aber Willy ertragt ihn gut. Er hat seine Anzuge gerettet, etwas Schmuck, und er wird dadurch noch lange Zeit ein eleganter Kavalier sein. Das rote Auto hat er verkaufen mussen. Er hatte zu waghalsig nach unten spekuliert. Die Wande seines Zimmers hat er selbst tapeziert – mit Geldscheinen und wertlosen Aktien der In?ation.»Es war billiger als eine Tapete«, erklart er.»Und unterhaltender.«

»Und sonst?«

»Ich werde wahrscheinlich einen kleinen Posten bei der Werdenbrucker Bank bekommen.«Willy grinst.»Renee ist in Magdeburg. Gro?er Erfolg im „Grunen Kakadu“, schreibt sie.«

»Schon, da? sie wenigstens noch schreibt.«

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