dem anderen Gebaude gesetzt hat! Wahrscheinlich hat er es ohne Ironie getan, denn die besten Witze der Welt werden immer von ernsthaften Vordergrundmenschen gemacht. Immerhin – la?t uns unsere Vernunft feiern, aber nicht zu stolz auf sie sein und ihrer nicht zu sicher! Du, Isabelle, hast sie zuruckbekommen, dieses Danaergeschenk, und oben sitzt Wernicke und freut sich und hat recht. Aber recht zu haben ist jedesmal ein Schritt dem Tode naher. Wer immer recht hat, ist ein schwarzer Obelisk geworden! Ein Denkmal!
Die Flasche ist leer. Ich werfe sie fort, so weit ich kann. Sie fallt mit einem dumpfen Laut in den weichen, aufgep?ugten Acker. Ich stehe auf. Ich habe genug getrunken und bin reif fur die Rote Muhle. Riesenfeld gibt dort heute einen vierfachen Abschieds- und Lebensretterabend. Georg wird da sein, Lisa, und dazu komme ich, der noch ein paar Privatabschiede zu erledigen gehabt hat, und wir alle werden au?erdem noch einen machtigen allgemeinen Abschied feiern – den von der In?ation.
Spat in der Nacht bewegen wir uns wie ein betrunkener Trauerzug die Gro?e Stra?e entlang. Die sparlichen Laternen ?ackern. Wir haben das Jahr etwas vorzeitig zu Grabe getragen. Willy und Renee de la Tour sind zu uns gesto?en. Willy und Riesenfeld sind in einen heftigen Kampf geraten; Riesenfeld schwort auf das Ende der In?ation und auf die Roggenmark – und Willy hat erklart, da? er dann bankrott sei, schon deshalb konne es nicht sein. Renee de la Tour ist darauf sehr schweigsam geworden.
Durch die wehende Nacht sehen wir in der Ferne einen zweiten Zug. Er kommt die Gro?e Stra?e entlang auf uns zu.»Georg«, sage ich.»Wir wollen die Damen etwas zurucklassen! Das dort sieht nach Streit aus.«
»Gemacht.«
Wir sind in der Nahe des Neumarkts.»Wenn du siehst, da? wir unterliegen, renne sofort zum Cafe Matz«, instruiert Georg Lisa.»Frage nach Bodo Ledderhoses Gesangverein und sag, wir brauchten ihn.«Er wendet sich zu Riesenfeld:»Sie stellen sich besser so, als gehorten Sie nicht zu uns.«
»Du turmst, Renee«, erklart Willy an ihrer Seite.»Halte dich weit vom Schu?!«
Der andere Zug ist herangekommen. Die Mitglieder tragen Stiefel, die gro?e Sehnsucht des deutschen Patrioten, und sie sind, bis auf zwei, nicht alter als achtzehn bis zwanzig Jahre. Dafur sind sie doppelt so viele wie wir.
Wir gehen aneinander vorbei.»Den roten Hund kennen wir doch!«schreit plotzlich jemand. Willys Haarkrone leuchtet auch nachts.»Und den Kahlkopf!«schreit ein zweiter und zeigt auf Georg.»Drauf!«
»Los, Lisa!«sagt Georg.
Wir sehen ihre wirbelnden Absatze.»Die Feiglinge wollen die Polizei holen«, ruft ein semmelblonder Brillentrager und will hinter Lisa hersetzen. Willy stellt ein Bein vor, und der Semmelblonde sturzt. Gleich darauf sind wir im Gefecht.
Wir sind funf ohne Riesenfeld. Eigentlich nur viereinhalb. Der Halbe ist Hermann Lotz, ein Kriegskamerad, dessen linker Arm an der Schulter amputiert ist. Er ist im Cafe Central mit dem kleinen Kohler, einem anderen Kameraden, zu uns gesto?en.»Pa? auf, Hermann, da? sie dich nicht umschmei?en!«rufe ich.»Bleib in der Mitte. Und du, Kohler, bei?, wenn du am Boden liegst!«
»Ruckendeckung!«kommandiert Georg.
Der Befehl ist gut; aber unsere Ruckendeckung sind im Augenblick die gro?en Schaufenster des Modehauses Max Klein. Das patriotische Deutschland sturmt gegen uns an, und wer will schon in ein Schaufenster gepre?t werden? Man rei?t sich den Rucken an den Splittern auf, und au?erdem ist da noch die Frage des Schadenersatzes. Sie wurde an uns hangenbleiben, wenn wir in den Splittern sa?en. Wir konnten nicht ?iehen.
Vorlau?g bleiben wir dicht beisammen. Die Schaufenster sind halb erhellt; wir konnen unsere Gegner dadurch recht gut sehen. Ich erkenne einen der alteren; er gehort zu denen, mit denen wir im Cafe Central schon einmal Krach gehabt haben. Nach dem alten Gesetz, die Fuhrer zuerst zu erledigen, rufe ich ihm zu:»Komm heran, du feiger Arsch mit Ohren!«
Er denkt nicht daran.»Rei?t ihn raus!«kommandiert er seiner Garde.
Drei sturmen an. Willy schlagt einem auf den Kopf, da? er umfallt. Der zweite hat einen Gummiknuppel und schlagt mir damit auf den Arm. Ich kann ihn nicht erwischen, er aber mich. Willy sieht es, springt vor und kugelt ihm den Arm aus. Der Gummiknuppel fallt auf den Boden. Willy will ihn aufheben, wird dabei aber umgerannt.»Schnapp den Knuppel, Kohler!«rufe ich. Kohler sturzt sich in das Durcheinander am Boden, wo Willy im hellgrauen Anzug kampft.
Unsere Schlachtordnung ist durchbrochen. Ich bekomme einen Sto? und ?iege gegen das Schaufenster, da? es klirrt. Zum Gluck bleibt es heil. Fenster offnen sich uber uns. Hinter uns, aus der Tiefe der Schaufenster, starren uns die elegant gekleideten Holzpuppen Max Kleins an. Sie tragen unbeweglich die neuesten Wintermoden und stehen da wie eine sonderbare, stumme Version der Weiber der alten Germanen, die von ihren Wagenburgen die Kampfer anfeuerten.
Ein gro?er Bursche mit Pickeln hat mich an der Kehle. Er riecht nach Hering und Bier, und sein Kopf ist mir so nahe, als wollte er mich kussen. Mein linker Arm ist lahm von dem Schlag mit dem Knuppel. Mit dem rechten Daumen versuche ich, ihm ins Auge zu sto?en, aber er verhindert das, indem er seinen Kopf fest gegen meine Backe pre?t, als waren wir zwei widernaturlich Verliebte. Da ich auch nicht treten kann, weil er zu dicht an mir steht, hat er mich ziemlich hil?os. Gerade als ich mich, ohne Luft, mit letzter Kraft nach unten fallen lassen will, sehe ich etwas, was mir bereits wie eine Illusion meiner schwindenden Sinne erscheint: eine bluhende Geranie wachst plotzlich aus dem pickeligen Schadel, wie aus einem speziell potenten Misthaufen, gleichzeitig zeigen die Augen einen Ausdruck milder Uberraschung, der Griff an meiner Kehle lockert sich, Topfscherben purzeln um uns herum, ich tauche, komme los, schie?e wieder hoch und spure ein scharfes Knacken – ich habe sein Kinn mit dem Schadel von unten erwischt, und er geht langsam in die Knie. Seltsamerweise haben die Wurzeln der Geranie, die von oben auf uns herabgeschleudert worden ist, den Kopf so fest umrahmt, da? der pickelige Germane mit der Blume auf dem Haupt in die Knie sinkt. Er wirkt so wie ein lieblicherer Nachkomme seiner Vorfahren, die Ochsenhorner als Kopfzier trugen. Auf seiner Schulter ruhen, wie Reste des zerschlagenen Helms, zwei grune Majolikascherben.
Es war ein gro?er Topf; aber der Schadel des Patrioten scheint aus Eisen zu sein. Ich fuhle, wie er, auf den Knien noch, versucht, mir mein Geschlecht zu beschadigen, und ich ergreife die Geranie samt Wurzeln und daran klebender Erde und schlage ihm die Erde in die Augen. Er la?t los, reibt sich die Augen, und da ich ihm so mit den Fausten nichts tun kann, gebe ich ihm den Schlag ins Geschlecht mit dem Fu? zuruck. Er knickt zusammen und fahrt mit den Pfoten nach unten, um sich zu schutzen. Ich haue ihm das sandige Wurzelge?echt zum zweitenmal in die Augen und erwarte, da? er die Hande wieder hochbringt, um das Ganze noch einmal zu wiederholen. Er aber geht mit dem Kopf herunter, als wolle er eine orientalische Verbeugung machen, und im nachsten Augenblick drohnt alles um mich herum. Ich habe nicht aufgepa?t und von der Seite einen machtigen Hieb erhalten. Langsam rutsche ich am Schaufenster entlang. Riesengro? und teilnahmslos starrt eine Puppe mit gemalten Augen und einem Biberpelz mich an.
»Durchschlagen zur Pi?bude!«hore ich Georgs Stimme. Er hat recht. Wir brauchen eine bessere Ruckendeckung. Aber er hat gut reden; wir sind eingekeilt. Der Gegner hat von irgendwoher Verstarkung bekommen, und es sieht aus, als wurden wir mit zerschnittenen Kopfen zwischen Max Kleins Mannequins landen.
In diesem Augenblick sehe ich Hermann Lotz am Boden knien.»Hilf mir den Armel ausziehen!«keucht er.
Ich greife zu und streife den linken Armel seines Jacketts hoch. Der blinkende kunstliche Arm wird frei. Es ist ein Nickelgerust, an dem unten eine stahlerne kunstliche Hand in einem schwarzen Handschuh befestigt ist. Hermann hat danach den Beinamen»Gotz von Berlichingen mit der eisernen Faust«bekommen. Rasch lost er den Arm von der Schulter ab, ergreift dann mit der naturlichen Hand seine kunstliche und richtet sich auf.»Bahn frei! Gotz kommt!«rufe ich von unten. Georg und Willy machen rasch Platz, so da? Hermann durch kann. Er schwingt seinen kunstlichen Arm wie einen Dresch?egel um sich und erreicht mit dem ersten Schlag einen der Anfuhrer. Die Angreifer weichen einen Augenblick zuruck. Hermann springt unter sie, dreht sich im Kreise, den kunstlichen Arm weit ausgestreckt. Gleich darauf wirbelt er den Arm herum, so da? er ihn jetzt am Schulterstuck festhalt und mit der kunstlichen stahlernen Hand zuschlagt.»Los! Zur Pi?bude!«ruft er.»Ich decke euch!«
Es ist ein ungewohnlicher Anblick, wie Hermann mit der kunstlichen Hand arbeitet. Ich habe ihn schon ofter so kampfen sehen; unsere Gegner aber nicht. Sie stehen einen Moment da, als ob der Satan zwischen sie gefahren ware, und das kommt uns zugute. Wir brechen durch und sturmen zum Pissoir auf dem Neumarkt