»Diesmal ist es wahr«, erklart Riesenfeld.»Ich habe es aus bester Quelle. Aus der Roggenmark wird dann eine Goldmark. Die Regierung steht dahinter.«

»Die Regierung! Die ist doch an der ganzen Abwertung schuld!«

»Mag sein. Aber jetzt ist es soweit. Sie hat keine Schulden mehr. Eine Billion In?ationsmark wird eine Goldmark werden.«

»Und die Goldmark wird dann wieder ’runtergehen, was? So geht der Tanz noch einmal los.«

Riesenfeld trinkt sein Bier aus.»Wollen Sie oder wollen Sie nicht?«fragt er.

Das Lokal scheint plotzlich sehr still zu sein.»Ja«, sage ich. Es ist, als sage es jemand neben mir. Ich traue mich nicht, Georg anzusehen.

»Das ist vernunftig«, erklart Riesenfeld.

Ich blicke auf das Tischtuch. Es scheint zu schwimmen. Dann hore ich, wie Georg sagt:»Kellner, bringen Sie die Flasche Forster Jesuitengarten sofort.«

Ich blicke auf.»Du hast uns doch das Leben gerettet«, sagt er.»Deshalb!«

»Uns? Wieso uns?«fragt Riesenfeld.

»Ein Leben wird nie allein gerettet«, erwidert Georg geistesgegenwartig.»Es ist immer mit ein paar anderen verbunden.«

Der Augenblick ist vorbei. Ich sehe Georg dankbar an. Ich habe ihn verraten, weil ich ihn verraten mu?te, und er hat es verstanden. Er bleibt zuruck.»Du besuchst mich«, sage ich.»Dann mache ich dich mit den gro?en Damen und Filmschauspielerinnen Berlins bekannt.«

»Kinder, das sind Plane«, sagt Riesenfeld zu mir.»Wo bleibt der Wein? Ich habe Ihnen ja soeben das Leben gerettet.«

»Wer rettet hier eigentlich wen?«frage ich.»Jeder einmal irgend-einen«, sagt Georg.»Genau, wie er immer einmal irgendeinen totet. Auch, wenn er es nicht wei?.«

Der Wein steht auf dem Tisch. Eduard erscheint. Er ist bla? und verstort.»Gebt mir auch ein Glas.«

»Verschwinde!«sage ich.»Schmarotzer! Wir konnen unsern Wein allein trinken.«

»Nicht deswegen. Die Flasche geht auf mich. Ich zahle sie. Aber gebt mir ein Glas. Ich mu? etwas trinken.«

»Du willst die Flasche spendieren? Uberlege, was du sagst!«

»Ich meine es.«Eduard setzt sich.»Valentin ist tot«, erklart er.

»Valentin? Was ist ihm denn passiert?«

»Herzschlag. Habe es gerade am Telefon gehort.«

Er greift nach einem Glas.»Und du willst darauf trinken, du Lump?«sage ich emport.»Weil du ihn los bist?«

»Ich schwore euch, nein! Nicht deshalb! Er hat mir doch das Leben gerettet.«

»Was«, sagt Riesenfeld.»Ihnen auch?«

»Naturlich mir, wem sonst?«

»Was ist hier los?«fragt Riesenfeld.»Sind wir ein Klub von Lebensrettern?«

»Es liegt an der Zeit«, erwidert Georg.»Es ist in diesen Jahren vielen gerettet worden. Und vielen nicht.«

Ich starre Eduard an. Er hat tatsachlich Tranen in den Augen; aber was wei? man bei ihm?»Ich glaube dir nicht«, sage ich.»Du hast ihm das an den Hals gewunscht! Ich habe es zu oft gehort. Du wolltest deinen verdammten Wein sparen.«

»Ich schwore euch, nein! Ich habe es manchmal so gesagt, wie man etwas sagt. Aber doch nicht im Ernst!«Die Tropfen in Eduards Augen werden dicker.»Er hat mir ja tatsachlich das Leben gerettet.«

Riesenfeld steht auf.»Ich habe jetzt genug von diesem Lebensretter-Quatsch! Sind Sie nachmittags im Buro? Gut!«

»Schicken Sie keine Blumen mehr, Riesenfeld«, warnt Georg.

Riesenfeld winkt ab und verschwindet mit einem unde?nierbaren Gesicht.

»La?t uns ein Glas auf Valentin trinken«, sagt Eduard. Seine Lippen zittern.»Wer hatte das gedacht! Durch den ganzen Krieg ist er gekommen, und jetzt auf einmal liegt er da, von einer Sekunde zur anderen.«

»Wenn du schon sentimental sein willst, dann sei es richtig«, erwidere ich.»Hole eine Flasche von dem Wein, den du ihm nie gegonnt hast.«

»Den Johannisberger, jawohl.«Eduard erhebt sich eifrig und watschelt davon.

»Ich glaube, er ist ehrlich traurig«, sagt Georg.

»Ehrlich traurig und ehrlich erleichtert.«

»Das meine ich. Mehr kann man meistens nicht verlangen.«

Wir sitzen eine Weile.»Es passiert eigentlich etwas viel im Augenblick, was?«sage ich schlie?lich.

Georg sieht mich an.»Prost! Einmal mu?t du ja gehen. Und Valentin? Er hat ein paar Jahre langer gelebt, als man 1917 hatte vermuten sollen.«

»Das haben wir alle.«

»Ja, und deshalb sollten wir was draus machen.«

»Tun wir das nicht?«

Georg lacht.»Man tut es, wenn man nichts anderes im Augenblick will, als was man gerade tut.«

Ich salutiere.»Dann habe ich nichts aus meinem gemacht. Und du?«

Er blinzelt.»Komm, la? uns hier verschwinden, ehe Eduard zuruckkehrt. Zum Teufel mit seinem Wein!«

»Sanfte«, sage ich gegen die Mauer in das Dunkel.»Sanfte und Wilde, Mimose und Peitsche, wie toricht war ich, dich besitzen zu wollen! Kann man den Wind einschlie?en? Was wird dann aus ihm? Verbrauchte Luft. Geh, geh deinen Weg, geh zu den Theatern und Konzerten, heirate einen Reserveo?zier und Bankdirektor, einen In?ationssieger, geh, Jugend, die du nur den verla?t, der dich verlassen will, Fahne, die ?attert, aber nicht einzufangen ist, Segel vor vielen Blaus, Fata Morgana, Spiel der bunten Worte, geh, Isabelle, geh, meine spate, nachgeholte, uber einen Krieg zuruckgerissene, etwas zu wissende, etwas zu altkluge Jugend, geh, geht beide, und auch ich werde gehen, wir haben uns nichts vorzuwerfen, die Richtungen sind verschieden, aber auch das ist nur scheinbar, denn den Tod kann man nicht betrugen, man kann ihn nur bestehen. Lebt wohl! Wir sterben jeden Tag etwas mehr, aber wir leben auch jeden Tag etwas langer, ihr habt mich das gelehrt, und ich will es nicht vergessen, es gibt keine Vernichtung, und wer nichts halten will, besitzt alles, lebt wohl, ich kusse euch mit meinen leeren Lippen, ich umarme euch mit meinen Armen, die euch nicht halten konnen, lebt wohl, lebt wohl, ihr in mir, die ihr bleibt, solange ich euch nicht vergesse -«

Ich trage in meiner Hand eine Flasche Rothschen Korn und sitze auf der letzen Bank der Allee mit dem vollen Blick auf die Irrenanstalt. In meiner Tasche knistert ein Scheck auf harte Devisen: drei?ig volle Schweizer Franken. Die Wunder haben nicht aufgehort: eine Schweizer Zeitung, die ich seit zwei Jahren mit meinen Gedichten bombardiert habe, hat in einem Anfall von Raserei eines angenommen und mir gleich den Scheck geschickt. Ich war bereits auf der Bank, mich zu erkundigen – die Sache stimmt. Der Bankvorsteher hat mir sofort einen Preis in schwarzer Mark dafur angeboten. Ich trage den Scheck in der Brusttasche, nahe dem Herzen. Er ist ein paar Tage zu spat gekommen. Ich hatte mir fur ihn einen Anzug und ein wei?es Hemd kaufen und damit eine reprasentable Figur vor den Damen Terhoven machen konnen. Dahin! Der Dezemberwind pfeift, der Scheck knistert, und ich sitze hier unten in einem imaginaren Smoking, ein Paar imaginarer Lackschuhe, die Karl Brill mir noch schuldet, an den Fu?en, und lobe Gott und bete dich an, Isabelle! Ein Taschentuch aus feinstem Batist ?attert in meiner Brusttasche, ich bin ein Kapitalist auf der Wanderschaft, die Rote Muhle liegt mir zu Fu?en, wenn ich will, in meiner Hand blinkt der Champagner des furchtlosen Trinkers, des Nie-genug-Trinkers, der Trank des Feldwebels Knopf, mit dem er den Tod in die Flucht schlug – und ich trinke gegen die graue Mauer mit dir dahinter, Isabelle, Jugend, mit deiner Mutter dahinter, mit dem Bankbuchhalter Gottes, Bodendiek, dahinter, mit dem Major der Vernunft, Wernicke, dahinter, mit der gro?en Verwirrung dahinter und dem ewigen Krieg, ich trinke und sehe gegenuber, links von mir, die Kreis-Hebammenanstalt, in der noch ein paar Fenster hell sind und in der Mutter gebaren, und es fallt mir erst jetzt auf, da? sie so nahe bei der Irrenanstalt liegt – dabei kenne ich sie und sollte sie auch kennen, denn ich bin in ihr geboren worden und habe bis heute kaum je daran gedacht! Sei gegru?t auch du, trautes Heim, Bienenstock der Fruchtbarkeit, man hat meine Mutter zu dir gebracht, weil wir arm waren und das Gebaren dort umsonst war, wenn es vor einem Lehrgang werdender Hebammen geschah, und so diente ich schon bei meiner Geburt der Wissenschaft! Gegru?t sei der unbekannte Baumeister, der dich so sinnvoll nahe

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