Wellen spritzte gegen die Wande der Hutte und ein zorniger Wind ruttelte an den schmutzigen Fenstern. Tante Petunia fand ein paar nach Aal riechende Leintucher und machte Dudley auf dem mottenzerfressenen Sofa ein Bett zurecht. Sie und Onkel Vernon gingen ins zerlumpte Bett nebenan, und Harry mu?te sich das weichste Stuck Fu?boden suchen und sich unter der dunnsten, zerrissensten Decke zusammenkauern.

Die Nacht ruckte vor und immer wutender blies der Sturm. Harry konnte nicht schlafen. Er bibberte und walzte sich hin und her, um es sich bequemer zu machen, und sein Magen rohrte vor Hunger. Dudleys Schnarchen ging im rollenden Donnern unter, das um Mitternacht anhob. Der Leuchtzeiger von Dudleys Uhr, die an seinem dicken Handgelenk vom Sofarand herunterbaumelte, sagte Harry, da? er in zehn Minuten elf Jahre alt sein wurde. Er lag da und sah zu, wie sein Geburtstag tickend naher ruckte. Ob die Dursleys uberhaupt an ihn denken wurden?, fragte er sich. Wo der Briefeschreiber jetzt wohl war?

Noch funf Minuten. Harry horte drau?en etwas knacken. Hoffentlich kam das Dach nicht herunter, auch wenn ihm dann vielleicht warmer sein wurde. Noch vier Minuten. Vielleicht war das Haus am Ligusterweg, wenn sie zuruckkamen, so voll gestopft mit Briefen, da? er auf die eine oder andere Weise einen davon stibitzen konnte.

Noch drei Minuten. War es das Meer, das so hart gegen die Felsen schlug? und (noch zwei Minuten) was war das fur ein komisches, mahnendes Gerausch? Zerbrach der Fels und sturzte ins Meer?

Noch eine Minute und er war elf Drei?ig Sekunden… zwanzig… zehn… neun – vielleicht sollte er Dudley aufwecken, einfach um ihn zu argern – drei… zwei… eine -

BUMM BUMM.

Die ganze Hutte erzitterte. Mit einem Mal sa? Harry kerzengerade da und starrte auf die Tur. Da drau?en war Jemand und klopfte.

Der Huter der Schlussel

BUMM, BUMM. Wieder klopfte es. Dudley schreckte aus dem Schlaf

»Wo ist die Kanone?«, sagte er dumpf.

Hinter ihnen horten sie ein lautes Krachen. Onkel Vernon kam hereingestolpert. In den Handen hielt er ein Gewehr – das war also in dem langen, schmalen Paket gewesen, das er mitgebracht hatte.

»Wer da?«, rief er.»Ich warne Sie – ich bin bewaffnet!«

Einen Augenblick lang war alles still. Dann -

SPLITTER!

Die Tur wurde mit solcher Wucht getroffen, da? sie glattweg aus den Angeln sprang und mit einem ohrenbetaubenden Knall auf dem Boden landete.

In der Turoffnung stand ein Riese von Mann. Sein Gesicht war fast ganzlich von einer langen, zottigen Haarmahne und einem wilden, struppigen Bart verdeckt, doch man konnte seine Augen erkennen, die unter all dem Haar schimmerten wie schwarze Kafer.

Dieser Riese zwangte sich in die Hutte, den Rucken gebeugt, so da? sein Kopf die Decke nur streifte. Er buckte sich, stellte die Tur aufrecht und setzte sie mit leichter Hand wieder in den Rahmen ein. Der Larm des Sturms drau?en lie? etwas nach. Er wandte sich um und blickte sie an.

»Konnte 'ne Tasse Tee vertragen. War keine leichte Reise…«

Er schritt hinuber zum Sofa, auf dem der vor Angst versteinerte Dudley sa?.

»Beweg dich, Klops«, sagte der Fremde.

Dudley quiekte und rannte hinter den Rucken seiner Mutter, die sich voller Angst hinter Onkel Vernon zusammenkauerte.

»Und hier ist Harry«, sagte der Riese.

Harry blickte hinauf in sein grimmiges, wildes Gesicht und sah, da? sich die Faltchen um seine Kaferaugen zu einem Lacheln gekrauselt hatten.

»Letztes Mal, als ich dich gesehen hab, warst du noch 'n Baby«, sagte der Riese.»Du siehst deinem Vater machtig ahnlich, aber die Augen hast du von deiner Mum.«

Onkel Vernon gab ein merkwurdig rasselndes Gerausch von sich.»Ich verlange, da? Sie auf der Stelle verschwinden!«. sagte er.»Das ist Hausfriedensbruch!«

»Aach, halt den Mund, Dursley, du Oberpflaume«, sagte der Riese. Er streckte den Arm uber die Sofalehne hinweg, ri? das Gewehr aus Onkel Vernons Handen, verdrehte den Lauf – als ware er aus Gummi – zu einem Knoten und warf es in die Ecke.

Onkel Vernon gab abermals ein merkwurdiges Gerausch von sich, wie eine getretene Maus.

»Dir jedenfalls, Harry«, sagte der Riese und kehrte den Dursleys den Rucken zu,»einen sehr herzlichen Gluckwunsch zum Geburtstag. Hab hier was fur dich – vielleicht hab ich zwischendurch mal draufgesessen, aber er schmeckt sicher noch gut.«

Aus der Innentasche seines schwarzen Umhangs zog er eine etwas eingedellte Schachtel. Harry offnete sie mit zitternden Fingern. Ein gro?er, klebriger Schokoladenkuchen kam zum Vorschein, auf dem mit grunem Zuckergu? Herzlichen Gluckwunsch, Harry geschrieben stand.

Harry sah zu dem Riesen auf Er wollte eigentlich danke sagen, aber auf dem Weg zum Mund gingen ihm die Worte verloren, und statt dessen sagte er:»Wer bist du?«

Der Riese gluckste.

»Wohl wahr, hab mich nicht vorgestellt. Rubeus Hagrid, Huter der Schlussel und Landereien von Hogwarts.«

Er streckte eine gewaltige Hand aus und schuttelte Harrys ganzen Arm.

»Was ist nun eigentlich mit dem Tee?«, sagte er und rieb sich die Hande.»Wurd nicht nein sagen, wenn er 'n bi?chen starker war, wenn du verstehst, was ich meine.«

Sein Blick fiel auf einen Korb mit den zusammengeschrumpften Kracker-Schachteln und er schnaubte. Er beugte sich zur Feuerstelle hinunter; sie konnten nicht sehen, was er tat, doch als er sich einen Moment spater aufrichtete, prasselte dort ein Feuer. Es erfullte die ganze feuchte Hutte mit flackerndem Licht, und Harry fuhlte die Warme uber sein Gesicht flie?en, als ob er in ein hei?es Bad getaucht ware.

Der Riese setzte sich wieder auf das Sofa das unter seinem Gewicht einknickte, und begann dann alle moglichen Dinge aus den Taschen seines Umhangs zu ziehen: einen Kupferkessel, eine platt gedruckte Packung Wurstchen, einen Schurhaken, eine Teekanne, einige ineinander gesteckte Becher und eine Flasche mit einer bernsteinfarbenen Flussigkeit, aus der er sich einen Schluck genehmigte, bevor der Tee zu kochen begann. Bald war die Hutte erfullt von dem Duft der brutzelnden Wurste. Wahrend der Riese arbeitete, sagte niemand ein Wort, doch als er die ersten sechs fetten, saftigen, leicht angekokelten Wurste vom Rost nahm, zappelte Dudley ein wenig. Onkel Vernon fauchte ihn an:»Dudley, du ruhrst nichts von dem an, was er dir gibt.«

Der Riese gab ein dunkles Glucksen von sich.

»Dein gro?er Pudding von einem Sohn mu? nicht mehr gemastet werden, Dursley, keine Panik.«

Er reichte die Wurstchen Harry, der so hungrig war, da? es ihm vorkam, als hatte er noch nie etwas Wundervolleres gekostet, doch immer noch konnte er den Blick nicht von dem Riesen abwenden. Schlie?lich, da offenbar niemand etwas zu erklaren schien, sagte er:»Tut mir Leid, aber ich wei? immer noch nicht richtig, wer du bist.«

Der Riese nahm einen gro?en Schluck Tee und wischte sich mit dem Handrucken den Mund.

»Nenn mich Hagrid«, sagte er,»das tun alle. Und wie ich dir schon gesagt hab, bin ich der Schlusselhuter von Hogwarts – uber Hogwarts wei?t du naturlich alles.«

»Ahm – nein«, sagte Harry.

Hagrid sah schockiert aus.

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