schlimmere Absichten. Ich wollte die Rakete mit eurer Hilfe finden, die Kameras zur Seite drehen und die Maschine zerlegen, tun auf diese Weise die Geheimnisse eurer Wissenschaft zu entratseln.
Aber allmahlich erkannte ich, da? die Argumente, die du vorhin gebraucht hast, tatsachlich den Kern der Sache trafen. Als ihr uns so bereitwillig erklartet, nach welchen Prinzipien die Segelflugzeuge der Inselbewohner funktionierten, ahnte ich, da? ihr uns nicht absichtlich Wissen vorenthalten wolltet.
Diese Ahnung wurde zur Gewi?heit, als ihr Dondragmer behilflich wart, den Flaschenzug zu bauen. Ich hatte erwartet, da? du davon sprechen wurdest; warum hast du es nicht getan?
Damals begann ich auch zu ahnen, was der Begriff ›Wissenschaft‹ wirklich bedeutet. Mir wurde klar, da? zum Verstandnis der Funktionsweise e iner so einfachen Maschine, die dein Volk schon nicht mehr benutzt, die Kenntnis zahlreicher N aturgesetze erforderlich ist, deren Existenz wir nicht einmal vermutet hatten. Seitdem wei? ich, da? ich nicht hoffen kann, alle eure Geheimnisse zu entratseln.
Aber ihr konnt trotzdem tun, was ich von euch verlange – der Flaschenzug ist ein Beispiel dafur.
Weder Dondragmer noch ich verstehen ihn, obwohl wir beide vermuten, da? er etwas mit den Hebeln zu tun hat, die wir ein Leben lang benutzt haben.
Wir mochten von Anfang an lernen und sind uns daruber im klaren, da? wir euer Wissen niemals ganz aufnehmen konnen, weil wir nicht lange g enug leben.
Ich mochte wissen, weshalb Mesklin eine Kugel ist, und wie ihr die gleiche Entdeckung auf eurer Erde gemacht habt, bevor ihr sie von au?en sehen konntet. Ich mochte wissen, weshalb die Bree schwimmt, wahrend das Kanu untergegangen ist.
Ich mochte wissen, warum es im Winter bei uns am warmsten ist, obwohl die Sonne dann so lange nicht am Himmel erscheint. Und falls ich jemals Kinder und Enkelkinder habe, sollen sie wissen, wie dieses Funkgerat, der Schlepper und sogar die Rakete funktionieren. Im mochte viel wissen und werde mich damit abfinden mussen, da? ich nicht alles lernen kann; aber wenn es mir gelingt, mein Volk auf den Weg zu bringen, an dessen Ende die ›Wissenschaft‹ liegt… nun, dann ware ich sogar bereit, dieses Wissen kostenlos abzugeben.«
Weder Lackland noch Rosten fiel eine Antwort ein, aber dann erkundigte Rosten sich: »Barlennan, wie wurdest du deinem Volk die Herkunft dieses Wissens erklaren? Glaubst du, da? es richtig ware, die Quelle preiszugeben?«
»Bestimmt nicht«, antwortete der Kommandant sofort, »denn das wurde nur dazu fuhren, da? niemand sich bemuht, selbst weitere Entdeckungen zu machen. Nein, die Leute sollen ruhig denken, ich sei das gro?e Genie. Oder lieber Don – er kann die Rolle glaubwurdiger spielen.«
»Gut, einverstanden«, sagte Rosten nur.
20
Ein blitzendes Metallskelett erhob sich zwei Meter uber der zu einem Drittel abgetragenen Rampe.
Funf oder sechs Meskliniten waren damit beschaftigt, eine Reihe von Verschlussen zu losen, die eben freigelegt worden waren; andere schafften Steine beiseite, um die Rampe noch niedriger zu machen; wieder andere waren mit flachen vierradrigen Karren auf der Stra?e zum Rand der Klippe unterwegs, um neue Vorrate zu holen. Uberall wurde gearbeitet; jeder schien genau zu wissen, was er zu tun hatte. Eines der Funkgerate stand unmittelbar neben der Rakete, damit die Wissenschaftler auf Toorey die Demontage uberwachen konnten; das zweite war in einiger Entfernung aufgebaut.
Dondragmer lag vor dem Objektiv des zweiten Gerats und unterhielt sich angeregt mit einem Mann, den er nicht sehen konnte. Ober ihm kreiste noch immer endlos die Sonne, die jetzt aber allmahlich tiefer sank und dabei sehr, sehr langsam gro?er wurde.
»Ich furchte, da? es nicht leicht sein wird, die Flexion des Lichts zu uberprufen«, sagte der Maat eben. »Die Reflexion ist nicht weiter schwierig; die Metallspiegel aus den Platten eurer Rakete zeigen sie deutlich genug. Wirklich schade, da? das Gerat, aus dem wir die Linse nehmen durften, zu Boden gefallen ist; wir selbst haben leider kein Glas.«
Dondragmer schwieg nachdenklich und fuhr dann fort: »Aber vielleicht konntest du mir sagen, woraus euer Glas besteht und ob man zur Herstellung viel Warme braucht? Unsere Feuer sind ziemlich hei?, wie du wei?t. Au?erdem haben wir noch den Oberzug unserer Schussel – Charles hat ihn ›Eis‹ genannt, glaube ich. Ware das fur unseren Zweck geeignet?«
»An deiner Stelle wurde ich es lieber mit einem Stuck der Linse versuchen, Don«, antwortete die Stimme aus dem Lautsprecher. Es war nicht Lacklands Stimme; er hatte sich als ausgezeichneter Lehrer erwiesen, uberlie? das Mikrophon aber g elegentlich Spezialisten. »Jedes Stuck beugt das Licht und erzeugt sogar Bilder – aber das kommt spater. Ein Teil der Linse ware wirklich am besten, Don, falls eure Schwerkraft das Gerat nicht pulverisiert hat, als es gelandet ist.
Ich wei? naturlich, da? ihr Feuer habt, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, wie ihr Pflanzen in einer Wasserstoffatmosphare verbrennt, selbst wenn ihr ein Stuck Fleisch dazutut. Der Vorschlag mit dem Eis ware nicht schlecht, aber ihr mu?tet erst welches finden. Ich habe keine Ahnung, woraus euer Flu?sand besteht, deshalb schlage ich vor, da? ihr ihn einfach uber dem hei?esten Feuer schmelzt. Ich kann naturlich nichts garantieren, aber auf der Erde und anderen Planeten, die ich kenne, kann man aus gewohnlichem Sand bei hoher Warmezufuhr eine Art Glas machen, das sich durch bestimmte Zusatze wesentlich verbessern la?t. Ich wei? allerdings nicht, wie ich dir diese Zusatze beschreiben soll und wo sie auf Mesklin zu finden waren.«
»Vielen Dank; wir versuchen es mit dem Feuer, und ich sehe mich inzwischen nach einem Stuck der Linse um. Ich furchte allerdings, da? nicht allzu viel davon ubrig ist. Wir hatten das Gerat nicht am hochsten Punkt der Rampe auseinandernehmen durfen; der Teil, den du ›Tubus‹ nennst, ist einfach davongerollt.«
Der Maat verlie? seinen Platz am Funkgerat und sah Barlennan in der Nahe.
»Deine Wache kann gleich meine Leute ablosen«, stellte der Kommandant fest. »Ich bin zum Flu? unterwegs. Soll ich dir etwas von dort mitbringen?«
Dondragmer erwahnte den Vorschlag, Sand zu schmelzen, um Glas zu gewinnen. »Du konntest die kleine Menge, die wir fur diesen Zweck brauchen, ohne weiteres mitbringen, nehme ich an. Oder mu?t du schon zu viele andere Dinge befordern?«
»Keineswegs«, versicherte Barlennan ihm. »Es handelt sich um eine reine Vergnugungsfahrt. Da der Wind jetzt schwacher ist und abwechselnd aus verschiedenen Richtungen kommt, wollte ich ein bi?chen Navigation uben. Was nutzt schlie?lich ein Kommandant, der sein Schiff nicht steuern kann?«
»Richtig«, stimmte Dondragmer zu. »Haben die Flieger dir erzahlt, wofur die Instrumente gut sind, die wir jetzt freilegen?«
»Sie haben es versucht, aber wenn ich wirklich von dieser angeblichen Raumkrummung uberzeugt ware, hatte ich es vielleicht eher geglaubt. Am Schlu? haben sie wieder damit angefangen, da? Worte eigentlich nicht ausreichten, um die ganze Sache zu beschreiben. Aber wie soll man es sonst beschreiben konnen?«
»Das habe ich mich auch schon gefragt«, erwiderte Dondragmer. »Ich glaube, es hat irgend etwas mit ihrer Mathematik zu tun. Die Mechanik ist mir allerdings lieber; damit kann man gleich etwas anfangen und sieht wenigstens, was man tut.« Er zeigte auf den Haschenzug und die niedrigen Wagen.
»Das gleiche Gefuhl habe ich auch. Wir nehmen eine Menge mit nach Hause – aber einige Dinge behalten wir am besten vorlaufig fur uns.« Der Maat nickte zustimmend, als Barlennan auf das Ding zwischen den Felsen wies und dann fortfuhr: »Immerhin kann uns niemand davon abhalten, hier damit zu spielen.«
Der Kommandant ging seiner Wege, und Dondragmer sah ihm nachdenklich und amusiert nach. Er wunschte sich, Reejaaren konnte sie jetzt beobachten; der Insulaner war ihm von Anfang an unsympathisch gewesen und wurde unter diesen Umstanden vielleicht zugeben mussen, da? die Besatzung der Bree doch nicht nur aus Lugnern bestand.
Dergleichen Uberlegungen waren jedoch Zeitverschwendung. Er hatte genugend Arbeit. Die Rakete zu demontieren war naturlich weniger schon, als Experimente unter menschlicher Anleitung zu m achen, aber was sie versprochen hatten, mu?ten sie auch halten. Dondragmer erkletterte die Rampe und rief seine Wache zu sich nach oben.
Der Kommandant hatte inzwischen die Bree II erreicht. Sie lag fahrbereit vor ihm; zwei seiner Leute waren an Bord, und das Feuer brannte. Beim Anblick der gro?en Flachen fast durchsichtigen Stoffs mu?te Barlennan wie Dondragmer an Reejaaren denken, obwohl er sich eher vorstellte, was der Dolmetscher sagen wurde, wenn er sah, wozu der Bespannstoff in diesem Fall gebraucht wurde.
Auf Nahte konnte man sich also nicht verlassen!
Barlennans Leute verstanden ihr Handwerk, ohne da? ihnen die Flieger dabei geholfen hatten. Der Kommandant hatte die Segel mit diesem Zeug flicken lassen, bevor sie zehntausend Kilometer von den Inseln entfernt waren, wo er den Stoff erworben hatte, und die Nahte hatten selbst den Sturm unterhalb des Einschnitts ausgehalten.
Barlennan kletterte durch die Offnung in der Reling und schlo? sie sorgfaltig hinter sich; dann warf er einen Blick in den Feuerbehalter, der mit Metall aus einem Kondensator ausgekleidet war, den die Flieger fur diesen Zweck zur Verfugung gestellt hatten. Alle Taue und Leinen summten im leichten Wind; er nickte seinen Leuten zu. Einer der beiden warf etwas Holz auf die Glut im Feuerbehalter; der andere warf die Leinen los.
Hei?e Luft fullte den zwolf Meter gro?en Ballon; die Bree II stieg lautlos zwischen den Felsen auf und trieb mit dem Wind in Richtung Flu?.