»Solche Intoleranz ist doch bestimmt nicht mit unserem Glauben vereinbar, kleine Schwester?« bemerkte Colgu trocken.

»Das wurde ich auch sagen. Andere vielleicht nicht. Man berichtete mir, Colman von Cork habe vorgeschlagen, alle heidnischen Bucher zu vernichten. Doch ich finde, es ist unsere Pflicht, dafur zu sorgen, da? die Schatze unseres Volkes nicht verbrannt werden und verlorengehen, nur weil die Intoleranz in Mode kommt.«

Colgu lachte belustigt.

»Die Frage ist uberhaupt akademisch. Colman von Cork ist aus Furcht vor der Pest aus dem Lande geflohen. Seine Stimme zahlt nicht mehr.«

Sie durchquerten die winzige Familienkapelle. In Fidelmas Familie wurden viele Geschichten uberliefert, wie der heilige Patrick selbst nach Cashel gekommen war, um ihren Ahnherrn, Konig Conall Corc, zum neuen Glauben zu bekehren. Eine besagte, er habe das Kleeblatt, das seamrog, dazu benutzt, Co-nall die heilige Dreieinigkeit zu erklaren. Dabei war das nicht schwer zu verstehen, denn alle heidnischen Gotter des alten Irland waren dreieinige Gotter, vereinigten drei Personen in einem Gott.

Sie gelangten in die Privatraume der Familie und ihrer engsten Gefolgsleute, die hinter den allgemein zuganglichen Empfangsraumen lagen.

Ihr Zimmer war fur sie hergerichtet worden, in dessen Kamin ein frisch entfachtes Feuer loderte. Es war das Zimmer, in dem sie geboren worden war und ihre ersten Lebensjahre verbracht hatte. Es war kaum verandert worden.

Vor dem Feuer stand ein Tisch mit Speisen und Wein.

Colgu bedeutete seiner Schwester, sich auf einem Stuhl niederzulassen.

»Essen wir erst, und dabei werde ich versuchen, dir zu erklaren, warum Konig Cathal dich herrufen lie?.«

Fidelma gehorchte. Sie hatte eine lange und anstrengende Reise hinter sich und war hei?hungrig.

»Bist du sicher, da? unser Vetter zu krank ist, um mich zu sehen?« erkundigte sie sich, bevor sie die Mahlzeit begann. »Ich habe keine Angst vor der Gelben Pest. Seit zwei Jahren bin ich ihr oftmals begegnet und gesund geblieben. Und wenn ich ihr zum Opfer fallen sollte, nun, dann war es Gottes Wille.«

Colgu schuttelte traurig den Kopf.

»Cathal ist nicht einmal mehr in der Lage, mich zu erkennen. Sein Arzt meint, er werde diese Nacht nicht uberleben. Forbassach von Laigin hatte tatsachlich recht. Es ist jetzt meine Pflicht, auf seine Forderungen zu antworten.«

Fidelma pre?te die Lippen zusammen, als sie begriff, was das bedeutete.

»Wenn Cathal heute nacht stirbt, dann wirst du ...?«

Sie hielt inne im Bewu?tsein, da? es ungehorig war, diesen Gedanken auszusprechen, solange ihr alterer Vetter noch am Leben war.

Doch Colgu beendete ihren Satz mit einem bitteren Lachen.

»Dann werde ich Konig von Muman? Ja, genau das bedeutet es.«

Wie alle irischen Konige und Fursten, waren die Eoganacht-Konige von den derbfhine ihrer Familien,

das hei?t von allen lebenden Nachkommen von einem gemeinsamen Urgro?vater, in dieses Amt gewahlt worden. Beim Tode eines Konigs kamen sie zusammen und wahlten denjenigen von ihnen, der als nachster den Thron besteigen sollte. Es traten also nicht notwendigerweise die Sohne das Erbe des Vaters an. Failbe Fland, der Vater Colgus und Fidelmas, war Konig in Cashel gewesen. Er war vor sechsundzwanzig Jahren gestorben, als Fidelma und Colgu noch Kinder waren.

Um fur irgendein Amt im Lande in Frage zu kommen, mu?te der Kandidat jedoch mindestens das »Alter der Wahl« erreicht haben, das vierzehn Jahre fur ein Madchen und siebzehn Jahre fur einen Jungen betrug. Failbe Flands Vettern waren ihm in seinem Amt gefolgt, bis man drei Jahre zuvor Cathal mac Cathail zum Konig von Muman gewahlt hatte.

Es war Brauch und Gesetz, auch den Thronfolger, den tdnaiste, schon zu Lebzeiten eines Konigs zu bestimmen. Als Cathal Konig von Cashel wurde, hatte man Fidelmas Bruder Colgu zu seinem tdnaiste gewahlt.

Wenn also Cathal starb, wurde er Konig von Mu-man werden, dem gro?ten der funf Konigreiche von Eireann.

»Du ubernimmst eine schwere Verantwortung, Bruder«, sagte sie und legte ihm die Hand auf den Arm.

Er seufzte und nickte langsam.

»Ja. Selbst in guten Zeiten sind mit dem Amt viele schwere Burden verbunden. Aber jetzt sind die Zeiten schlecht, Fidelma. Das Konigreich steht vor vielen Problemen. Das gro?te Problem ist erst vor wenigen Tagen aufgetaucht, und deshalb hatte Cathal nach dir geschickt, als er noch nicht so krank war. Seit du von hier fort bist, kleine Schwester, hat sich dein Ruf als Brehon, als Anwaltin am Gericht und als Aufdeckerin von Geheimnissen weit verbreitet. Wir haben davon gehort, welche Dienste du dem Gro?konig geleistet hast, dem Konig von Northumbrien und selbst dem Heiligen Vater in Rom.«

Fidelma machte eine abwehrende Geste.

»Ich befand mich zufallig an den Orten, wo mein Talent gebraucht wurde«, antwortete sie. »Jeder, der einen logischen Verstand besitzt, hatte die Probleme ebenso losen konnen.«

Colgu lachelte sie an.

»Du warst noch nie eingebildet, Schwester.«

»Zeig mir eine eingebildete Person, und ich weise dir ihre Mittelma?igkeit nach. Aber was hat das alles mit Forbassach von Fearna zu tun?«

»Das erfahrst du gleich. Konig Cathal glaubte, du konntest ein Ratsel losen, das die Sicherheit des Konigreichs bedroht. Eigentlich bedroht es sogar den Frieden der funf Konigreiche von Eireann.«

»Welches Ratsel?« fragte Fidelma und machte sich an die Mahlzeit, die man fur sie vorbereitet hatte.

»Hast du von dem Ehrwurdigen Dacan gehort?«

Fidelma hob leicht eine Augenbraue bei Nennung dieses Namens.

»Wer hatte das nicht?« erwiderte sie rasch. »In einigen Kreisen wird er schon als Heiliger betrachtet. Er ist ein Lehrer und Theologe von nicht geringen Fahigkeiten. Sein Bruder, der Abt Noe von Fearna, ist der personliche Berater des Konigs von Laigin und gilt als ebenso fromm wie sein Bruder. Beide genie?en hohe Achtung und gro?es Ansehen. In vielen Gegenden der funf Konigreiche hort man von ihrer Weisheit und Mildtatigkeit.«

Colgu nickte langsam zu Fidelmas begeisterter Schilderung. Ein muder Ausdruck trat in sein Gesicht, als gefalle ihm nicht, was er da vernahm, er habe aber nichts anderes erwartet.

»Du wei?t, da? es in letzter Zeit Feindseligkeiten zwischen den Konigreichen Muman und Laigin gegeben hat?«

»Ich habe gehort, da?, seit vor ein paar Monaten der alte Konig Faelan an der Pest gestorben ist, der neue Konig Fianamail Mittel und Wege sucht, sein Ansehen zu erhohen, indem er Streit mit Muman anfangt«, stimmte sie zu.

»Und wie konnte er sein Ansehen besser erhohen, als dadurch, da? er einen Anla? findet, um von Mu-man die Ruckgabe des Kleinkonigtums Osraige zu fordern«, stellte Colgu bitter fest.

Fidelma spitzte die Lippen zu einem lautlosen Pfiff der Uberraschung.

Osraige war ein Kleinkonigreich, das seit langem die Ursache schlechter Beziehungen zwischen den beiden gro?eren Konigreichen Muman und Laigin bildete. Es erstreckte sich in nordsudlicher Richtung entlang dem Flu? Feoir. Vor Jahrhunderten, als die Konige von Muman als Gro?konige uber alle funf Konigreiche von Eireann herrschten, unterstand Os-raige der Schutzherrschaft der Konige von Laigin. Als Edirsceal von Muman Gro?konig wurde, beschlossen die Manner von Laigin, ihn umzubringen, damit Nuada Necht von Laigin seinen Platz einnehme. Der Konig wurde ermordet, doch die Tater wurden entdeckt. Der Sohn von Edirsceal, Conaire Mor, wurde spater Gro?konig, und er und seine Brehons berieten, welchen Suhnepreis das Konigreich Laigin als Entschadigung fur diese Schandtat an Muman zahlen sollte. Es wurde beschlossen, da? Laigin das Konigreich Osraige abzutreten habe. Von da an gehorte Osraige zum Konigreich Muman, und seine Kleinkonige entrichteten ihren Tribut in Cashel und nicht mehr in Fearna, der Hauptstadt von Laigin.

Immer mal wieder protestierten die Konige von Laigin beim Gro?konig und forderten die Ruckgabe von Osraige. Doch sechs Jahrhunderte waren vergangen seit den Tagen von Conaire Mor, als Osraige an Muman fiel. Jeder Protest war von der Gro?en Ratsversammlung der Brehons von Eireann abgelehnt worden, die alle drei Jahre

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