Der rotgesichtige Mann trat zuruck und bedeutete seinen Leuten, die Waffen zu senken.
»Dann macht euch auf euren Weg. Reitet fort von hier, seht euch nicht um, dann passiert euch auch nichts.«
»Was geht hier vor?« fragte Fidelma und wies auf die brennenden Hauser.
»Der Fluch der Gelben Pest ist auf den Ort gefallen«, erklarte der Mann scharf. »Wir brennen ihn aus, das ist alles. Nun reitet los!«
»Aber was ist mit den Menschen?« protestierte Fidelma. »Auf wessen Befehl tut ihr das? Ich bin eine
Der Rotgesichtige kniff die Augen zusammen bei dem scharfen Ton der jungen Frau. Er schluckte einen Augenblick und starrte sie an, als konne er seinen Ohren nicht trauen. Dann sagte er zornig: »Die Konige in Cashel haben im Lande der Corco Loigde nichts zu befehlen. Das Recht dazu hat nur unser Furst Salbach.«
»Und Salbach ist dem Konig in Cashel verantwortlich, Mann«, machte ihm Cass klar.
»Wir sind weit weg von Cashel«, erwiderte der Mann trotzig. »Ich habe euch gewarnt, da? hier die Gelbe Pest herrscht. Nun macht euch fort, ehe ich es mir anders uberlege und meine Manner schie?en lasse.«
Er zeigte auf seine Bogenschutzen. Sie hoben wieder ihre Waffen und zogen die Bogensehnen straff. Die Federn der Pfeile lagen fest an ihren Wangen.
Cass’ Gesicht war angespannt.
»Tun wir, was er sagt, Fidelma«, flusterte er. Selbst wenn blo? ein Finger abrutschte, wurde der Pfeil sein Ziel sicher treffen. »Dieser Mann argumentiert nur mit Gewalt.«
Widerwillig kehrte Fidelma um und folgte Cass zuruck zur Landstra?e. Doch sobald sie um eine Biegung zwischen den Hugeln herum waren, fa?te sie ihn am Arm und hielt ihn an.
»Wir mussen zuruck und sehen, was da geschieht«, sagte sie fest. »Mit Feuer und Schwert gegen ein Dorf, in dem die Pest herrscht? Was fur ein Furst wurde ein solches Vorgehen billigen? Wir mussen nachsehen, was aus den Menschen geworden ist.«
Cass sah sie zweifelnd an.
»Das ist gefahrlich, Schwester. Wenn ich ein paar Manner bei mir hatte oder wenn ich allein ware .«
Fidelma schnaubte verachtlich.
»La? dir von meinem Geschlecht oder meinem geistlichen Stand keine Angst einjagen, Cass. Ich bin bereit, die Gefahr zu teilen. Oder furchtest du dich vor der Pest?«
Cass blinzelte angestrengt. Er war in seinem Kriegerstolz getroffen.
»Ich bin bereit, zuruckzureiten«, antwortete er kuhl. »Ich machte mir nur Sorgen um dich und deinen Auftrag. Doch wenn du es verlangst, kehren wir zuruck. Aber es ware besser, nicht den direkten Weg zu nehmen. Die Krieger konnten gerade darauf warten. Die furchte ich mehr als die Pest. Wir reiten noch weiter um die Hugel herum, lassen dann unsere Pferde stehen und suchen uns einen Punkt, von dem aus wir einen Blick auf das Dorf haben, ehe wir uns ihm nahern.«
Fidelma stimmte zogernd zu. Der Umweg hatte seinen Sinn.
Es dauerte eine halbe Stunde, bis sie ein Versteck hinter einem Gebusch am Rande des immer noch brennenden Dorfes fanden. Die Holzhauser standen in prasselnden Flammen, und einige sturzten ein und schleuderten Funkenregen und Rauchwolken empor. In kurzer Zeit, erkannte Fidelma, ware das Dorf nur noch eine verkohlte, glimmende Masse. Der Rotge-sichtige und seine Gefolgsleute schienen verschwunden. Es gab kein Lebenszeichen mehr inmitten der knisternden und gelegentlich brausenden Flammen.
Fidelma erhob sich langsam und zog einen Zipfel ihrer Kopfbedeckung vor den Mund, um ihre Lunge vor dem wallenden Rauch zu schutzen.
»Wo sind die Menschen?« fragte sie. Freilich erwartete sie keine Antwort von Cass, der verstandnislos die brennenden Uberreste von einem Dutzend Heimstatten betrachtete. Sie erhielt die Antwort, sobald sie die Frage ausgesprochen hatte. Zwischen den brennenden Hausern lagen die Leichen von Mannern, Frauen und Kindern. Die meisten waren niedergestreckt worden, bevor man ihr Heim in Brand setzte. Der Pest waren sie offensichtlich nicht zum Opfer gefallen.
»Schwester Eistens Hutte stand dort druben«, sagte Cass duster und zeigte in eine Richtung. »Sie fuhrte eine kleine Herberge fur Reisende und ein Waisenhaus. Ich habe dort gewohnt, als ich vor sechs Monaten hier durchkam.«
Er fuhrte sie durch den Rauch und die schwelenden Trummer an den Rand des Dorfes. Neben einem Felsen, dem eine Quelle entsprang, stand ein Gebaude. Die Herberge war nicht vollig zerstort worden, weil sie gro?tenteils aus ubereinandergeschichteten Steinen erbaut war. Nur das Holzdach, die Turen und der Inhalt des Gebaudes waren verbrannt. Sie standen vor einem Haufen hei?er, glimmender Asche.
»Die Menschen erschlagen, und kein Anzeichen von Pest. Das ist ein Ratsel«, knurrte Cass.
»Eine Fehde?« uberlegte Fidelma. »Vielleicht die Vergeltung fur etwas, was die Dorfbewohner getan haben?«
Cass zuckte die Achseln.
»Wenn wir nach Ros Ailithir kommen, mussen wir dem Fursten des Gebiets melden, was hier geschehen ist, und im Namen von Cashel eine Erklarung verlangen«, sagte er.
Fidelma stimmte ihm zu und blickte zogernd zum ostlichen Himmel auf. Bald wurde es dunkel werden. Sie mu?ten sich auf den Weg zur Abtei machen, sonst wurde es Nacht, lange bevor sie sie erreichten.
Plotzlich horten sie das schrille Weinen eines Babys. Fidelma sah sich rasch um und versuchte festzustellen, woher es kam. Cass war ihr schon voraus und kletterte den Hang zum Waldrand hinter der ausgebrannten Herberge hinauf.
Fidelma blieb nichts weiter ubrig, als ihm nachzueilen.
Im Gebusch bewegte sich etwas, und Cass langte hinein und packte etwas, das sich in seinem Griff wandte und schrie.
»Gott bewahre uns!« flusterte Fidelma.
Es war ein Kind von kaum acht Jahren, schmutzig und zerlumpt, das vor Furcht kreischte.
Weiter oben kam eine junge Frau unter den Baumen hervor. Ihr Gesicht war von Ru? und Schmutz verschmiert.
Angst spiegelte sich darin. In den Armen hielt sie einen weinenden Saugling, und an ihren Rock klammerten sich zwei kleine rothaarige Madchen, offenkundig Schwestern. Hinter ihr standen zwei dunkelhaarige Knaben. Sie alle waren sichtlich verstort.
Fidelma sah, da? die Frau kaum uber zwanzig war, sie trug das Gewand einer Nonne. Obwohl das Baby es fast verdeckte, bemerkte Fidelma ein gro?es und ungewohnlich geformtes Kruzifix. Es war eher im romischen Stil gearbeitet als im irischen, reich verziert und mit Halbedelsteinen besetzt. Trotz ihrer Jugend war die junge Frau von molliger Gestalt. Sie hatte ein rundes Gesicht und hatte normalerweise beschutzende Mutterlichkeit ausgestrahlt, jetzt aber zitterte sie am ganzen Leibe.
»Schwester Eisten!« rief Cass uberrascht aus. »Hab keine Angst. Ich bin es, Cass von Cashel. Ich habe in deiner Herberge gewohnt, als ich vor sechs Monaten durch dieses Dorf kam. Erinnerst du dich nicht an mich?«
Die junge Nonne musterte ihn eingehend und schuttelte den Kopf. Doch etwas Erleichterung schien sich in ihrem Gesicht abzuzeichnen, als sie ihre dunklen Augen fragend auf Fidelma richtete.
»Ihr seid nicht von Intat? Ihr gehort nicht zu seiner Schar?« fragte sie angstlich.
»Wer Intat auch ist, wir gehoren nicht zu seiner Schar«, antwortete Fidelma. »Ich bin Schwester Fidelma von Kildare. Mein Gefahrte und ich sind auf der Reise zur Abtei Ros Ailithir.«
Die Muskeln im Gesicht der jungen Schwester begannen sich zu entspannen. Sie versuchte, die Tranen zuruckzuhalten.
»Sind ... sind sie ... weg?« stie? sie endlich hervor. Ihre Stimme zitterte vor Furcht.
»Anscheinend sind sie fort«, beruhigte Fidelma sie. Sie trat vor und wollte ihr das Baby abnehmen. »Komm, du siehst vollig erschopft aus. Gib mir das Kind, damit du dich ausruhen und uns erzahlen kannst, was passiert ist. Was waren das fur Leute?«
Schwester Eisten fuhr zuruck, als wolle sie jede Beruhrung vermeiden. Sie hielt das Baby nur noch fester.
»Nein! Fa?t keinen von uns an.«
Fidelma hielt verblufft inne.