»Was hei?t das? Wir konnen euch nicht helfen, ehe wir nicht wissen, was hier geschieht.«

Schwester Eisten starrte sie aus gro?en Augen an.

»Die Pest, Schwester«, flusterte sie. »Wir hatten die Pest in unserem Dorf.«

Der Griff, mit dem Cass unbewu?t den noch immer zappelnden Jungen festhielt, verlor plotzlich an Kraft. Cass erstarrte. Der Junge ri? sich los.

»Pest?« flusterte Cass und trat unwillkurlich einen Schritt zuruck. Er war sichtlich beunruhigt von der Bestatigung, da? hier die Pest umging.

»Also gab es doch Pest im Dorf?« fragte Fidelma.

»Mehrere Leute starben in den letzten Wochen daran. Mich hat sie Gott sei Dank verschont, aber andere sind ihr erlegen.«

»Sind unter euch welche krank?« fragte Cass eindringlich und musterte besorgt die Kinder.

Schwester Eisten schuttelte den Kopf.

»Intat und seinen Mannern war das auch egal. Wir waren alle gestorben, wenn wir uns nicht versteckt hatten .«

Fidelma starrte sie mit wachsendem Entsetzen an.

»Ihr wart niedergemacht worden, ob ihr nun die Pest hattet oder nicht? Erklar mir das! Wer ist dieser Intat?«

Schwester Eisten unterdruckte ein Schluchzen. Sie war nahe am Zusammenbrechen. »Vor drei Wochen gab es die ersten Pestkranken im Dorf. Die Pest nahm weder auf Geschlecht noch Alter Rucksicht.«

Fidelma lie? den Blick von dem Baby, das nur ein paar Monate alt sein konnte, zu den wohl neunjahrigen rothaarigen Madchen wandern. Der blonde kleine Junge, der Cass entwichen war und sich hinter Schwester Eisten verschanzt hatte, war auch etwa in dem Alter. Die beiden gro?eren Jungen mit ihren finsteren Gesichtern, ihrem schwarzen Haar und mi?trauischen grauen Augen waren alter. Der eine mochte kaum uber zehn Jahre sein, der andere vielleicht vierzehn oder funfzehn. Sie schienen Bruder zu sein. Fidelma wandte den Blick wieder der molligen, zitternden jungen Nonne zu.

»Du sagtest, dieser Intat kam und totete die Menschen und brannte euer Dorf nieder, wahrend hier noch viele Leute gesund waren?«

Schwester Eisten schluchzte laut und bemuhte sich sichtlich, ihre Gedanken zusammenzunehmen.

»Diese Kinder und ich sind allein von den drei?ig Seelen im Dorf ubriggeblieben. Wir hatten keine Krieger, die uns beschutzten. Hier gab es nur Bauernhofe. Erst dachte ich, die Angreifer furchteten, da? die Pest auf die Nachbardorfer ubergreifen konnte, und wollten uns in die Berge treiben, damit wir sie nicht ansteckten. Aber dann begannen sie zu toten. Es machte ihnen anscheinend besondere Freude, die kleinen Kinder umzubringen.«

Sie stohnte leise auf bei der Erinnerung.

»Sind denn alle Manner in dem Dorf der Pest zum Opfer gefallen?« forschte Cass. »Gab es keinen, der euch verteidigte gegen diesen Angriff?«

»Es waren nur wenige Manner, die sich zur Wehr setzten. Was sollten ein paar Bauern gegen ein Dutzend bewaffnete Krieger ausrichten? Sie starben unter den Hieben Intats und seiner Manner .«

»Intat?« fragte Fidelma. »Wer ist dieser Intat, von dem du standig sprichst?«

»Er ist der Gaugraf dieser Gegend.«

»Der Gaugraf dieser Gegend?« Sie war emport. »Er wagte es, das Dorf mit Feuer und Schwert zu vernichten?«

»Ich konnte ein paar Kinder nehmen und sie und mich im Wald in Sicherheit bringen«, wiederholte Schwester Eisten und schluchzte. »Wir versteckten uns, wahrend Intat sein schlimmes Werk verrichtete. Er steckte das Dorf in Brand und .«

Sie konnte nicht weitersprechen.

»Was fur ein gro?es Verbrechen ist hier begangen worden, Cass?« sagte Fidelma leise und starrte auf die immer noch brennenden Hauser hinunter.

»Hatte nicht jemand zum boaire, zum Bezirksrichter, gehen und Schutz fordern konnen?« forschte Cass, sichtlich erschuttert von Schwester Eistens Bericht.

Die mollige Nonne verzog bitter das Gesicht.

»Intat ist ja der Richter dieses Bezirks!« rief sie zornig. »Er sitzt im Rat bei Salbach, dem Fursten der Corco Loigde. Nun habt ihr das Schlimmste gehort, jetzt wi?t ihr auch, da? hier die Pest herrschte, also macht euch auf den Weg und la?t uns in den Bergen umkommen.«

Fidelma schuttelte mitleidig den Kopf.

»Unser Weg ist jetzt auch euer Weg«, sagte sie bestimmt. »Ihr kommt mit uns nach Ros Ailithir, denn ich nehme an, diese Kinder haben keine Familie, die fur sie sorgt?«

»Nein, Schwester.« Die junge Nonne starrte Fidelma verwundert an. »Ich fuhrte hier ein kleines Haus fur die Waisen, die die Pest hinterlassen hat, und dies sind meine Schutzlinge.«

»Dann also auf nach Ros Ailithir.«

Cass sah sie besorgt an.

»Es ist ein langer Weg nach Ros Ailithir«, flusterte er und fugte noch leiser hinzu: »Der Abt wird es dir vielleicht nicht danken, wenn du die Abtei mit der Pest in Beruhrung bringst.«

Fidelma schuttelte den Kopf.

»Wir alle sind von ihr bedroht. Wir konnen uns nicht vor ihr verstecken oder sie ausbrennen. Wir mussen Gottes Willen annehmen, ob sie uns nun verschont oder nicht. Es ist schon spat. Sollten wir nicht lieber hier bleiben? Hier haben wir es wenigstens warm.«

Das loste sofort den Protest Schwester Eistens aus.

»Und wenn nun Intat und seine Manner zuruckkommen?« jammerte sie.

Cass nickte. »Sie hat recht, Fidelma. Die Moglichkeit besteht. Es ist besser, nicht hier zu bleiben, falls Intat sich in der Nahe aufhalt. Wenn er erfahrt, da? es

Uberlebende gibt, wird er seine Untat vollenden wollen.«

Widerstrebend stimmte Fidelma ihm zu.

»Je schneller wir aufbrechen, desto schneller sind wir da. Wir reiten so weit in Richtung Ros Ailithir, wie wir kommen.«

»Aber Intat hat unsere Tiere weggetrieben«, protestierte Schwester Eisten erneut. »Wir hatten zwar keine Pferde, aber ein paar Esel .«

»Wir haben zwei Pferde, die Kinder konnen zu zweit oder zu dritt auf ihnen reiten«, versicherte ihr Fidelma. »Wir Erwachsenen mussen zu Fu? gehen und uns beim Tragen des Babys abwechseln. Das arme Ding. Was ist mit der Mutter passiert?«

»Sie war eine von denen, die Intat erschlug.«

Fidelmas Augen wurden stahlhart.

»Er wird sich vor Gericht fur diese Untat zu verantworten haben. Als ein boaire mu? er die Folgen seiner Handlungsweise kennen. Und vor Gericht wird er kommen!« versicherte Fidelma.

Cass sah mit unverhohlenem Respekt, wie Fidelma ruhig, aber bestimmt die Fuhrung ubernahm, die Kinder auf die Pferde setzte und selbst das Baby trug, um Schwester Eisten die Gelegenheit zu geben, sich ein wenig zu erholen. Der jungere der beiden dunkelhaarigen Bruder schien nicht gewillt, den Schutz des Waldes zu verlassen, zweifellos noch verstort durch das, was er erlebt hatte. Es war sein alterer Bruder, der ihn schlie?lich mit ruhigen Worten zum Mitgehen uberredete. Der altere Junge lehnte es ab, sich auf ein Pferd zu setzen, sondern lief nebenher mit der Begrundung, er nahere sich dem »Alter der Wahl« und sei schon fast erwachsen. Fidelma lie? ihn gewahren. Sie zogen ihren Weg, und Cass hoffte instandig, da? ihnen nicht Intat und seine Bande unterwegs begegneten.

Cass konnte jedoch auch die Angste verstehen, die Dorfbewohner dazu brachten, uber ihre Nachbarn herzufallen, wenn diese die Pest hatten. Er hatte manche Geschichten gehort, wie die Gelbe Pest ganze Siedlungen entvolkerte, nicht nur in den funf Konigreichen von Eireann, sondern auch jenseits des Meeres, von wo sie gekommen sein sollte. Zum anderen war Cass klar, da? selbst die Furcht vor der Ausbreitung der Pest Intat und seine Leute nicht von ihrer Verantwortung vor dem Gesetz befreite. Intat als bo-aire mu?te wissen, welche Folgen er zu tragen hatte, wenn die Nachricht von dem schrecklichen Massaker nach Cashel gelangte. Er hatte Fidelma und Cass ihre Reise nur unbehelligt fortsetzen lassen, weil er glaubte, sie wurden nicht herausfinden, was geschehen war. Falls Intat bemerkte, da? sie einen Haken geschlagen hatten und auf

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