»Das Haar ist kupferfarben, fast rot«, gab Forbassach in quengeligem Ton zu. »Aber diese ... diese Person ... sieht immer noch wie ein Madchen aus.«
»Mussen wir diese Komodie noch weiterspielen, Nechtan?« fragte Fidelma. »Sag die Wahrheit.«
»Es ist alles vorbei, mein Junge«, rief Midach traurig und ohne Hoffnung. »Gestehen wir die Wahrheit ein.«
Der Junge mit dem kupferroten Haar starrte Fidelma mit beinahe ha?erfulltem Blick an.
»Ja, ich bin Nechtan, der Sohn Illans«, verkundete er stolz.
»Es war alles meine Idee«, beeilte sich Midach zu erklaren. »Ich wu?te nicht, was ich sonst tun sollte. Ich wu?te, da? Scandlan und seine Familie nach Illans Erben suchten. Ich kannte Illans Testament naturlich. Die Jungen waren in meine Obhut gegeben worden, und die jungeren sollten nach Sceilig Mhichil gehen. Ich glaubte, dort waren sie sicher. Doch ich wu?te nicht, wo ich Nechtan verstecken sollte. Aber dann kam mir der Gedanke, er konne sich, als Novizin verkleidet, in der Abtei verbergen und so konne ich ihn stets im Auge behalten. Wer die Erben Illans suchte, der suchte nach seinen Sohnen und nicht nach einem Madchen.«
»Nechtan war zwar gerade siebzehn geworden, doch mit seiner dunklen Stimme und schlanken Gestalt verwandelte er sich nun in eine junge Frau«, erganzte Fidelma. »Mit einer Farbe aus Holunderbeeren lie?en sich Lippen und Wangen roten, und aus Nech-tan wurde Schwester Necht.«
»Anfangs nahm ich an, Dacan handle im Auftrag von Scandlan«, fuhr Midach fort. »Als ich entdeckte, da? er Illans Testament entziffert hatte, verlie? ich sofort die Abtei, um die Jungen von der Insel wegzuholen, bevor man sie dort aufspurte. Ich brachte sie zuruck und gab sie Schwester Eisten mit nach Rae na Scrine. Erst nach meiner Ruckkehr in die Abtei erfuhr ich, da? Dacan umgebracht worden war.«
»Und wann gestand dir Nechtan, da? er es getan hatte?« fragte ihn Fidelma.
»Am nachsten .« Midach bi? sich auf die Lippen und senkte den Kopf. Nechtan starrte schweigend vor sich hin und zeigte keinerlei Bewegung.
Der Oberrichter beugte sich vor.
»Warum hat der Junge Dacan getotet?« fragte Bar-ran. »Diesen Punkt wollen wir endlich geklart haben.«
»Schwester Necht oder vielmehr Nechtan totete Dacan aus Furcht«, antwortete Fidelma. »Bevor Mi-dach nach Sceilig Mhichil abfuhr, hatte er ihm erzahlt, da? er glaube, Dacan arbeite fur seine Feinde. Necht ha?te Dacan bereits wegen seines selbstherrlichen, rucksichtslosen Wesens. Es fehlte nur noch ein Funke. Wenige Stunden, nachdem Midach abgereist war, um seine Bruder zu retten, erstach Nechtan Dacan. Ich glaube nicht, da? er die Tat vorsatzlich beging. Erst nachdem sie geschehen war, versuchte Nechtan sie so darzustellen, als sei sie mit Vorbedacht verubt worden.«
»Wie meinst du das?« fragte Barran.
»Nechtan brachte Dacan um und versuchte spater, eine Spur zu einer anderen Person zu legen, damit man dieser Person die Schuld gebe.«
»Und wie tat er das?«
»Nachdem Midach die Abtei verlassen hatte, wurde Nechtan in Dacans Zimmer gerufen und sollte ihm Wasser bringen. Vielleicht gab es einen Wortwechsel. Nechtan zog ein Messer und versetzte dem alten Mann im Zorn eine Reihe von Stichen.«
»Er hatte einen Verdacht, wer ich war, das wei? ich!« protestierte Nechtan und sprach damit zum erstenmal. Seine fruher schon dunkle Stimme klang etwas scharfer und mannlicher, verriet aber kein Gefuhl. »Entweder sein Leben oder meins, so standen die Dinge. Er hatte mich getotet, wenn er gewu?t hatte, wer ich bin.«
Forbassach sa? da und schuttelte verstandnislos den Kopf. Fidelma wies auf ihn.
»Du kannst dem ehrenwerten Anwalt von Laigin glauben, wenn er sagt, da? Dacan und Laigin den Kindern Illans nicht schaden wollten«, meinte Fidelma. »Also hast du Dacan aus einer unbegrundeten Furcht heraus umgebracht, Nechtan. Dacan suchte nach dir, weil Laigin deinen Anspruch auf die Konigsherrschaft in Osraige unterstutzen wollte. Man konnte deine Furcht als verstandlich bezeichnen. Aber was deine Tat schandlicher macht, Nechtan, ist dein Versuch, eine Spur zu Schwester Grella zu legen.«
»Ich wu?te, da? Schwester Grella mit Dacan zusammenarbeitete. Ich wu?te auch, da? Grella Salbachs Geliebte war«, verteidigte sich Nechtan. »Als Midach abreiste, um meine Bruder zu retten, beschlo? ich, uns alle zu retten. Wenn Grella des Mordes an Dacan beschuldigt wurde, ware das lediglich eine gerechte Vergeltung.«
»Du versuchtest das ganze Material zu vernichten, das Dacan gesammelt hatte und aus dem deine Identitat und die deiner Bruder hervorging. Du wu?test aber nicht, da? Grella den Entwurf von Dacans Brief an seinen Bruder an sich genommen hatte, um ihn Salbach zu zeigen. Au?erdem hast du nicht darauf geachtet, da? ein Ogham-Stab in Dacans Zimmer unter das Bett gerollt war. Du verrietest Entsetzen, als ich ihn fand. Deshalb mu?test du mir in die Bibliothek folgen, als ich ihn Grella brachte, damit du sicher warst, da? er nichts preisgebe. Grella erkannte ihn und tat so, als stunde etwas ganz anderes darauf, um mich von der Spur abzulenken. Ich lie? den Stab in der Bibliothek, und spater am Abend kehrtest du dorthin zuruck und verbranntest ihn mit den anderen Ogham-Staben, um deine Spuren zu verwischen.«
»Aber Dacan wurde gefesselt, bevor er getotet wurde«, wandte der Oberrichter ein. »Wie brachte der Junge das fertig?«
»Er wurde gefesselt, nachdem er getotet wurde, um Grella starker zu belasten. Es war klar, da? er nicht vorher gefesselt wurde, denn die Stoffstreifen von Grellas Rock waren so murbe, da? der Schwachste diese Fesseln hatte zerrei?en konnen. Das merkte ich schon zu Anfang meiner Untersuchung und wu?te, da? ich es mit einem sorgfaltig ausgetuftelten Plan zu tun hatte.«
Fidelma sprach nun direkt zu Nechtan.
»Du mu?t wohl den ganzen Rest der Nacht wach gelegen und uber deine Tat nachgedacht haben. Dann hast du beschlossen, da? du nicht nur eine Spur legen mu?t, die den Verdacht von dir weglenkt, sondern du wolltest auch, wie du zugegeben hast, Gerechtigkeit uben an einer Person, die du zu deinen Feinden zahltest.«
Nechtan stand da und schwieg.
»Du hast gewartet, bis die Glocke zur Fruhmette rief, und beobachtet, wie Schwester Grella zum Gottesdienst ging. In der Hoffnung, da? noch niemand Dacans Leiche entdeckt hatte, schlichst du dich in Grellas Zimmer und fandest einen alten Leinenrock, von dem du Streifen abrei?en konntest. Es war das einzige unverwechselbare Kleidungsstuck, das dir in die Hande fiel. Wahrscheinlich hast du gehofft, sie wurde den Rock oft tragen und die fehlenden Streifen wurden sofort auffallen. Dir war nicht klar, da? keine Nonne einen solchen Rock tragen wurde und da? es einfach ein alter abgelegter Rock war.
Mit den Streifen gingst du in Dacans Zimmer. Es war dunkel. Die Ollampe war leergebrannt. Also fulltest du sie auf und zundetest sie wieder an. Offensichtlich war noch niemand dagewesen. Dann bandest du Dacan an den Knocheln und an den Handen. Um ihm die Hande auf dem Rucken zu binden, mu?test du die Leiche auf dem Bett umdrehen, mit der Brust nach unten, wodurch Blutflecke auf die Decke gerieten. Das erschien mir merkwurdig, denn Dacan lag mit dem Rucken auf dem Bett und hatte Wunden in der Brust, und das Blut befand sich auf der Decke unter der Leiche. Die Leiche war also zu irgendeinem Zweck bewegt worden. Danach gingst du fort, hast aber vergessen, die Lampe zu loschen. Eine halbe Stunde spater kam Bruder Conghus. Deine falsche Fahrte bewirkte damals nichts. Niemand war so erfahren, ihre Bedeutung zu erkennen. Sie ergab keinen Sinn, bis ich mehr als eine Woche spater eintraf, um die Spur aufzunehmen.
Als ich von Sceilig Mhichil zuruckkehrte und feststellte, da? verschiedene Gegenstande aus dem Beutel verschwunden waren, den ich bei Abt Brocc zuruckgelassen hatte, begann ich zu ahnen, was geschehen sein konnte. Man hatte die Gegenstande gestohlen, die Hinweise auf die Sohne Illans enthielten. Geblieben waren die Beweisstucke, die Schwester Grella mit dem Mord in Verbindung brachten.«
Fidelma hielt inne und wartete auf eine Au?erung des Jungen. Nach einer Pause redete Barran ihn an.
»Du sagst nichts. Gibst du das alles zu?«
Der Junge zuckte die Achseln.
»Ich habe nichts zu sagen. Ich handelte in Notwehr.«
»Das bedeutet praktisch ein Gestandnis«, warnte ihn der Oberrichter.
»Wenn du es sagst«, antwortete der Junge ungeruhrt.
Midach trat vor und umarmte den Jungen mit sorgenvollem Gesicht.
»Mein Sohn, ich bin dein
Midachs Miene war voller Angst, als er Fidelma ansah.