»Es ist mein Fehler. Es ist allein mein Fehler! Ich habe ihm die Furcht vor Dacan eingegeben.« Er wandte sich an den Oberrichter. »Kann ich die Schuld fur diesen Jungen auf mich nehmen?«
Barran schuttelte den Kopf.
»Der Junge hat das Alter der Wahl erreicht. Er ist verantwortlich fur sein Tun wie ein Erwachsener. Was seine Angst vor Dacan betrifft, so hast du ihr nur eine greifbare Form verliehen, denn offensichtlich ha?te der Junge Dacan bereits und furchtete ihn aus diesem Ha? heraus.«
»Ja, er handelte aus Furcht. Selbst Fidelma von Kil-dare ist der Meinung.«
»Das mag so sein. Doch einen unschuldigen Menschen absichtlich zu belasten ist ein noch schlimmeres Verbrechen.«
»Noch ein Wort, Barran«, unterbrach ihn Fidelma. »Dieses Gericht hat seine Pflicht erfullt, wenn es den Abt von Ros Ailithir und den Konig von Muman von jeglicher Schuld am Tode Dacans von Fearna freispricht. Diese Ratsversammlung mu? sich darauf beschranken, den Anspruch Laigins auf Schadenersatz zu beurteilen. Es ist nun an diesem Gericht, seinen Spruch zu fallen. Eine weitere Aufgabe hat es nicht.
Nechtan wird sich vor einem anderen Gericht fur seine Taten zu verantworten haben, ebenso wie Sal-bach, dessen Verbrechen alle anderen weit ubertreffen. Dieses andere Gericht moge dann auch entscheiden, welcher Grad an Schuld Nechtan zuzumessen ist. Und wenn Nechtan es wunscht, werde ich ihn als sein Anwalt vertreten, denn ich meine, kein Junge, ob er nun gerade das Alter der Wahl erreicht hat oder nicht, sollte so sehr um sein Leben furchten mussen wie die drei Sohne Illans im letzten Jahr. Ich bin der Ansicht, da? diese Furcht seine Schuld in gewissem Ma?e mindert, wenn nicht sogar aufhebt.«
Midach starrte Fidelma verwundert an, wie viele andere auch.
Barran rausperte sich.
»Ich danke dir, Fidelma von Kildare«, sagte er trok-ken, »da? du mich an unsere Aufgabe erinnert hast. Ich glaube allerdings, da? ich oder die Ratsversammlung sie auch sonst nicht vergessen hatten.«
Fidelma senkte den Kopf unter der milden Ironie des Oberrichters.
»Anwalte von Cashel und Fearna, habt ihr eure Pladoyers und Gegenpladoyers abgeschlossen?« fragte der Oberrichter nun.
Fidelma zogerte einen Moment, dann erganzte sie: »Ich mochte das Gericht noch einmal an das erinnern, was ich zu Anfang sagte. Dacan kam, wie inzwischen auch sein Bruder Noe zugegeben hat, mit dem heimlichen Auftrag in dieses Konigreich, den Aufenthalt der Sohne Illans zu ermitteln, damit sie fur die politischen Ziele des Konigreichs Laigin eingesetzt werden konnten. Ich behaupte, da? auf Grund dieser Tauschung Dacan jeden Anspruch verwirkt hat, den er oder seine Verwandten nach dem Gastrecht erheben konnten.
Die Verantwortung liegt nicht beim Abt von Ros Ailithir und auch nicht in letzter Instanz bei Cashel.
Zweitens habe ich bewiesen, da? Nechtan, der Sohn Illans von Osraige, der wahre Schuldige ist; er ermordete Dacan, weil er sein Leben und das seiner jungeren Bruder in Gefahr glaubte. Es liegt nicht in der Zustandigkeit dieses Gerichts, uber seine Schuld zu urteilen, doch ich mochte noch einmal hervorheben, da? es mildernde Umstande fur Nechtans Handeln gibt.«
Fidelma kehrte zu ihrem Platz zuruck und setzte sich zum erstenmal, seit sie sich erhoben hatte, um ihr Pladoyer zu halten.
Barran gab Forbassach das Zeichen, sein Pladoyer zusammenzufassen und das zu widerlegen, was er fur falsch hielte.
Der Anwalt des Konigs von Laigin war in eine Diskussion mit seinem unglucklich dreinschauenden jungen Konig und dem mit steinerner Miene dasitzenden Abt von Fearna vertieft. Er wandte sich dem Gericht zu, erhob sich und sagte zogernd: »Laigin akzeptiert, da? Cashel nicht die Verantwortung fur Dacans Tod tragt. Aber ein Mord ist geschehen, und das Gericht mu? entscheiden, wer dafur verantwortlich zu machen ist.«
Barran wandte sich ab und wechselte flusternd ein paar Worte mit dem Gro?konig und dann mit Ultan von Armagh. Dann sagte er: »Der Fall, uber den dieses Gericht zu urteilen hat, liegt nun klar vor uns. Schwester Fidelma hat uns daran erinnert. Dieses Gericht soll daruber entscheiden, ob die Verantwortung fur den Tod Dacans bei Cashel liegt. Sollte dem so sein, wurde Laigin Anspruch auf Osraige als Suhnepreis erheben. Die Beweise, die uns vorgelegt wurden, fuhren zu dem Urteil, da? die Verantwortung fur Da-cans Tod nicht bei Cashel liegt. Daraus folgt, da? Laigins Forderung nach dem Suhnepreis abgelehnt wird. Osraige bleibt, wie schon in den letzten sechshundert Jahren, unter der Oberhoheit von Cashel, und seine Konige entrichten ihren Tribut an Cashel und nicht an Fearna.«
Beifalls erscholl.
Barran hob die Hand.
»Dennoch meine ich, in Ubereinstimmung mit dem Gro?konig, da? es noch etwas gibt, das das Gericht bei seinem Spruch berucksichtigen sollte. Wir haben gehort, aus welchem Grunde hier ein so tragischer Weg von Tod und Vernichtung beschritten wurde. All das ist auf die Tatsache zuruckzufuhren, da? das Volk von Osraige die Konigsherrschaft, die ihm von der Familie Ciarans von Saighir auferlegt wurde, die Konigsherrschaft der Familie der Fursten der Corco Lo-lgde, als nicht gerecht empfindet. Der heilige Ciaran war, meinen wir, schlecht beraten, als er die Corco Loigde in Osraige einsetzte. Es ist nun an der Zeit, da? die ursprunglichen Konige von Osraige wieder ihren rechtma?igen Platz einnehmen. Wir mochten den Konig von Cashel ermahnen, Ma?nahmen zu treffen, damit das Volk des Kleinkonigreichs von Os-raige frei entscheiden kann, von wem es nach den Gesetzen rechtma?iger Thronfolge regiert werden will.«
Colgu erhob sich mit ernstem Gesicht.
»Es hat mir gro?en Schmerz bereitet, zu erfahren, was sich in meinem Konigreich ereignet hat. Die Morde an all den Unschuldigen werden nicht ungestraft bleiben. Die Familie der Fursten der Corco Lo-lgde hat in moralischer Hinsicht ihren Anspruch verwirkt, Osraige zu regieren. Das Volk von Osraige soll entscheiden. So soll es sein, darauf schwore ich meinen heiligen Eid.«
Der Oberrichter dankte Colgu mit einem Lacheln.
»Deine Worte haben den Gro?konig erfreut. Es gibt noch eine weitere Ermahnung, die wir unserer Meinung nach mit unserem Urteil verbinden sollten. Es bleibt einem Gericht von Cashel uberlassen, den Grad der Schuld und das Strafma? fur den ungluckseligen Nechtan festzulegen. Nach dem, was wir vor diesem Gericht gehort haben, konnen wir jedoch sagen, da? Dacans Suhnepreis durch sein heimliches Vorgehen im Auftrag von Laigin verringert wird. Die Strafe fur den Tod eines Gelehrten vom Range Dacans betragt nach dem Gesetz sieben
Barran sah den Konig von Laigin an.
»Es gibt in dieser Sache noch weitere Schuldige. Dieses Gericht erklart, da? die Auftraggeber Dacans den Frieden der Konigreiche von Cashel und Laigin gestort und mit einem blutigen Krieg gedroht haben. Dafur sind sie verantwortlich. Der Suhnepreis fur den Konig einer Provinz betragt sechzehn
Fianamail sah bla? und verbittert aus, aber er schwieg.
»Weitere sieben
Der junge Konig stand zogernd auf und setzte zum Sprechen an, doch dann schuttelte er den Kopf und nahm seinen Platz wieder ein. Er flusterte mit seinem
Forbassach als sein Anwalt erhob sich.
»Laigin akzeptiert die Ermahnung des Gerichts«, sagte er ruhig.
»So mu? es auch sein«, stimmte ihm der Oberrichter feierlich zu. »Die Verhandlung vor dieser Ratsversammlung ist hiermit geschlossen.«
Fidelma sa? mit ihrem Bruder auf der Bastion des Wehrgangs auf der hohen Mauer der Abtei; sie schauten auf die Bucht hinaus. Der kleine Meeresarm lag jetzt still und verlassen da, abgesehen von ein paar Kustenseglern und Fischerbooten. Die vielen Schiffe, die den Gro?konig und seine Hofleute, den Erzbischof von Armagh und Fianamail von Laigin und seine Gefolgsmanner hergebracht hatten, waren alle wieder abgesegelt. Selbst das bedrohliche Kriegsschiff Mugrons, das ein fester Bestandteil der Szenerie der Bucht geworden zu sein schien, hatte