diesem Moment Charles in dieBibliothek trat. Tracy war in ihrem ganzen Leben noch nie so froh gewesen, jemanden zu sehen.
«Na?«fragte Charles strahlend.»Wie kommt ihr miteinander aus?«
Tracy stand auf und eilte in seine Arme.»Gut, Liebling. «Sie druckte ihn an sich und dachte: Gott sei Dank, da? Charles nicht so ist wie seine Eltern. So konnte er einfach nicht sein. Er ist nicht engstirnig und snobistisch und kalt.
Hinter Tracy und Charles wurde ein diskretes Husteln vernehmbar, und da stand derButler mit den Drinks. Es wird alles gut ausgehen, sagte sich Tracy. Dieser Film hat ein Happy?End.
Das Essen schmeckte vorzuglich, aber Tracy war so nervos, da? sie keinenBissen hinunterbrachte. Das Tischgesprach drehte sich umBankgeschafte und Politik und diebetrubliche Verfassung der Welt. Alles war sehr unpersonlich und hoflich. Niemand sagte laut:»Sie haben unseren Sohn zur Ehe gezwungen. «Man mu? fair sein, dachte Tracy. Sie haben naturlich das Recht, sich uber die Frau Gedanken zu machen, die ihr Sohn heiratet. Eines Tages wird ihm die Firma gehoren. Es ist wichtig, da? er die richtige Frau hat. Und Tracy schwor sich: Die wird er auch haben.
Charles nahm sacht die Hand, mit der Tracy unter dem Tisch an ihrer Serviette herumnestelte, lachelte und zwinkerte ihr aufmunternd zu. Ihr Herz machte einen Sprung.
«Tracy und mir ware eine kleine Hochzeit am liebsten«, sagte Charles.»Und danach…«
Mrs. Stanhope fiel ihm ins Wort.»Unsinn. Eine kleine Hochzeit… das gibt es nicht in unserer Familie, Charles. Dutzende von Freunden undBekannten werden erleben wollen, wie du heiratest. «Sieblickte Tracy an, betrachtete prufend ihre Figur.»Vielleicht sollten wir die Einladungen zur
Hochzeit schon in den nachsten Tagen losschicken. «Und dann fugte sie hinzu:»Das hei?t, wenn es euch recht ist.«
«Ja. Naturlich ist uns das recht. «Also wurde es doch eine Hochzeit geben. Warum hatte ich auch nur den Schatten eines Zweifels daran?
«Einige Gaste werden aus dem Ausland anreisen«, fuhr Mrs. Stanhope fort.»Ich sorge dafur, da? sie hier im Haus untergebracht werden konnen.«
«Wi?t ihr schon, wo ihr eure Flitterwochen verbringen wollt?«fragte Mr. Stanhope.
Charles lachelte und druckte Tracys Hand.»Das ist unser kleines Geheimnis, Vater.«
«Und wie lange sollen eure Flitterwochen dauern?«wollte Mrs. Stanhope wissen.
«Etwa funfzig Jahre«, antwortete Charles. Und Tracy liebte ihn dafur.
Nach dem Essen gingen sie in dieBibliothek, um einenBrandy zu trinken. Tracy sah sich in dem hubschen, alten, mit Eiche getafelten Raum um: Regale mit ledergebundenenBuchern, zwei Corots, ein kleiner Copley und ein Reynolds. Es hatte ihr nichts ausgemacht, wenn Charles vollig unvermogend gewesen ware, aber sie mu?te naturlich zugeben, da? ein Leben im Wohlstand sehr angenehm sein wurde.
Kurz vor Mitternacht fuhr Charles sie zu ihrer kleinen Wohnung in der Nahe des Fairmount?Parks zuruck.
«Hoffentlich war der Abend keine Strapaze fur dich, Tracy. Meine Eltern konnen manchmal einbi?chen steif sein.«
«Ich fand sie reizend«, log Tracy.
Sie war erschopft von der Anspannung der letzten Stunden, doch als sie mit Charles vor ihrer Wohnungstur stand, fragte sie:»Kommst du noch mit rein?«Er sollte sie jetzt in seinen Armen halten, sollte sagen:»Ich liebe dich. Kein Mensch auf der Welt wird uns je auseinanderbringen.«
Stattdessen sagte er:»Heute nicht mehr. Ich habe morgen
viel zu tun.«
Tracy verbarg ihre Enttauschung.»Naturlich, Liebling. Ich verstehe.«
«Ich rufe dich morgen an. «Er ku?te sie fluchtig, wandte sich um und ging den Korridor entlang. Tracy sah ihm nach, bis er verschwunden war.
Die Wohnung stand in Flammen. Glocken klingelten hartnackig und laut durch die Stille. Feueralarm. Tracy setzte sich schlaftrunken in ihremBett auf, schnupperte ins dunkle Zimmer. Roch es nach Rauch? Nein. Aber das Klingeln horte nicht auf, und Tracy wurde klar, da? es das Telefon war. EinBlick auf den Wecker: 2 Uhr 30. Charles ist etwas zugesto?en — das raste ihr als erster Gedanke durch den Kopf. In Panik griff sie nach dem Horer.
Eine ferne Mannerstimme fragte:»Tracy Whitney?«
Sie zogerte. Wenn es ein obszoner Anruf war…»Wer ist am Apparat?«
«Lieutenant Miller vom New Orleans Police Department. Spreche ich mit Tracy Whitney?«
«Ja. «Tracybekam Herzklopfen.
«Ich habe leider schlechte Nachrichten fur Sie.«
Tracy krampfte die Hand um den Horer.
«Es geht um Ihre Mutter.«
«Hatte sie einen Unfall?«
«Sie ist tot, Mi? Whitney.«
«Nein!«schrie Tracy. Das war ein obszoner Anruf. Irgendein Irrer versuchte, ihr Angst zu machen. Es war alles in Ordnung mit ihrer Mutter. Ihre Mutter lebte. Ich habe dich sehr, sehr lieb, Tracy.
«Ichbedaure au?erordentlich, Ihnen das auf diesem Wege mitteilen zu mussen.«
Es war Wirklichkeit. Ein Alptraum. Aber es geschah tatsachlich. Tracy konnte nicht sprechen, war wie gelahmt.
Und wieder die Mannerstimme:»Hallo? Mi? Whitney? Hallo?«»Ich komme mit der ersten Maschine.«
Tracy sa? in der winzigen Kuche ihrer Wohnung und dachte an ihre Mutter. Es konnte nicht sein, da? sie tot war. Sie war immer so lebensspruhend gewesen, so vital. Sie hatten eine so enge und liebevolleBeziehung gehabt. Seit ihrer Kindheit hatte Tracy mit allen Problemen zu ihrer Mutter kommen, mit ihr uber die Schule, die Jungen und spater uber die Manner reden konnen. Nach dem Tod von Tracys Vater waren viele Leute, die die Firma kaufen wollten, an Doris Whitney herangetreten. Sie hatten ihr so viel Geld geboten, da? sie den Rest ihres Lebens gut davon hatte leben konnen. Aber sie hatte sichbeharrlich geweigert, das Geschaft zu verkaufen.»Dein Vater hat diese Firma aufgebaut. Ich kann seine Lebensarbeit nicht einfach verschleudern. «Und sie hatte dafur gesorgt, da? das Geschaftbluhte.
Ach, Mutter, dachte Tracy. Ich liebe dich so sehr. Du wirst Charles nie kennenlernen. Du wirst dein Enkelkind nie sehen. Und Tracybegann zu weinen.
Sie machte sich Kaffee und lie? ihn kalt werden, wahrend sie im Dunkeln sa?. Sie sehnte sich so sehr danach, Charles anzurufen, ihm zu sagen, was geschehen war, ihn an ihrer Seite zu haben. Aber einBlick auf die Kuchenuhr zeigte ihr, da? sie ihn jetzt nicht anrufen konnte, ohne ihn zu wecken. Und das wollte sie nicht; deshalbwurde sie ihn aus New Orleans anrufen. Sie fragte sich, obder Tod ihrer Mutter einen negativen Einflu? auf die Heiratsplane haben wurde, und sofort hatte sie Schuldgefuhle. Wie konnte sie jetzt nur an sich denken? Lieutenant Miller hatte gesagt:»Wenn Sie hier sind, kommen Siebitte zur Polizeidirektion. «Warum zur Polizeidirektion? Was war passiert?
Tracy stand im uberfullten Empfangsgebaude des Flughafens von New Orleans und wartete inmitten ungeduldiger Passagiere, die stie?en und drangelten, auf ihren Koffer. Sie hatte das Gefuhl zu ersticken undbemuhte sich, naher an dasBand mit dem Gepack heranzukommen, aber niemand lie? sie durch. Nervositat stieg in ihr auf, und sie furchtete sich vor dem, was ihrbevorstand. Sie versuchte sich einzureden, das sei alles nur ein Mi?verstandnis, doch die Worte von Lieutenant Miller hallten wieder und wieder in ihr nach: Ich habe leider schlechte Nachrichten fur Sie… Sie ist tot, Mi? Whitney… Ichbedaure au?erordentlich, Ihnen das auf diesem Wege mitteilen zu mussen…
Als Tracy endlich ihren Koffer in der Hand hielt, stieg sie in ein Taxi und nannte die Adresse, die Lieutenant Miller ihr genannt hatte:»SouthBroad Street 715, bitte.«
Der Fahrer grinste sie im Ruckspiegel an.»Zu denBullen, wie?«
Kein Gesprach. Nicht jetzt. In Tracys Kopf war alles in Aufruhr, aber der Fahrer plauderte wahrend der Fahrt munter weiter:»Hat Sie die gro?e Show hierher gefuhrt, Mi??«
Tracy hatte keine Ahnung, wovon er redete, aber sie dachte: Nein. Mich hat der Tod hierher gefuhrt. Sie horte die Stimme des Fahrers, doch sie nahm seine Worte nicht wahr. Sie sa? starr im Fond und warblind fur die vertraute Umgebung, die an ihr vorbeizog. Erst als sie sich dem French Quarter naherten, bemerkte Tracy den wachsenden Larm. Es war das Getose eines verruckt gewordenen Pobelhaufens; Randaliererbrullten eine alte,