Lampenstandern erhob sich der prunkvolle Katafalk ganz wie vor dreiundeinhalb Monaten, als die Pforten sich nach Beendigung der Trauerfeierlichkeit, an der sich damals die ganze Stadt betheiligte, geschlossen worden waren.
Der Excentric Club, sein Vorsitzender an der Spitze, betrat die Halle. Der Meister Tornbrock in schwarzer Kleidung mit wei?er Cravatte und der unvermeidlichen Aluminiumbrille folgte den Herren nach. Ihnen schlossen sich die sechs Partner und so viele Zuschauer an, als der gro?e Raum nur aufnehmen konnte. Tiefes Schweigen herrschte innerhalb und au?erhalb des Bauwerkes – der Beweis einer ebenso tiefen Erregung – und Jovita Foley war gewi? nicht die gleichgiltigste unter den Anwesenden. Man erwartete ahnungsvoll die Losung des seit dem Wurfeln am 24. Juni vergeblich beanstandeten Rathsels… die Losung durch die Nennung eines Namens, des Namens des Siegers im Match Hypperbone. Es war um elf Uhr drei Minuten, als im Innern der Halle ein gewisses Gerausch entstand. Das kam von dem Katafalke her, von dem die kostbare Decke, wie von unsichtbarer Hand weggezogen, zu Boden glitt.
Und jetzt… welches Wunder! – Lissy Wag klammerte sich fester an Max Real’s Arm – erhob sich der Deckel des Sarges und der darin liegende Korper richtete sich empor. Da stand ein Mann vor der Versammlung, lebendig, durch und durch lebendig, und dieser Mann war kein anderer als… der Verstorbene, als William I. Hypperbone!
»Herr mein Gott!« stie? Jovita Foley hervor, und ihr Aufschrei wurde von Lissy Wag und Max Real vernommen, trotz des betaubenden Larmens des Erstaunens, der sich aus der gesammten Zuschauermenge erhob.
»Das ist ja der ehrwurdige Herr Humphry Weldon!« setzte sie, die Arme ausstreckend, hinzu.
Ja, der ehrwurdige Humphry Weldon, doch in weniger ehrwurdigem Alter, als gelegentlich seines Besuches bei Lissy Wag. Dieser Herr und William I. Hypperbone waren ein und dieselbe Person… Wir lassen hier auszugsweise den Bericht folgen, den die Zeitungen der ganzen Welt brachten, und der alles erklarte, was bei diesem wunderbaren Abenteuer unerklarlich erschien.
Am 1. April und in dem Hotel der Mohawk Street war es gewesen, wo William I. Hypperbone wahrend einer Partie des Edlen Gansespieles von einer heftigen Congestion befallen worden war. Nach seinem Hotel in der La Salle Street gebracht, starb er dort nach wenigen Stunden oder wurde wenigstens von den herbeigeholten Aerzten fur todt erklart.
Trotz der Aussage von »Sachverstandigen« befand sich William I. Hypperbone aber nur in einem kataleptischen Zustande, freilich vollig mit dem Aussehen eines Mannes, der das Zeitliche gesegnet hat. Es war ein Gluck fur ihn, in seinem Testamente nicht bestimmt zu haben, da? er einbalsamiert werden sollte, denn wenn das einmal geschehen war, kam er gewi? nicht wieder zur Besinnung. Da sieht man’s ja, wenn ein Mensch einmal Gluck haben soll…
Das prachtvolle Begrabni? ging in der uns bekannten Weise vor sich; danach schlossen sich am 3. April die Thuren des Mausoleums fur das hervorragendste Mitglied des Excentric Club.
Am Abend aber, als der Warter eben die letzten Lampen in der Halle loschen wollte, horte er, wie sich etwas im Innern des Katafalks bewegte. Schwache Seufzer drangen daraus hervor und eine halb erstickte Stimme rief nach ihm. Der Warter verlor den Kopf daruber nicht. Er holte eiligst seine Werkzeuge, schraubte den Sargdeckel auf, und das erste Wort des aus seinem lethargischen Schlummer erwachten William I. Hypperbone lautete:
»Nicht ein Wort… und Dein Gluck ist gemacht!«
Dann setzte er mit einer fur einen aus dem Jenseits zuruckgekehrten Mann au?erordentlichen Geistesgegenwart hinzu:
»Du allein, Du allein wirst also wissen, da? ich noch lebe… Du allein, nebst meinem Notar, dem Meister Tornbrock. Jetzt eile zu diesem und sage ihm, er moge augenblicklich hierherkommen.«
Ohne weitere Erklarungen abzuwarten, verlie? der Warter die Halle und lief, was er konnte, zu dem Notar.
Wie erstaunte, und wie freudig erstaunte aber Meister Tornbrock, als er eine halbe Stunde spater seinen Clienten wieder wohl und munter vor sich stehen sah.
William I. Hypperbone hatte seit seiner Auferstehung uber so mancherlei nachgedacht und war, was bei einem Manne seines Schlages nicht wundernehmen kann, zu folgendem Entschlusse gekommen:
Da er einmal testamentarisch die beruhmte Partie eingeleitet hatte, die zu so vieler Aufregung, zu so vielen Enttauschungen und Ueberraschungen Anla? geben sollte, wollte er diese auch von den durch das Los bestimmten Theilnehmern gespielt sehen, sich aber allen, fur ihn etwa daraus hervorgehenden Folgen unterwerfen.
»Dann werden Sie aber, wendete Meister Tornbrock ein, ganz sicherlich ruiniert sein, denn einer von den Sechsen mu? sie doch gewinnen. Freilich wird Ihr Testament, da Sie nicht todt sind – wozu ich Sie aufrichtig begluckwunsche – an sich hinfallig und die Anordnungen darin werden wirkungslos. Warum wollen Sie die Partie also noch spielen lassen?
– Weil ich daran selbst theilnehmen will.
– Sie?…
– Ja wohl… ich selbst.
Und jetzt… welches Wunder! Da stand ein Mann durch und durch lebendig. (S. 470)
– Und wie soll das moglich sein?
– Ich werde meinem Testamente ein Codicill anfugen und darin einen siebenten Partner bestimmen, der William I. Hypperbone unter der Chiffre X. K. Z. sein wird.
– Und Sie wollen wirklich mitspielen?
– Ganz wie die Anderen.
– Sie werden sich aber allen aufgestellten Spielregeln unterwerfen mussen…
– Das versteht sich von selbst.
– Und wenn Sie verlieren?…
– Nun so verliere ich eben, und mein ganzes Vermogen geht auf den Gewinnenden uber.
– Das ist Ihr Entschlu??…
– Mein fester Entschlu?. Da ich mich bisher durch keinerlei Excentricitat hervorgethan habe, will ich mich wenigstens unter dem Deckmantel meines Todes einmal excentrisch erweisen.«
Das Weitere ist leicht zu errathen. Der gutbelohnte Warter der Oakswoods, dem eine noch reichlichere Belohnung zugesichert wurde, wenn er bis zum Ausgang dieses Abenteuers reinen Mund hielte, hatte das Geheimni? bewahrt. William I. Hypperbone verlie? – noch vor dem Jungsten Gericht – den Friedhof, begab sich verkleidet zum Meister Tornbrock, errichtete hier das uns bekannte Codicill und bezeichnete fur den Fall, da? ihm der Notar etwas mitzutheilen hatte, die Oertlichkeit, wohin er sich vorlaufig zuruckziehen wollte.
Dann verabschiedete er sich von dem braven Manne in vollem Vertrauen auf das au?erordentliche Gluck, das ihm im Laufe seines Lebens stets hold gewesen war und ihm auch jetzt, man konnte sagen: nach seinem Ableben, treu bleiben werde.
»Das stimmt auffallend!« (S. 477.)
Das Uebrige ist bekannt.
Als die Partie den aufgestellten Bedingungen gema? angefangen worden war, konnte sich William I. Hypperbone einigerma?en ein Urtheil uber jeden der »Sechs« bilden. Der abscheuliche Bramarbas Hodge Urrican, der Geizhals Hermann Titbury und der ungeschlachte Tom Crabbe interessirten ihn nicht und konnten ihn nicht interessiren. Vielleicht brachte er Harris T. Kymbale einige Sympathie entgegen, doch wenn er, abgesehen von sich selbst, fur irgend jemand fromme Wunsche hegen sollte, so konnte das nur fur Max Real, Lissy Wag und deren getreue Jovita sein. Damit erklart sich der von ihm gethane Schritt, die funfte Partnerin, als diese krank lag, unter dem Namen Humphry Weldon aufzusuchen, damit auch die Einsendung jener dreitausend Dollars nach dem Gefangnisse in Missouri. Und wie befriedigte es den edelmuthigen Mann zuerst, da? das junge Madchen durch Max Real erlost wurde, und dann zur zweit, da? Tom Crabbe wieder und so bald an dessen Stelle trat!