Polka, der Walzer, und naturlich immer wieder der in Amerika so beliebte Square Dance. Auch die Mountain Men mischten sich unter die Tanzer und gaben sich ganz unbefangen. Wer einen Tanz nicht beherrschte, wackelte einfach ordentlich hin und her. Die Hauptsache war, man hatte Spa?.

Urilla Anderson hatte ausgiebig mit Martin getanzt. Aber plotzlich, die Sonne versank allmahlich hinter den westlichen Bergen der Cascade Range, hatten es die beiden Verliebten eilig, der herumwirbelnden Tanzerschar, zu entfliehen.

Jacob stand bei Irene, die ihren Jamie auf dem Arm trug und deshalb nicht tanzen konnte. Ihm fiel sofort auf, da? etwas nicht in Ordnung war. Urilla konnte kaum gehen und mu?te von Martin gestutzt werden.

»Mit Urilla stimmt etwas nicht«, sagte Jacob. »Ich schau mal nach, was los ist.«

Er fand Urilla und Martin ein ganzes Stuck entfernt bei den Planwagen, mit denen ein Teil der Siedler zur Koontz-Farm gekommen war. Die junge Frau sa? mit kreidebleichem Gesicht auf der Deichsel eines Prarieschoners, und Jacobs stammiger Freund fachelte ihr in etwas hilflos aussehender Manier Luft mit der blo?en Hand zu.

»Was ist passiert?« erkundigte sich Jacob. »Ist dir mein tapsiger Freund etwa beim Tanzen auf die Fu?e getreten, Urilla?«

»Nein«, antwortete die wohlgerundete Schonheit mit der feuerroten Haarpracht, ahnlich wie zuvor Irene tapfer lachelnd. »Es ist nur ein kleiner Schwacheanfall.«

»Es kam ganz plotzlich«, fugte Martin hinzu, ohne den besorgten Blick von der Frau zu nehmen, die er heiraten wollte. »Eben haben wir noch frohlich getanzt, und auf einmal fiel Urilla in meine Arme. Ich habe keine Ahnung, was es ist.«

»Aber ich«, sagte die Frau zur Verwunderung der beiden Manner und zog ihre neugierigen Blicke auf sich. »Es ist das Kleine.«

»Hah?« machte Martin verstandnislos, wahrend Jacob, der schneller begriffen hatte, zu grinsen begann. »Etwas Kleines? Wovon sprichst du, Urilla?«

Urilla hob den Kopf und blickte in Martins blaue Augen. »Von unserem Kind.«

Jetzt erbleichte auch Martin und hielt sich am Fahrerkasten des Prarieschoners fest. Er bewegte in der Aufregung die Lippen, ohne da? ein Laut uber sie kam.

»Unser Kind?« wiederholte er endlich ganz langsam, jede Silbe betonend. Die starr auf Urilla gerichteten Augen fielen ihm fast aus dem Gesicht. »Du meinst, wir bekommen ein Kind? Wir beide?«

Urilla nickte.

»Einer allein hat das bis jetzt auch noch nicht fertiggebracht«, sagte Jacob lachend und schlug seinem Freund kraftig auf die Schulter. »Gratuliere, Martin. Das hatte ich dir gar nicht zugetraut.« Er sah Urilla an. »Andererseits, bei so einer hubschen Frau mu?te es ja gelingen. Auch fur dich meine Gluckwunsche, Urilla. Seit wann wei?t du es schon?«

»Noch nicht lange.«

»Noch nicht lange?« echote Martin. »Was hei?t das? Weshalb hast du es mir nicht sofort gesagt?«

»Ich wollte auf die richtige Gelegenheit warten.« Sie schluckte. »Und jetzt hast du es so erfahren.«

»Besser so als uberhaupt nicht«, brummte Martin und spielte den Gekrankten, verga? dabei aber nicht, Urilla weiterhin Luft zuzufacheln.

»Du wirst es schon fruh genug merken, Martin«, meinte Jacob. »Wenn dich der Kleine mitten in der Nacht aus dem Schlaf kraht.«

»Oder die Kleine!« meinte Urilla ein wenig schnippisch.

»Ja, genau«, entfuhr es Martin. »Was ist es denn, ein Junge oder ein Madchen?«

Jetzt war es an Urilla, laut zu lachen. »Wenn ich das voraussagen konnte, wurde ich auf dem Jahrmarkt auftreten und mit dieser Kunst viel Geld verdienen.«

»Brauchst du etwas, Urilla?« fragte Martin, auf einmal, nachdem er die erste Uberraschung verwunden hatte, wieder sehr besorgt klingend. »Etwas zu trinken? Oder mochtest du lieber etwas essen? Willst du dich ein wenig hinlegen? Oder soll ich die Ochsen anspannen und dich nach Hause fahren?«

Urilla lachelte, von Martins aufgeregter Fursorglichkeit amusiert und zugleich erfreut daruber.

»Ich mochte einfach nur ein wenig hier sitzen und frische Luft schnappen. Geh schon mit Jacob zuruck zu den anderen, Martin, und sto?t auf unser Kleines an. Ich komme gleich nach.«

Martin sah sie zweifelnd an. »Bist du ganz sicher, da? wir dich in deinem Zustand allein lassen konnen, Urilla?«

Urilla nickte. »Ganz sicher, Martin. Es waren schon andere Frauen schwanger, ohne da? standig jemand um sie herum gewesen ist.«

Nur widerstrebend lie? Martin seine Braut allein und kehrte mit Jacob zum lauten Trubel der feiernden Siedler zuruck. Jacob fiel die bekummerte Miene seines Freundes auf.

»Du scheinst dich aber gar nicht uber die Nachricht zu freuen, Martin.«

»Doch, ich freue mich schon. Es kommt nur so schnell.«

»Das liegt doch wohl auch an dir. Urilla allein ist nicht fur ihren Zustand verantwortlich.«

Martin schuttelte sein rotblondes Haupt mit dem runden, offenem Sommersprossengesicht.

»Nein, Jacob, du verstehst mich falsch. Ich freue mich wirklich sehr, Vater zu werden. Ich ware nur gern mit Urilla verheiratet, wenn unser Kind zur Welt kommt.«

»Wir haben gerade unsere Hauser gebaut. Du kannst nicht erwarten, da? sich schon ein Pfarrer hier niederla?t und seine Kirche errichtet. Noch nicht einmal die Leute druben in Hoodsville haben eine Kirche oder einen Pfarrer, und die siedeln schon seit mehr als zehn Jahren hier. Fruher oder spater fahrt ihr nach Oregon City oder zu einer Missionsstation, und dann wird geheiratet. Wenn Abner Zachary noch lebte, hatten wir einen Prediger hier. Vielleicht kommt ja mal ein Wanderprediger nach Abners Hope.«

Als Jacob das sagte, ahnte er nicht, wie schnell die letzten Worte in Erfullung gehen sollte. Hatte er es gewu?t und auch, was damit zusammenhing, hatte er es nicht herbeigewunscht.

*

Urilla sa? auf der Wagendeichsel und geno? die kuhle, wohltuende Abendbrise. Der Wind spielte mit ihren Locken, die ein leichtes Kitzeln auf ihrer Haut hervorriefen. So wie Martin, wenn seine Hande mit einer Sanftheit, die man dem kraftigen Mann auf den ersten Blick nicht zutraute, uber Urillas Haut strichen.

Sie konnte ihr Gluck kaum fassen: einen Mann wie Martin Bauer und jetzt noch das Kind. Dabei hatte sie befurchtet, keine Kinder mehr bekommen zu konnen, nachdem sie das Ungeborene hatte wegmachen lassen. Es war zwar ihr Kind gewesen, aber auch das Kind ihrer Vergewaltiger, die zugleich die Morder von Urillas Mutter und Urillas beiden Schwestern waren.

Etwas trubte Urillas Gluck ein wenig. Es war der Gedanke, da? niemand von ihrer Familie mehr lebte. Ihre Geschwister wurden nie ihren Neffen kennenlernen, ihre Eltern nie ihren Enkel. Fast hatte sie wieder einen Vater gehabt, aber Daniel Anderson war gestorben, kurz nachdem sie den seit funf Jahren Verschollenen wiedergefunden hatte. Sein Grab war ein Steinhaufen in den Rocky Mountains.

Ein Gerausch ri? Urilla aus ihren Gedanken: Schritte, die langsam naherkamen. Sie blickte auf, konnte aber niemanden sehen. Die Planwagen versperrten ihr die Sicht. Wahrscheinlich war es Martin, der es vor Aufregung und Sorge um sie nicht langer beim Fest ausgehalten hatte.

Doch es war nicht Martin. Das breite, junge und doch schon wettergegerbte Gesicht, dem sie sich plotzlich gegenubersah, hatte nichts mit Martins sympathischen, ehrlichen Zugen gemein. Die schmalen, heftig zwinkernden Augen uber den unrasierten Wangen sahen Urilla in einer Art an, die sie nur zu gut kannte und die sie nie mehr zu spuren gehofft hatte. Sie druckten ein fast animalisches Begehren aus, das nichts mit der aufrichtigen Liebe zu tun hatte, die Urilla und Martin fureinander empfanden.

Der jungste der funf Mountain Men trat langsam naher, die aufgeworfenen Lippen halb geoffnet. Sein Blick war so starr auf Urilla fixiert, da? es ihr Angst einflo?te. Sie wu?te genau, was er vorhatte. Sie wollte schreien, um Hilfe rufen, aber es gelang ihr nicht. Angst schnurte ihr die Kehle zu.

»Was haben Sie, Mi??« fragte der kaum Zwanzigjahrige in einem quakenden Ton, der sich anhorte, als befande er sich noch im Stimmbruch. »Haben Sie Angst vor mir? Das mussen Sie nicht. Ich will Ihnen doch nichts tun. Ich will nur, da? Sie ein bi?chen lieb zu mir sind.«

Er war jetzt so nah, da? er nur die Hand ausstrecken mu?te, um Urilla zu beruhren. Sein su?licher, penetranter Atem streifte die Frau und rief Ubelkeit in ihr hervor. Der faulige Gestank seiner dunklen, luckenhaften Zahne verband sich mit dem Geruch von Alkohol, den Urilla noch von ihrer Zeit als Animiermadchen im Lightheart

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