Allerdings hielt der Indianer den Speer in Handen. Die Spitze zeigte drohend auf Jacob.

Der Deutsche stand einfach da und wartete ab. Der andere hatte den Speer, sollte er doch angreifen!

Little Fox zog die Mundwinkel hoch und fragte: »Der wei?e Mann hat Angst?«

»Nein«, sagte Jacob bedachtig. »Ich schlafe nur gleich ein, weil Little Fox sich so langsam bewegt wie ein altes Weib.«

Die eben noch hochgezogenen Mundwinkel des Roten zeigten von einer Sekunde zur anderen nach unten, und er schrie: »Gleich wird das Bleichgesicht sehen, wer von uns langsam ist!«

Und Little Fox sturmte vor, machte kurz vor dem Gegner einen Schritt nach rechts und wollte die Speerspitze in seine Seite sto?en.

Durch Riding Bear und die Sache mit dem Stein vorgewarnt, hatte Jacob mit solch einem Manover gerechnet. Er konnte dem Sto? ausweichen, wenn auch nur knapp, und packte den Speer mit beiden Handen.

So standen sie sich drei, vier Minuten gegenuber, rangen um den Speer und ma?en ihre Krafte. Beider Gesichter waren vor Anstrengung verzerrt.

Doch mit jeder Minute zitterten Jacobs Glieder starker, kostete es ihn mehr Muhe, der ungestumen Kraft des Nez Perce standzuhalten.

Vielleicht lag es daran, da? der riesige Indianer, der selbst den hunenhaften Deutschen noch um einen Kopf uberragte, einfach starker war als er.

Vielleicht war Jacob durch die letzten Tage auch nur zu geschwacht. Jedenfalls fuhlte er, da? er keine weitere Minute mehr durchhalten konnte.

Er erinnerte sich an den Kampf mit dem gro?en Wolf und daran, da? die uberlegene Kraft der Bestie ihr zum Verhangnis geworden war.

Was bei dem Wolf unabsichtlich gelungen war, versuchte er jetzt mit Absicht. Ganz plotzlich gab er einfach nach und lie? sich fallen. Aber seine Hande hielten den Speerschaft weiterhin fest umklammert.

Der Nez Perce stolperte uber den Wei?en hinweg, lie? den Speer los, rutschte aus und fiel auf sein Gesicht.

Ein Raunen ging durch die Menge der Zuschauer und steigerte sich zu aufgeregtem Geschrei.

Als der Indianer aufstehen wollte, stand Jacob bereits uber ihm und druckte die eiserne Speerspitze gegen seine Kehle.

»Sto? schon zu, Bleichgesicht!« keuchte Little Fox.

»Gibt Little Fox zu, da? ich ihn besiegt habe?«

»Ja!« knurrte der riesige Krieger. »Jetzt sto? zu. Vergie? mein Blut, damit der Kampf beendet ist.«

Jacob ritzte mit der Speerspitze den Hals des Indianers, bis Blut hervortrat. Dann zerbrach er die Waffe auf seinem Knie und schleuderte die beiden Teile fort.

»Was. tut der wei?e Mann?«

»Ich habe dein Blut vergossen, Little Fox. Damit ist der Kampf beendet, und ich bin der Sieger.«

»Aber. Blut zu vergie?en bedeutet, den Gegner zu toten.«

»Dann habe ich das falsch verstanden«, sagte Jacob gelassen. »Da der Speer zerbrochen ist, konnen wir nicht weiter um ihn kampfen.«

Riding Bear trat vor und sagte laut: »Sandhaar hat Little Fox besiegt und sein Blut vergossen. Nach den Regeln, die Little Fox selbst verkundet hat, ist Sandhaar der Sieger.«

Leise sagte Riding Bear zu Jacob: »Das war ein guter Trick!«

Jacob nickte und ging zu seinen Freunden. Er, Irene, Martin und Urilla fielen sich in die Arme. Die Frauen weinten. Nur der kleine Jamie, den Irene fest an sich druckte, lachte laut. Er schien sich daruber zu freuen, wieder mit seiner Mutter und seinen beiden Paten vereint zu sein.

Erst ein lauter Schrei ri? die Freunde aus ihrem Freudentaumel. Anne Myers hatte ihn ausgesto?en, als Little Fox ein Messer in den Leib ihres Mannes rammte.

Jetzt zog der Hune die Waffe wieder heraus und totete auf dieselbe Weise Frazer Bradden.

Dann ging er auf die beiden Frauen aus Greenbush zu.

»Nein, nicht!« schrie Jacob und wollte ihn aufhalten.

Aber Riding Bear sprang dazwischen und sagte scharf: »Sandhaar hat nicht fur die Morder gekampft. Sie mussen sterben!«

»Aber doch nicht die Frauen!«

»Haben sie den wei?en Mordern nicht geholfen?« fragte Riding Bear.

Da war es auch schon zu spat.

Mit Eliza Bradden und Anne Myers fanden die Letzten aus Greenbush den Tod.

*

Zwei Tage spater nahmen die Freunde noch einmal Abschied voneinander, diesmal endgultig.

Martin und Urilla mu?ten zuruck nach Abners Hope, um ihr Land zu bestellen.

Jacob, Irene und Jamie wollten weiter in Richtung Kuste. Jetzt, wo sie die Cascades uberwunden hatten, schien das Schwierigste hinter ihnen zu liegen.

Die Krieger der Nez Perce waren langst weggezogen. Etwa die Halfte der Missionsindianer hatte sie begleitet. Was die Wei?en mit ihren Familien angestellt hatte, hatte ihren Glauben an den Christengott zu sehr erschuttert, um langer in Molalla Spring zu bleiben.

Mit den ubrigen Indianern wollten die Mercers ihr Lebenswerk fortsetzen. Es wurde harte Arbeit sein, das zerstorte Vertrauen zuruckzugewinnen.

Als die Planwagen abfahrbereit waren, fiel es den Auswanderern doch schwer, sich zu trennen.

»Wenn du Irene bei ihrem Carl abgeliefert und deine Familie in Texas gefunden hast, was machst du dann, Jacob?« fragte Martin.

»Daruber habe ich noch nicht nachgedacht. Vielleicht suche ich mir eine gute Stelle als Zimmermann.«

»Die Stadte in Oregon werden wachsen«, sagte Martin. »Auch Abners Hope. Kann sein, da? wir einen guten Zimmermann gut gebrauchen konnen.«

»Das konnte ich mir vorstellen«, nickte Jacob. »Ich werde daran denken.«

»Fein«, meinte Martin. »Au?erdem erwarten wir naturlich deinen und Irenes Antrittsbesuch, wenn unser Sohn geboren ist.«

»Oder unsere Tochter!« versetzte Urilla.

Sie umarmten sich noch einmal, kletterten auf die Wagen und trieben die Tiere an.

Martin und Urilla fuhren nach Osten, auf die Cascades zu. Jacob lenkte sein Gespann nach Westen, wo sich bewaldete Ebenen bis zum Horizont erstreckten.

Bald verloren sie sich aus den Augen.

*

Gegen Mittag hielt Jacob nach einem Rastplatz Ausschau. Sie fuhren schon seit mehr als einer Stunde durch einen dichten Wald aus Gelbkiefern und Fichten. Als sie auf eine gro?e Lichtung mit einem kleinen Teich kamen, war das der beste Platz zum Ausruhen, den sie sich nur vorstellen konnten.

Jacob hielt die Pferde an und wollte gerade absteigen, um die Tiere auszuspannen, als ein Reiter wie aus dem Nichts auftauchte. Ein Indianer!

Jacob hatte den Sharps-Karabiner schon in der Hand, als er Riding Bear erkannte.

Der Nez Perce lenkte den braunwei?en Appaloosa zum Wagen und sagte: »Riding Bear ist gekommen, um sich von dem verruckten Wei?en und der goldhaarigen Squaw zu verabschieden.«

Irene sah ihren Freund an.

»Jacob, warum nennt er dich verruckt?«

»Naturlich ist Sandhaar verruckt!« behauptete Riding Bear. »Ein Mann, der fur die Frau, die er liebt, aus einer tiefen Schlucht klettert, der fur sie mit blo?en Handen gegen ein Rudel Wolfe kampft, der sogar den tuckischen Little Fox fur sie besiegt, nur um sie einem anderen Mann zu geben, den er nicht einmal kennt, der mu? doch verruckt sein!«

Jacob sah den Nez Perce vorwurfsvoll an.

Riding Bear wandte den Appaloosa um und lachte schallend. Sie horten sein Lachen noch, als er langst zwischen den Baumen verschwunden war.

ENDE

Und so geht das Abenteuer weiter

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