zerfleischen.«

»Das ist dasselbe«, erklarte Riding Bear und ging zu seinem Pferd. »Sandhaar mag hinter mir aufsteigen. Wir mussen schnell zur Mission. Riding Bears Bruder sind schon dort.«

Wie der Nez Perce das sagte, klang es sehr unheilvoll.

Als beide Manner aufgesessen waren, trieb Riding Bear den Appaloosa zu einem schnellen Galopp an.

*

»Alle Wei?en werden sterben«, verkundete der hunenhafte Indianer, der fast den gesamten Kircheneingang ausfullte. »So hat es die Mehrzahl der Kaminu beschlossen.«

Dann wurden die gefangenen Wei?en hinausgefuhrt in den noch jungen Morgen - ihren letzten.

Auf dem freien Platz zwischen den Hausern, der Kirche und der Huttensiedlung bildeten die Indianer einen gro?en Kreis, um der Vollstreckung des Todesurteils beizuwohnen.

Die Verurteilten mu?ten sich in einer Reihe aufstellen.

Der Hune trat vor sie, einen langen Speer in der Rechten, und verkundete: »Dies ist der Speer der Vergeltung. Die Hand von Little Fox wird ihn fuhren. Das wird die Schuld tilgen, die auf den Wei?en liegt.«

Martin kicherte.

Urilla sah ihn verstandnislos an und fragte: »Findest du das wirklich lustig?«

»Das mit dem Speer nicht«, sagte Martin. »Aber den Namen dieses Riesen. Little Fox ist doch wohl ein bi?chen tief gestapelt!«

Plotzlich entstand Unruhe im Kreis der Indianer. Hufschlag drang an die Ohren der Menschen und wurde schnell lauter.

»Wer kommt da?« fragte Irene.

Martin reckte seinen Kopf hoch. Aber obwohl er sehr gro? war, konnte er nicht uber die Kopfe der Roten hinwegblicken.

Doch bald bildete sich eine Gasse zwischen den Nez Perce. Die Menschen in der Mitte des Kreises sahen das Pferd und seine beiden Reiter.

»Der zweite Mann ist Jacob!« brullte Martin. »Es ist Jacob! Und ich dachte, er ware tot!«

»Das dachte ich auch«, flusterte Irene vollig entgeistert.

Ein Glucksgefuhl durchstromte sie, da? der Mann, den sie insgeheim liebte, noch lebte. Aber dann sagte sie sich, da? das wenig an ihrer Lage anderte.

Die Reiter stiegen ab.

*

»Der Gro?e ist Little Fox«, bemerkte Riding Bear zu Jacob, als sie vom Rucken des Appaloosas rutschten. »Einer unserer besten Krieger.«

Zwischen Riding Bear und Little Fox entspann sich ein heftiger Disput in der Sprache der Nez Perce. Wenn einer der beiden etwas gesagt hatte, erntete er Zustimmung oder Ablehnung von den anderen Indianern.

So ging das eine ganze Weile, bis Little Fox mit ausgebreiteten Armen fur Schweigen sorgte und laut in der Sprache der Wei?en sagte: »Little Fox glaubt Riding Bear, da? der Wei?e namens Sandhaar sein Leben gerettet hat. Little Fox glaubt Riding Bear auch, da? nicht alle Wei?en schuld sind an dem Tod so vieler Kaminu. Aber die Kaminu haben einen Schwur getan und ein Urteil gefallt. Blut mu? flie?en, das ist beschlossen. Die Wei?en, die nicht zu den Mordern gehoren, sollen frei sein - wenn Sandhaar Little Fox im Kampf besiegt!«

»Tut mir leid, Sandhaar«, sagte Riding Bear im entschuldigenden Tonfall. »Riding Bear hatte das dem Wei?en gern erspart. Aber mehr lie? sich nicht machen.«

»Dann mu? ich kampfen«, erwiderte Jacob schlicht.

»Ja, das mu?t du«, nickte Riding Bear. »Aber sei vorsichtig. Little Fox tragt seinen Namen mit vollem Recht. Er mag nicht aussehen wie ein Fuchs, aber er ist so listig und gewandt!«

Little Fox rammte die Speerspitze tief in den Boden und verkundete die Regeln des Kampfes:

»Der Speer der Vergeltung ist die einzige Waffe, die in dem Zweikampf erlaubt ist. Jeder von uns steht zehn Schritte vom Speer entfernt. Erst wenn Riding Bear den Kriegsruf der Nez Perce aussto?t, durfen wir uns bewegen und versuchen, den Speer zu erreichen. Der Kampf ist erst beendet, wenn einer von uns sein Blut vergossen hat.«

Die Nez Perce bekundeten ihre Zustimmung durch lautes Geschrei.

»Das klingt doch sehr gerecht«, bemerkte Jacob zu Riding Bear.

»Sandhaar mag nicht vorschnell urteilen. Noch hat er nicht gegen Little Fox gekampft.«

Der riesige Indianer erhob wieder seine Stimme: »Riding Bear soll den Abstand festlegen!«

Der Angesprochene ging zu dem Speer und machte zehn Schritte nach Norden. Dort zog er mit dem Messer eine Rille in den Boden. Dann ging er zum Speer zuruck, von dort aus zehn Schritte nach Suden, und zog eine weitere Rille.

Jacob und Little Fox legten ihre Waffen ab und gingen dann zu den Markierungen, der Wei?e nach Norden und der Rote nach Suden.

Dabei kreuzte Jacob die Blicke seiner Freunde.

Er war sehr erleichtert, Irene und Jamie wohlbehalten wiederzufinden. Und er war sehr uberrascht, da? Martin und Urilla in Molalla Spring waren.

Aber er hatte keine Zeit, Fragen zu stellen. Little Fox stand schon kampfbereit hinter seiner Linie.

Auch Jacob erreichte seinen Ausgangspunkt und rief laut, da? er bereit sei.

Wahrend er auf Riding Bears Signal wartete, musterte er eingehend seinen Gegner. Zu seinem Leidwesen mu?te er feststellen, da? der gewaltige Korper des Nez Perce aus Muskelbergen bestand, nicht aus Fett.

Sehr gro?, sehr stark und - wenn Riding Bear recht hatte -auch sehr verschlagen, das war der Eindruck, den Jacob von Little Fox gewann. Nicht gerade eine erhebende Aussicht fur den bevorstehenden Kampf.

Ein gellender, ohrenbetaubender Schrei rollte in Wellen uber die Menschen hinweg, so gewaltig, als wolle er das ganze Molalla Valley uberfluten.

Keiner der beiden Kampfer sturmte los.

Ganz langsam ging Little Fox auf den Speer zu, und Jacob tat es ihm nach.

Dabei beobachtete er den Indianer genau. Er hatte das Gefuhl, da? dieser etwas plante. Jacob wollte herausfinden, was das war.

Little Fox dagegen schien an den Aktionen seines Gegners nicht sonderlich interessiert. Sein Blick glitt immer wieder uber das Gelande, als sei ihm alles mogliche wichtig, nur nicht Jacob und der Speer.

Als jeder der beiden funf Schritte zuruckgelegt hatte, buckte sich der Indianer mit einer blitzartigen Bewegung.

Jacob spurtete los.

Er wu?te zwar noch nicht, was der Nez Perce vorhatte, aber es war klar, da? er etwas im Schilde fuhrte. Und Jacob durfte nicht langer zogern, wenn er sich das Heft nicht aus der Hand nehmen lassen wollte.

Der Auswanderer streckte seine Hand schon nach dem holzernen Speerschaft aus, als ihn ein gewaltiger Schlag an die Stirn zu Boden warf.

Er schuttelte die Benommenheit ab und sah neben sich etwas im Gras liegen.

Ein gro?er Stein.

Blut klebte an ihm.

Es tropfte von seiner aufgerissenen Stirn.

Das also hatte Little Fox aufgehoben, als er sich buckte. Er mu?te den Stein von vornherein im Auge gehabt haben. Deshalb hatte er so zielstrebig die Startlinie im Suden aufgesucht.

Dabei waren andere Waffen als der Speer verboten. Aber niemand traf Anstalten, den Kampf zu unterbrechen. Also zahlte ein Stein, den man zufallig fand, nicht zu den verbotenen Waffen. Das hatte Jacob nicht gewu?t.

All diese Gedanken schossen dem jungen Deutschen innerhalb weniger Sekunden durch den schmerzenden Kopf. Doch als er sich endlich aufraffte, schien es schon zu spat. Gerade zogen die riesigen Pranken des Nez Perce den Speer der Vergeltung aus der Erde.

»Was du kannst, kann ich auch!« stie? der Auswanderer wutend hervor. Gleichzeitig griff er nach dem Stein und schleuderte ihn nach Little Fox, der mit einem schnellen Sprung zur Seite auswich.

Aber immerhin hatte Jacob Zeit genug, um wieder auf die Beine zu kommen.

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