sah man dem hochgeschlossenen, wirklich schonen Kleidungsstuck nicht an.

Die meisten der Indianer wohnten der Hochzeit bei, so da? die langen Holzbanke nicht fur alle Gaste ausreichten. Mehr als drei?ig Leute mu?ten hinter den Banken stehen. Narcissa Mercer spielte mit mehr Leidenschaft als Konnen auf einer kleinen Orgel, die in dieser Wildnis bestimmt etwas Besonderes darstellte.

Irene kam in der Begleitung von Eliza Bradden und Anne Myers. Mrs. Bradden trug Jamie im Arm.

Niemandem schien aufzufallen, da? die Manner aus Greenbush samtlich fehlten.

Nur Irene wunderte sich daruber.

Und sie ahnte Boses.

*

Die lauten Tone der Orgel drangen durch die geschlossene Kirchentur gedampft zu den sechs Mannern, die sich hinter dem Stall des Missionshauses versammelten. Es waren die Braddens und die Myers, samtlich schwer bewaffnet und mit harten, entschlossenen Gesichtern.

»Wo bleibt blo? Ebenezer?« fragte Frazer Bradden nervos.

»Da kommt er schon«, antwortete sein Bruder und zeigte zur kleinen Hintertur des Missionshauses, durch die der vollbartige Owen seine massige Gestalt zwangte.

»Ihr wollt es also wirklich tun«, sagte er zu den anderen, als er deren Waffen sah.

»Deshalb sind wir hergekommen«, erwiderte der Treck-Captain hart. »Wie geht es Carol?«

»Wie Mercer sagte, ist sie auf dem Weg der Besserung.«

»Gut«, grinste John Bradden. »Dann brauchen wir den guten Onkel Doktor nicht mehr. Genauso wenig wie ihn unsere Leute noch brauchen, die in Greenbush begraben liegen.«

»Und warum wollt ihr gerade jetzt zuschlagen?« fragte Owen.

»Weil solch eine Gelegenheit so schnell nicht wiederkommt«, antwortete der Mann mit der Narbe. »Die Mercers und fast alle Rothaute sind in der Kirche versammelt. Wir kriegen sie auf einen Streich!«

»Ein paar Rote sind noch bei ihren Hutten«, warf Fred Myers ein.

»Um die kummern wir uns zuerst«, entschied John Bradden. »Wir machen kurzen Proze? mit ihnen. Die anderen werden davon nichts mitkriegen, so laut dudelt die Musik.« Der Treck-Captain sah wieder zu Owen und erklarte: »Au?erdem sollten wir so schnell wie moglich weiter zur Kuste. Wenn die Krieger der Nez Perce hier auftauchen, mochte ich nicht mehr hier sein.« Er zeigte auf die Schlinge. »Machst du mit, Ebenezer? Oder willst du lieber deinen Arm pflegen?«

»Ich mache nicht mit. Aber nicht wegen meiner Verletzung, sondern weil ich kein Morder bin!«

»Davon haben wir aber im Dorf der Nez Perce nichts gemerkt!« wandte Frazer Bradden ein.

»Damals wu?te ich nicht, was ich tat«, erwiderte Owen leise, und seine dunklen Augen blickten traurig. »Der Schmerz um den Verlust meiner Kinder hatte meinen Geist verdunkelt.« »Wie auch immer, komm uns nicht in die Quere, Ebenezer!« warnte John Bradden. »Wir konnen keine Rucksichten nehmen - auf niemanden!«

Ein Mann bog um die Ecke, blieb erstaunt stehen und fragte: »Was ist denn hier los? Seid ihr auch zu spat dran?«

Es war der alte Walt Hickly, der sich fein herausgeputzt hatte. Der graue Anzug und der gleichfarbige Bowler waren ihm zwar etwas zu gro?, wirkten aber gleichwohl feierlich.

Sein Lacheln erstarb, als er die Waffen sah.

»Was soll denn das bedeuten? So etwas braucht man aber nicht bei einer Trauung.« Seine Augen blickten plotzlich skeptisch. »Oder wollt ihr gar nicht zur Hochzeit?«

»Wir wollen das!« rief Frazer Bradden.

Er sprang zu Hickly, zog dabei das gro?e Bowie und schlitzte mit einer raschen Bewegung die Kehle des Alten auf.

Gurgelnd sank Hickly zu Boden. Der Bowler fiel von seinem Kopf. Ein Blutschwall befleckte den Festtagsanzug.

Ebenezer Owen schluckte schwer bei diesem Anblick und stammelte: »Was hat euch dieser Mann getan?«

»Er kam uns in die Quere«, antworte der Morder kalt und wischte die blutige Klinge an Hicklys Hosenbein ab.

Sein Bruder fugte hinzu: »Wie ich eben schon sagte, wir konnen keine Rucksichten nehmen. Also halt dich zuruck, Ebenezer, wenn du uns schon nicht hilfst!«

Dann marschierten die sechs Manner zu den Hutten der Indianer.

*

Ebenezer Owen horte keinen einzigen Schu?, nur die Schreie der Sterbenden.

Die Manner aus Greenbush erledigten alles mit der blanken Klinge, um die in der Kirche Versammelten nicht zu warnen. Und sie hatten dabei leichtes Spiel. In den Hutten waren uberwiegend Alte, Kranke und kleine Kinder zuruckgeblieben.

Der Mann mit dem verletzten Arm war froh, da? er nicht sah, was in den Hutten vor sich ging. Es mu?te ein scheu?liches Gemetzel sein.

Er konnte es sich vorstellen. Er selbst hatte an so einem Massaker teilgenommen, als sie das Dorf der Nez Perce uberfielen.

Sterbende. Verwundete. Schreiende. Vor Todesangst Verstummte. Indianer. Menschen. Ja, sie waren Menschen. Auch wenn sie eine dunklere Hautfarbe und andere Sitten hatten.

Menschen mit Traumen, Hoffnungen und Angsten. Vor allem aber mit dem Recht zu leben!

Er dachte an die fast zweihundert Menschen in der Kirche und stellte sich vor, wie die Manner aus Greenbush den einzigen Ausgang besetzten und einfach alles zusammenschossen. Dann rannte er los, um sie zu warnen.

Er stolperte in seiner Hast uber einen Stein, fiel hin, auf seinen Arm. Ein Schmerz wie von einem gluhenden Eisen fuhr durch seinen Korper.

Mit dem gesunden Arm stutzte er sich ab, stand auf und lief weiter.

Er ri? die Kirchentur auf.

Die Orgelmusik setzte gerade wieder ein und tat alles, um sein Schreien zu ubertonen. Nach den ersten Takten kam ein lauter, euphorischer Gesang aus fast zweihundert Kehlen hinzu. Die Menschen dankten singend dem Herrn.

Owen sah nicht viel. Nur die Rucken und Hinterkopfe der Indianer, die dichtgedrangt hinter den Banken standen.

Er ri? einen von ihnen herum und schrie auf ihn ein.

Der Rote mit dem kurzen Haar und dem bunten Baumwollhemd blickte ihn verstandnislos an.

»Wollt ihr mich nicht verstehen?« brullte Owen verzweifelt. »Ihr werdet sterben! Hort ihr? Ich sagte, ihr wer.«

In diesem Augenblick starb Ebenezer Owen, von einer Kugel in den Kopf getroffen. Er vollfuhrte eine mi?gluckte Pirouette und war schon tot, als sein schwerer Korper auf dem Estrich aufschlug.

Sein Morder war Fred Myers. Krauselnder Rauch stieg aus dem Lauf seines alten Scott-Vorderladers auf.

Die Menschen in der Kirche sangen weiter. Der Schu? war im Gesang und der noch lauteren Orgelmusik untergegangen.

Nur der Indianer, auf den Owen eingeredet hatte, starrte erschrocken auf die bewaffneten, blutverschmierten Wei?en in der Kirchentur.

Lewis Bradden hob seine Mississippi-Rifle und druckte ab. Aus solcher Nahe abgefeuert, war die Kugel, die in die Brust des Indianers drang, unbedingt todlich. Sie schleuderte den Getroffenen zwischen seine Leute.

Unruhe entstand unter den Menschen. Immer mehr horten mit dem Singen auf, drehten sich um - und erschraken, als sie die Wei?en und ihre erhobenen Waffen sahen.

Schlie?lich sang niemand mehr. Nur die Musik spielte noch. Narcissa Mercer, die in hochster Verzuckung auf die Orgeltasten einhammerte, hatte als einzige noch nicht bemerkt, was vor sich ging.

Bis ihr Mann zu ihr trat und eine Hand auf ihre Schulter legte. Da wich die Verzuckung aus ihren Zugen und machte Entsetzen Platz.

*

Als Irene die sechs blutigen Manner sah, wu?te sie, was sie vorhatten. Es war schlimmer als alles, was sie

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