»Nein, Sir, gar nichts.«

Rasch uberflog der Hai die Blatter, doch beim letzten stutzte er und blickte auf. Sein Gesicht wirkte angespannt, aus den Augen spruhte Feuer.

Black zuckte zusammen, nicht nur innerlich, sondern mit dem ganzen Korper.

»Was ist das?« schnappte der Hai.

Es war klar, da? er das Papier meinte.

»Ein Plakat, das drau?en am Golden Crown angebracht war«, antwortete ein verwirrter Henry Black; er verstand nicht, weshalb der Hai dem Papier solche Bedeutung beima?. »Nichts Wichtiges, Sir. Eigentlich gehort es nicht in die Mappe. War wohl ein Versehen, da? es.«

»Ich entscheide, was wichtig ist!« fuhr der Hai dazwischen und starrte wie hypnotisiert auf das abgerissene Plakat.

Seine Lippen murmelten leise die beiden Namen: »Carl Dilger. und Jacob Adler!«

Er sah zu Black auf und flusterte heiser: »Ist auch eine Frau bei diesem Adler, eine gewisse Irene Sommer? Wahrscheinlich hat sie ein kleines Kind bei sich. Au?erdem mu? da noch ein rotblonder Kerl namens Martin Bauer sein.«

»Das wei? ich nicht.«

»Dann finden Sie es heraus, Henry. Umgehend! Und dann machen Sie mir Meldung, ganz gleich, wie spat es ist!«

»J-ja, Sir.«

Eilig verlie? Henry Black das Buro. Er war froh, als er wieder auf der Treppe stand. Das Stimmengewirr und die Musik, die zu ihm heraufdrangen, waren eine Wohltat nach der eisigen Atmosphare im Buro des Hais.

*

Dean Street, Mrs. Victoria Marshs Boarding-House, am nachsten Morgen.

»Sind Sie dieser Jacob Adler?« fragte der kleine, untersetzte Mann und klopfte auf das Plakat in seiner Linken. Es war eins der Plakate, die Jacob gestern an zweihundert publikumswirksamen Gebauden angeschlagen hatte. Der Mann sprach Deutsch, aber das Amerikanische hatte schon stark auf seine Muttersprache eingewirkt.

Der junge Deutsche, der noch auf seiner Pritsche lag, rieb sich den Schlaf aus den Augen. Jetzt erst bekam er ein deutliches Bild von seinem Besucher.

Der Mann hatte helles Haar und ein spitzes Nagetiergesicht. Der Anzug und die Melone auf dem Kopf waren zu gro? und reichlich abgetragen.

»Wer sind Sie?« krachzte Jacob. Der Schlaf steckte noch in Mund und Kehle, die sich trocken wie Heu anfuhlten.

»Louis Bremer ist mein Name. Ich bin ein Freund von Carl Dilger.«

Sofort war Jacob hellwach. Er sprang so schnell auf, da? er mit der Stirn gegen die Pritsche uber ihm krachte, in der ein kleiner Italiener friedlich vor sich hin schnarchte.

Der Schmerz, der durch seinen Kopf fuhr, erinnerte Jacob an Vivian Marquands Streifschu?. Noch hatte er sich nicht von der Verletzung erholt. Er mu?te vorsichtiger sein.

»Carl Dilger!« zischte der junge Zimmermann. »Wo ist er?«

»Hier in Frisco. Er hat das Plakat gelesen und mich geschickt. Ich soll Sie und Fraulein Sommer zu ihm bringen.«

»Warum kommt er nicht selbst?«

»Er darf sich nicht zeigen. Er steckt in Schwierigkeiten.«

»Was fur Schwierigkeiten?«

»Ich glaube, das sagt Carl Ihnen besser selbst. Wir sollten uns beeilen. Noch ist der Tag jung, und die meisten Menschen schlafen noch. Zu viele Augen, die uns beobachten, konnten gefahrlich sein.«

Zwanzig Minuten spater folgten Jacob und Irene mit dem noch halb schlafenden Jamie im Arm dem kleinen Mann durch das fremde Stra?engewirr.

Irene locherte Bremer geradezu mit Fragen. Aber die Antworten fielen sehr einsilbig aus.

Bremer hatte Dilger schon auf der Uberfahrt von Hamburg nach Amerika kennengelernt, sagte er. Zusammen hatten sie in Kalifornien Gold gesucht.

Ob sie erfolgreich gewesen waren? Nun, das hinge mit diesen verfluchten Schwierigkeiten zusammen.

Bremers Antworten kamen Jacob reichlich schwammig vor.

Und die Gegend, Hinterhofe von Bars und Saloons, nicht gerade freundlich.

Den Sharps-Karabiner hatte er zwar im Boarding-House zuruckgelassen. Aber er war froh, da? Army Colt und Bowiemesser in seinem Gurtel steckten.

Als ihr Weg plotzlich vor der Ruckwand eines gro?en Hauses endete, wurde Jacobs unbestimmtes Gefuhl, da? etwas nicht in Ordnung war, zur Gewi?heit.

»Eine Sackgasse!« fuhr er Bremer an. »Was hat das zu bedeuten?«

»Das ist der Treffpunkt«, lachelte der kleine Mann, dessen Gesicht dabei noch starker rattenhafte Zuge annahm.

»Der Treffpunkt mit Carl?« fragte Irene hoffnungsvoll.

»Nein, der mit meinen Freunden!«

Dabei zeigte Bremer in die Richtung, aus der sie eben gekommen waren. Ein halbes Dutzend grober, kraftiger Kerle baute sich dort auf und versperrte ihnen den Ruckweg. Einige trugen dicke Knuppel in den Handen.

»Das ist kein Treffpunkt, sondern eine Falle!« erkannte Jacob, leider zu spat.

Seine Rechte fuhr an seine Hufte, wo der sechsschussige Colt im Holster stecken.

»So ist es«, bestatigte Bremer.

Er lachelte immer noch und richtete den sechsfachen Lauf eines kleinen, handlichen Pepperbox-Revolvers auf den deutschen Auswanderer. Die Waffe war dafur bekannt, alles andere als zuverlassig zu sein. Aber Bremer stand nur einen Schritt von Jacob entfernt. Auf diese Distanz konnte er sein Opfer nicht verfehlen.

»Den Waffengurt abschnallen, Adler, aber hubsch langsam!«

Jacob gehorchte. Bremer lie? ihm keine andere Wahl. Er beobachtete Jacob genau, so da? der Zimmermann keinen uberraschenden Angriff auf den Mann mit der Pepperbox starten konnte.

Das Rattengesicht streckte die freie Linke aus, nahm Jacob den Waffengurt ab und trat dann ein paar Schritte zuruck.

»Und was passiert jetzt?« wollte Jacob wissen.

»Du siehst ziemlich kraftig aus, Adler. Ich glaube, der Hai hat nichts dagegen, wenn du deine Krafte unter Beweis stellst.«

»Der Hai? Welcher Hai?«

»Unser Bo?, der Hai von Frisco. Ich arbeite fur ihn, und meine Freunde auch.«

Bremer stie? einen schrillen Pfiff aus. Die Front der Schlager setzte sich wie ein Mann in Bewegung und trat langsam auf das Ende der Sackgasse zu.

Irene druckte Jamie an sich und wich so weit zuruck, wie es moglich war. Jacob ballte seine Fauste und stellte sich schutzend vor sie.

Er wartete nicht ab, bis ihn die Angreifer erreichten und einkreisten. Ein Vorwitziger ging etwas schneller als die anderen und hob als erster seinen holzernen Prugel, um ihn uber Jacobs Schadel zu ziehen. Das vermeintliche Opfer rammte dem Schlager die Faust gegen die Gurgel. Jacobs Linke umklammerte den Prugel und blockierte den Schlag. Sein Knie scho? hoch und traf den Unterleib des Gegners. Der stohnte gequalt auf, sackte zu Boden und uberlie? dem Zimmermann seine Waffe.

Gerade noch rechtzeitig, um damit einen anderen Knuppel abzufangen, den der Besitzer mit beiden Handen gegen Jacob schwang. Der Aufprall war so hart, da? beiden Mannern die Prugel aus den Handen gerissen wurden.

Jacob erholte sich als erster von der Uberraschung und deckte den anderen mit einer Serie von Faustschlagen ein. Der zweite Angreifer ging zu Boden.

Der dritte Mann, der den Staub der morgendlichen Stra?e schmeckte, war Jacob selbst. Ein Angreifer war in seinen Rucken gekommen, hatte die Hande ineinander verschrankt und sie in den Nacken des Deutschen krachen lassen.

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