»Aber es klingt anders!«

»Yeah, ich denke auch manchmal, ich sollte Politiker werden.«

Twain stand von seinem Schreibtisch auf und begab sich in den Nebenraum, die Werkstatt des Setzers. Ohne Umschweife machte er sich daran, die benotigten Typen aus dem Setzkasten zu fischen und in die Winkelhaken einzureihen.

»Sie machen alles selbst?« staunte Jacob.

»Niemand hier, wie Sie sehen. Den Setzer mu?ten wir letzte Woche aus Geldnot entlassen. Ich mache den Job mit, habe ihn schlie?lich gelernt. Allerdings bekomme ich dafur keinen Cent mehr. Apropos, wie hoch soll die Auflage des Plakats sein?«

»Was kostet es denn?«

»Hm, sagen wir, tausend Stuck fur hundert Dollar?«

»Das ist viel Geld. Was kosten denn funfhundert Plakate?«

»Hundert Dollar. Kleinere Auflage, hohere Unkosten.«

»Und zweihundert Plakate?«

»Funfzig Dollar.«

»Noch kleinere Auflage, noch hohere Unkosten?« fragte Jacob.

»Right. Au?erdem mu? mein knurrender Magen befriedigt werden.«

»Also gut«, seufzte Jacob. »Zweihundert Stuck!«

Keine Stunde spater hielt der junge Deutsche die noch feuchten Plakate in der Hand und druckte funf Zehn- DollarScheine in Mark Twains Hand.

»Eigentlich sehen wir hier in Frisco lieber Golddollars«, meinte der Journalist. »Aber ich will mal nicht so sein. Ist ja kein Rebellen-Geld. Nicht, da? ich geldversessen ware, aber dieser verfluchte Springfrosch namens Charly hat durch seine Faulheit ein hubsches Loch in meine Haushaltskasse gerissen.«

»Holen Sie sich das Geld doch mit Springfroschen wieder rein«, schlug Jacob vor.

»Sie meinen, ich soll mich der Muhe unterziehen, solche bloden Tiere zu dressieren?« fragte Twain unglaubig.

»Nein, ich meine, Sie sollten daruber schreiben. Einen Artikel oder eine lustige Geschichte vielleicht.«

»Yeah!« Twains Zeigefinger massierte den Schnurrbart und farbte ihn dabei unbeabsichtigt mit Druckerschwarze ein. »Vielleicht werde ich das tun. Bret plant, einen Band mit Erzahlungen zu veroffentlichen. Er hat mich gefragt, ob ich nicht etwas beisteuern will. Warum nicht eine lustige Geschichte?«

»Ja«, meinte Jacob zogernd, da er von diesen Dingen wenig verstand. »Warum nicht.«

Er verabschiedete sich, verlie? das Gebaude des Call und steuerte einen von Twain empfohlenen Eisenwarenladen an, um achthundert Nagel zu kaufen, was ihn weitere achtzig Dollar kostete.

San Francisco war wirklich ein teures Pflaster, falls man diesen Ausdruck bei dem bedenklich schlechten Zustand der Stra?en uberhaupt verwenden konnte.

In der Hoffnung, da? sich die Ausgabe bezahlt machte, verbrachte er den Rest des Tages damit, die Plakate an Orten anzubringen, die Twain ihm als vielbesucht beschrieben hatte: Zeitungsredaktionen, Saloons, Hotels und das kleine Gebaude der Staatlichen Munze, hinter dessen dunklen Mauern Bret Harte, der Redakteur des Call, seinem Brotberuf nachging.

Das letzte Plakat brachte Jacob neben der Eingangstur von Victoria Marshs Boarding-House an. Als er den letzten Nagel mit dem Griff seines Bowiemessers eingeschlagen hatte, ging er zu Irene, um ihr von seiner Unternehmung zu berichten.

*

Portsmouth Square, an der Clay-Street-Seite, am Abend dieses Tages.

Das Golden Crown - die goldene Krone - kannte jeder, der sich langer als einen Tag in San Francisco aufhielt. So sagte man. Und jeder, der langer als zwei Tage hier war, kannte Henry Black, den Inhaber des gro?en Vergnugungspalastes, der von einer riesigen Bar mit allen moglichen und unmoglichen alkoholischen Getranken uber eine Spielhalle und einen Tanzsaal uber so ziemlich alle Ablenkungen verfugte, die sich ein Goldsucher nach Monaten harter Arbeit drau?en auf den Diggings nur wunschen konnte. Sogar ein Theater gehorte zu dem wuchtigen holzernen Rundbau, dessen oberstes Stockwerk tatsachlich aussah wie eine Krone und zudem mit goldschimmernder Farbe angestrichen war.

Henry Black war eine genauso beeindruckende Erscheinung wie seine Goldgrube. Gro?, breit, wuchtig, mit Handen wie Schaufelblatter. Das backenbartige Gesicht war stets gerotet und warnte vor den cholerischen Ausbruchen, die seine Mitarbeiter erzittern lie?en. Das derbe Erscheinungsbild seines Korpers wollte nicht so recht zu dem piekfeinen taubenblauen Dreiteiler, der goldenen Uhrkette und den dicken, diamantverzierten Ringen an seinen klobigen Wurstfingern passen.

Man munkelte, da? Henry Black seinen Reichtum durch finstere Geschafte erworben hatte. Aber niemand sprach laut daruber. Hatte er es gewagt, hatte Henry Black ihm vielleicht sogar gesagt, da? er einst ein Hufschmied namens Heinrich Schwarz gewesen war, der aus dem fernen Deutschland nach Amerika kam, um endlich sein Gluck zu machen. Vielleicht hatte Henry Black dem Betreffenden sogar die Umstande erzahlt, unter denen er zu Wohlstand und seinem neuen Namen gekommen war. Aber danach hatte er den Neugierigen umgebracht!

Henry Black schwitzte, als er die Treppe zum obersten Stockwerk hinaufstieg. Hatte er jemandem erzahlt, da? er vor Angst schwitzte, hatte jeder das fur einen Scherz gehalten und laut gelacht.

Aber die Angst uberfiel den wuchtigen Mann jeden Abend, wenn er die >Krone< aufsuchte, wie er das Reich des Hais fur sich nannte. Dort oben regierte der wahre Besitzer des Golden Crown.

Der Mann, der Henry Black in der Hand hatte wie so viele andere Manner und Frauen in San Francisco. Der sich rasch zum heimlichen Konig der Stadt aufgeschwungen hatte, obwohl er erst ein paar Monate hier war. Dessen Namen niemand kannte.

Alle nannten ihn nur den Hai.

Den Hai von Frisco!

Vor der massiven Eichenholztur blieb Black stehen, holte noch einmal tief Luft und wollte dann die machtige Faust gegen die Fullung schlagen.

Aber bevor er noch klopfen konnte, rief eine Stimme: »Kommen Sie rein, Henry!«

Der Hai!

Er schien durch Turen blicken zu konnen. Schon oft hatte sich Black gefragt, wie er das machte. Besa? er ein so feines Gehor, da? er das leise Knarren der Treppenstufen durch das massive Holz der Tur und der Wande horte?

Diese Frage bewegte Black noch, als er die Tur hinter sich schlo?. Wie jeden Abend, traf er auf zwei Menschen, die in dem geraumigen, luxuriosen Buro fast verloren wirkten.

Der hunenhafte, knochige, kahlkopfige Schwarze namens Buster, der niemals sprach, aber alles sah, war der Leibwachter des Hais. Buster trug einen dunklen Anzug, der mit seiner Haut zu verschmelzen schien. Regungslos stand der Neger mit uber der Brust gekreuzten Armen neben der Tur.

Fast regungslos. Seine Augen verfolgten jede von Blacks Bewegungen.

Der Hai selbst sa?, wie gewohnt, hinter seinem Schreibtisch. Tat er jemals etwas anderes als zu arbeiten?

Einem Mann wie ihm boten sich wohl nicht viele Vergnugungen, dachte Black, wahrend er auf den Tisch zutrat.

Zu jedem Schritt mu?te er sich zwingen. Solchen Widerwillen flo?te ihm, dem abgebruhten Geschaftemacher, die pure Gegenwart des Hais ein.

Dabei konnte Black nicht einmal sagen, woran das lag. Der Hai lachelte sogar, als er seinem Geschaftsfuhrer entgegensah. Aber das Lacheln wirkte weder warm noch beruhigend. Etwas Lauerndes, Drohendes ging davon aus. Es wirkte tatsachlich wie das Maul eines Hais, der sich aufs Zuschnappen vorbereitete.

»Hier, Sir«, sagte Black ehrfurchtsvoll und legte die Ledermappe vor dem Hai auf den Schreibtisch.

So tat er es jeden Abend. Die Mappe enthielt alle wichtigen Briefe und Abrechnungen des Tages sowie sonstige Dokumente, nicht nur uber das Golden Crown, sondern uber die ganze Stadt. Obwohl der Hai seine Krone nie zu verlassen schien, war er stets uber alles informiert, was in Frisco vor sich ging.

»Etwas Besonderes, Henry?« fragte der Hai, als er die Mappe aufklappte.

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