verbreitet, als wir unser Blatt drucken konnen. Dann ware ich auch nicht so blank und konnte Sie zu einem Versohnungstrunk einladen.«
Jacob ignorierte den Wink mit dem Gro?mast und sagte:
»Vielleicht konnen Sie mir auf andere Weise helfen, Mr. Twain.«
»Wie?«
»Ich suche einen Mann, einen Deutschen wie mich. Er hei?t Carl Dilger und halt sich auf den kalifornischen Goldfeldern auf. Konnen Sie mir sagen, wie ich ihn am besten finde?«
»Wenn er sich tatsachlich in Kalifornien aufhalt, gibt es nur eine sichere Methode, ihn zu finden.«
»Ja?« fragte Jacob gespannt.
»Sie mussen jeden Claim und jedes Digging in Kalifornien absuchen, Mr. Adler.«
Jacob runzelte die Stirn und blickte den Journalisten skeptisch an.
»Wie lange wurde das dauern, Mr. Twain?«
»Kommt drauf an, wie schnell Sie fundig werden. Durchschnittlich hundert Jahre, wurde ich sagen.«
»Sie haben Ihren Spa? gehabt, leben Sie wohl«, knurrte Jacob und wollte sich an dem Schnurrbartigen vorbeischieben.
Aber der hielt ihn fest.
»Warten Sie doch, Adler. Ich wollte Sie nicht beleidigen, sondern Ihnen nur klarmachen, wie aussichtslos das Unternehmen ist, wenn Sie keine Anhaltspunkte haben.«
»Aber ich
»Was ist so wichtig an dem Mann?« Jacob erklarte es ihm.
»Dieser Dilger ist also nicht wichtig fur Sie, sondern fur die junge Dame in Ihrer Begleitung«, stellte Twain fest.
»Das kommt aufs selbe heraus«, brummte Jacob.
»Nicht fur jeden, aber fur Sie, und das ehrt Sie, Adler. Vielleicht kann ich Ihnen tatsachlich helfen. Ich schatze, wir befinden uns an dem einzigen Ort, wo eine reelle Chance besteht, Dilger aufzuspuren.«
»Ausgerechnet hier?« zweifelte Jacob und dachte an die Menschenmassen, die sich durch die Stra?en von San Francisco walzten.
»Gerade
»Und Sie meinen, Dilger ist darunter?«
»Nicht unbedingt. Aber mit ziemlicher Sicherheit jemand, der ihn kennt oder von ihm gehort hat.«
»Das sehe ich ein. Aber wie soll ich diesen unbekannten Jemand aufspuren?«
Twains breites Grinsen verwandelte den an den Mundwinkeln nach unten gebogenen Schnurrbart zu einem geraden Strich.
»Durch die Segnungen der modernen Presse, Mr. Adler. Vielmehr durch die Druckmaschinen des
»Und was ist Ihre politische und gesellschaftliche Meinung, Mr. Twain?«
»Als Privatmann behalte ich sie fur mich, da ich mich weder zu den Neuankommlingen noch zu den Lebensmuden zahle. Als Vertreter des
Er zog Jacob mit sich durch ein Gewirr von Gassen und Ga?chen, bis sie vor dem wenig beeindruckenden Gebaude standen, in dem die Redaktion und Druckerei des
Gerade schlo? ein gro?er, gut gekleideter Mann die Eingangstur von au?en ab. Sein rundliches, von Schnurr- und Backenbart verziertes Gesicht hellte sich auf, als er Jacobs Begleiter sah.
»Wo hast du nur gesteckt, Sam? Ich wollte dich zum Essen einladen.«
»Aufgeschoben ist nicht aufgehoben«, meinte Twain.
»Tut mir leid«, schuttelte der Mann, der einen vornehmen Dreiteiler und Lackschuhe trug, seinen von einem schmalkrempigen Strohhut bedeckten Kopf. »Ich mu? zuruck zur Arbeit.«
»Dann vielleicht heute abend, Bret.«
»Ja«, winkte der Dandy. »Bis dann, Sam.«
»Das war mein Redakteur und Freund, Mr. Bret Harte«, erklarte Twain, wahrend er einen rostigen Schlusselbund aus der Tasche zog und die Tur offnete.
»Seltsam«, murmelte Jacob, wahrend er zusah, wie Harte mit staksigen Schritten um eine Ecke bog, immer bemuht, seine glanzenden Schuhe dem Stra?enschmutz nicht zu sehr auszusetzen.
»Was finden Sie seltsam, Adler.«
»Da? Ihr Freund sagt, er geht zur Arbeit. Liegt sein Redakteursburo nicht hier im Gebaude?«
»Das schon. Aber nicht sein anderes Buro. Bret hat eine leitende Stellung als Beamter in der ortlichen Zweigstelle der Munze der Vereinigten Staaten. Kein schlechter Job in diesen Tagen. Die klugeren unter den Goldgrabern bringen ihre Nuggets gleich zur Munze, ehe sie sich woanders ubers Ohr hauen lassen. Manchmal beneide ich Bret.« Twain seufzte tief und strich uber seinen schlanken Oberkorper. »Als Beamter mu? er sich keine Sorgen machen, wie er sein Mittagessen bezahlt.«
»Noch etwas, Mr. Twain.«
»Ja?«
»Dieser Mr. Harte nannte Sie Sam«, sagte Jacob.
Der Journalist nickte.
»Stimmt, so hei?e ich.«
»Aber mir stellten Sie sich als Mark Twain vor.«
»Verfluchter Kriegsname«, lachte der Journalist und kratzte sich verlegen im Nacken. »Ich wu?te doch, da? ich eines Tages damit durcheinanderkommen wurde. Als meine Mutter im Jahre Funfunddrei?ig das schwere Schicksal auf sich nahm, mich auf diese torichte Welt zu bringen, nannten sie und mein Vater mich Samuel, Samuel Langhorne Clemens, um genau zu sein. Ein bi?chen lang fur einen Journalisten, finden Sie nicht? Ist langer als manche Kurzmeldung.«
»Kann sein«, sagte Jacob zogernd, da er sich mit solchen Fragen noch nie befa?t hatte.
»Ist sogar so. Deshalb unterzeichne ich meine Werke als Mark Twain. Und manchmal vergesse ich schon, wie ich wirklich hei?e.«
»Wie kommt man auf solch einen Namen?« fragte Jacob, wahrend sie die dunklen, staubigen, von Spinnweben verzierten Geschaftsraume des
»Eine Erinnerung an meine Zeit als Mississippi-Lotse. Mark Twain ist die Bezeichnung eines Handloters fur zwei Faden Wassertiefe. Ob meine Artikel tiefsinniger sind, mag jeder Leser selbst entscheiden. Kennen Sie den Mississippi, Adler?«
»O ja, nur zu gut«, antwortete Jacob und dachte an sein lebensgefahrliches Abenteuer auf dem gro?en Mississippi-Steamer QUEEN OF NEW ORLEANS.
Twain (Jacob beschlo?, ihn weiterhin so zu nennen, wie er sich ihm vorstellt hatte) setzte sich hinter einen wurmstichigen Schreibtisch, nahm einen durch haufiges Anspitzen arg geschrumpften Bleistift und einen vergilbten Block zur Hand und kritzelte eilig etwas nieder. Zwischendurch fragte er Jacob nach der Adresse seines Quartiers.
Dann las der Journalist vor: »Dringend gesucht wird Mr. Carl Dilger aus Hamburg (Deutschland). Wer ihn kennt oder etwas uber ihn wei?, melde sich umgehend bei Mr. Jacob Adler in Victoria Marshs Boarding-House an der Dean Street. Bestmogliche Belohnung zugesichert!«
Twain blickte auf und fragte: »Was sagen Sie zu dem Text, Adler?«
»Klingt ganz gut, bis auf den Satz mit der Belohnung. Ich habe namlich nicht viel Geld.«
»Habe ich das behauptet?«
»Aber Sie haben etwas von einer bestmoglichen Belohnung geschrieben!«
»Genau«, nickte Twain und verbarg ein Grinsen im Schatten des buschigen Schnurrbarts. »Sie werden jeden Informanten nach dem besten Willen und Ihren Moglichkeiten belohnen. So habe ich es auch abgefa?t.«