Vermieter und Hoteliers verlangten.

Ein Hotelzimmer unter drei?ig Dollar pro Person gab es nicht. So viel Geld wollten die Auswanderer nicht bezahlen. Es hatte ihre Reserven zu schnell erschopft.

Schlie?lich nahmen sie zwei Schlafpritschen in einer der vielen Massenunterkunfte, acht Dollar pro Person und Woche. Es gab woanders schon Pritschen fur sechs Dollar, aber dann in verlausten Stallen, die notdurftig zu Schlafsalen umgebaut worden waren. Jacob und Irene bevorzugten ein einigerma?en sauberes Boarding-House, das sogar uber getrennte Schlafsale fur Manner und Frauen verfugte.

Da Jamie sehr unruhig war, blieb Irene mit ihm im Quartier zuruck. Jacob machte sich auf den Weg, um eine Spur von Carl Dilger zu finden.

Wenn er auch noch nicht die geringste Ahnung hatte, wie er das anstellen sollte.

*

Wahrscheinlich auf einigen Umwegen, weil er die Geographie San Franciscos noch nicht gut genug kannte, steuerte Jacob das Stadtzentrum an. Am Portsmouth Square sollte es sich befinden. Das hatte er sich von der Inhaberin des Boarding-House sagen und sich den ungefahren Weg beschreiben lassen.

»Gehen Sie einfach dahin, wo Sie neben dem Hafen am meisten Menschen und Getose finden«, hatte die durre Frau ihm noch nachgerufen.

Als er durch eine lange, gewundene Stra?e ging, fand er eine Menge Menschen und Getose. Die Menschen, die das Getose veranstalteten, versperrten die Stra?e auf ihrer ganzen Breite. Was die Ursache ihres Geschreis war, blieb dem Deutschen verborgen. Er sah nur die Ruckansichten der von ihm weg nach vorn gebeugten Menschen. Sie schienen auf etwas zu starren, was auf der Stra?e stand oder lag.

Neugierig bahnte er sich einen Weg durch die Menge. Je gro?er der Widerstand war, desto mehr strengte er sich an. Er fuhlte sich fast, als musse er schwimmen. Dann endlich sah er, worauf die gebannten Augen der Menschen gerichtet waren: auf Frosche!

Ganz normale grunbraune Frosche. Nein, nicht ganz normal - ihre Rucken waren mit farbigen Symbolen markiert: ein blaues Kreuz, ein gelber Kreis oder ein roter Doppelstrich.

Ein ziegenbartiger Mann, der einen zerschlissenen Gehrock und einen zerbeulten Zylinder trug, schlug mit einem dunnen Stock gegen das fette Hinterteil eines Frosches. Das Tier sollte das tun, was alle anderen Frosche bereits vollbracht hatten: springen.

»Nun mach schon, Charly!« spornte der Ziegenbartige seinen unwilligen Frosch an. »Zeig den Herrschaften, da? du der beste Springfrosch von ganz Frisco bist. Und zeig es vor allem mir, denn ich habe funfzig Dollar auf dich gewettet!«

Die Erwahnung des Geldes schien den Frosch aus seiner Lethargie zu rei?en. Das mit einem schwarzen Dreieck gekennzeichnete Tier erhob sich in die Luft, aber nur ein kleines Stuck. Keinen Yard von seiner Ausgangsstellung entfernt plumpste er trage wieder in den Staub der Stra?e und traf keine Anstalten, sich auch nur einen Zoll weiterzubewegen.

»Das war's dann wohl mit dem guten Charly!« prustete einer der Manner. »Der beste Springfrosch von Frisco hat heute wohl seinen schlechten Tag. Oder er hat gedacht, derjenige Frosch ist der beste Springfrosch, der am kurzesten springt!«

Der Sprecher schlug sich lachend auf die Schenkel und steckte die Menge mit seiner Heiterkeit an.

Der Ziegenbartige allerdings zog ein griesgramiges Gesicht, als er den >besten Springfrosch von Frisco< aufnahm und in einer Tasche seines Gehrocks verschwinden lie?. Noch griesgramiger wurden seine Zuge, als der Besitzer des Siegerfrosches zu ihm kam, um die funfzig Dollar einzusammeln.

Insgesamt hatten sechs stolze Froschbesitzer ihre Tiere an den Start geschickt. Also hatte der Besitzer des Siegers gerade eben mit einem einzigen Froschsprung zweihundertfunfzig Dollar gewonnen. Kein schlechter Stundenlohn, fand Jacob.

Auch die Zuschauer hatten kraftig gewettet, und eine betrachtliche Anzahl Dollars wechselte nun die Besitzer, bevor sich die Menge allmahlich zerstreute.

Einer der weggehenden Manner legte einen wahren Sturmschritt vor und hielt den Kopf gesenkt, so da? sein Gesicht fast ganz unter der vorspringenden Krempe eines rundkronigen Hutes verschwand. Au?erdem bewirkte diese Kopfhaltung wohl, da? er kaum etwas sah. Oder es war ihm egal, da? er mit Jacob zusammenstie?. Der Aufprall war so heftig, da? beide Manner ein Umfallen nur dadurch vermeiden konnten, da? sich jeder am anderen festhielt. Der Mann hob, zu spat, seinen Kopf und zischte: »Verdammt, Fremder, passen Sie gefalligst auf, wo Sie hintreten, wenn Sie langer als einen Tag lebend in Frisco verbringen wollen!«

Unter buschigen Brauen blitzten blaugraue Augen feindselig gegen Jacob.

Obwohl der schlanke Mann um die Drei?ig mit dem lockigen rotbraunen Haar und dem buschigen Schnurrbart gut einen Kopf kleiner was als der Deutsche, schien er sich vor Jacob nicht zu furchten.

Der Zimmermann machte sich von dem Schnurrbartigen los und sagte ernst:

»Bei allem Respekt, Sir, aber nicht ich bin irgendwohin getreten, ohne aufzupassen, sondern Sie. Und au?erdem.«

»Ja?« knurrte der andere gefahrlich.

»Au?erdem konnen Sie unmoglich wissen, da? ich erst heute in San Francisco angekommen bin.«

»Naturlich wei? ich das«, blieb der Schnurrbartige storrisch. »Sie haben es mir doch gerade eben gesagt!«

»Wie?« schnappte Jacob.

Dann verstand er und schuttelte grinsend den Kopf.

»Also gut, Sir, aber vorher konnten Sie es nicht wissen.«

»Nein, ich habe geraten. Jemand, der sich einem Mann in den Weg stellt, der gerade seinen letzten Cent bei der Wette auf den falschen Frosch verloren hat, mu? entweder neu in Frisco sein oder lebensmude. Revolver und Messer sitzen hier namlich noch lockerer als auf den Gold- und Silberfeldern von Nevada.«

»Sehr scharfsinnig«, nickte Jacob. »Und wieso sind Sie nicht davon ausgegangen, da? ich lebensmude bin?«

»Weil heute Steamer-Day ist. Am Steamer-Day hat man die seltene Gelegenheit, in Frisco mehr Neuankommlinge als Lebensmude zu treffen. Deshalb kam ich drauf, da? die PACIFIC PRINCESS Sie an Land gespuckt hat, Dutch. Bevor Sie fragen - da? Sie ein Deutscher sind, verrat Ihr scharfer Dialekt.«

»Wieder richtig geschlu?folgert, Mister. Nur das mit der PACIFIC PRINCESS stimmt nicht. Ich bin zwar heute erst hier angekommen, aber auf einem anderen Schiff.«

»So?« Neugierig hoben sich die buschigen Brauen. »Auf welchem?«

»Auf.«

Jacob brach ab. Fast hatte er den Namen der ALBANY genannt, doch er wu?te nicht, ob das gut war. Er wollte Piet Hansen, Irene und sich selbst keine unnotigen Schwierigkeiten bereiten. Deshalb setzte er erneut an und sagte: »Auf einem Segler.«

»Aha.« Der Mann strich mit dem Zeigefinger uber den Schnurrbart und meinte dann: »Etwa ein Yankee- Schiff?«

»Ja«, antwortete Jacob und fragte mi?trauisch: »Warum wollen Sie das wissen?«

»Um zu erfahren, ob Sie vielleicht doch ein wenig lebensmude sind. Bei Menschen, die in diesen Tagen mit dem Postdampfer oder einem anderen Yankee-Schiff Frisco anlaufen, ist das zu bejahen. Das Seeungeheuer knopft sich namlich ausschlie?lich solche Opfer vor.«

»Was fur ein Seeungeheuer?« erkundigte sich Jacob kopfschuttelnd. Der Mann kam ihm leicht irre vor.

»Das wu?ten die Menschen hier auch gern. Es hat schon eine ganze Reihe von Schiffen angegriffen und versenkt, darunter auch den letzten Postdampfer, der die Stadt vor zwei Wochen anlaufen sollte. Aber es kamen nur ein paar Rettungsboote mit den Uberlebenden an. Sie beschreiben das Ungeheuer als einen Wal, allerdings einen, der den Schiffsrumpf mit einem riesigen Schwert durchbohrt und dann explodieren la?t.«

»So etwas gibt es doch gar nicht!«

»Mag sein, aber vielleicht...« Der Schnurrbartige unterbrach seinen Satz, schuttelte diese Gedanken von sich ab und sagte: »Mich auf meine gute Kinderstube besinnend, entschuldige ich mich bei Ihnen fur mein Fehlverhalten, Mister.«

»Jacob Adler.«

»Mark Twain«, stellte sich der andere vor. »Ich arbeite als Journalist fur den Call. Leider lauft der Laden schlecht. Wenn es mal Neuigkeiten gibt, werden sie durch die Mundpropaganda schneller

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