«He, ist sie hübsch?» fragte ich. «Ich will kein altes Scheusal.»

«Kein altes Scheusal. Machen Sie sich keine Sorgen, Chef.»

«Wem soll ich das Geld geben?»

«Ihr», sagte er. «Also abgemacht, Chef.» Damit schlug er die Lifttür zu, direkt vor meiner Nase.

Ich ging in mein Zimmer und versuchte mich mit Wasser zu kämmen, aber man kann mit kurzgeschnittenen Haaren nicht viel machen. Dann untersuchte ich, ob ich nach all den Zigaretten und den drei Whiskies, die ich bei Ernie getrunken hatte, schlecht aus dem Mund röche. Man braucht nur die Hand unter den Mund zu halten und den Atem zur Nase hinauf zu hauchen. Ich bemerkte keinen Gestank, aber ich putzte mir trotzdem die Zähne. Dann zog ich wieder ein frisches Hemd an. Ich wußte zwar, daß ich mich für eine Nutte nicht besonders fein zu machen brauchte, aber ich konnte mich auf diese Weise wenigstens beschäftigen. Ich war ein bißchen nervös. Ich wurde zwar allmählich ziemlich sexy, aber nervös war ich doch. Ich war noch unschuldig, falls jemand die Wahrheit interessiert. Tatsächlich. Ich hatte schon ein paarmal Gelegenheit gehabt, meine Unschuld zu verlieren, aber bisher war ich noch nie so weit gekommen. Irgend etwas kommt immer dazwischen. Wenn man zum Beispiel bei einem Mädchen zu Hause ist, kommen die Eltern im falschen Moment heim - oder man hat Angst, daß sie kommen könnten. Oder wenn man hinten in irgendeinem Auto sitzt, ist sicher vorne ein anderes Mädchen, das sich immer umdreht und absolut wissen will, was in dem ganzen verdammten Auto vorgeht. Jedenfalls kommt immer etwas dazwischen. Einmal war ich allerdings nah daran. Aber meistens, wenn man nah dran ist - mit einem Mädchen, die keine Nutte ist oder so, meine ich -, sagt sie, man solle aufhören.

Mein Fehler ist, daß ich dann wirklich aufhöre. Die meisten andern hören nicht auf, aber ich kann das nicht. Man weiß nie, ob die Mädchen wirklich wollen, daß man aufhört, oder ob sie Angst haben, oder ob sie einfach nur sagen, man solle aufhören, damit man selber schuld ist und nicht sie. Jedenfalls höre ich immer auf. Mein Fehler ist, daß sie mir leid tun. Die meisten Mädchen sind so dumm, meine ich. Wenn man sie eine Weile lang küßt und so weiter, kann man sozusagen zusehen, wie sie den Verstand verlieren.

Sobald ein Mädchen richtig leidenschaftlich wird, ist sie nicht mehr bei Trost. Ich weiß nicht. Wenn sie mir sagen, ich solle aufhören, höre ich auf. Ich bereue das jedesmal, nachdem ich sie heimbegleitet habe, aber ich mache es doch immer wieder so. Während ich das frische Hemd anzog, dachte ich, daß jetzt eigentlich meine große Chance gekommen sei. Ich dachte, ich könnte an dieser Nutte Erfahrungen sammeln, falls ich je heirate oder so. Manchmal mache ich mir Sorgen deswegen.

In Whooton las ich einmal ein Buch, in dem ein sehr raffinierter, geschickter Schürzenjäger vorkam.

Monsieur Blanchard hieß er, daran erinnere ich mich noch. Es war ein miserables Buch, aber dieser Blanchard war nicht übel. Er wohnte in einem großen Schloß an der Riviera in Europa und verbrachte seine Freizeit damit, Frauen mit dem Stock zu verjagen. Er war ein richtiger Wüstling, aber die Frauen rissen sich um ihn. An einer Stelle sagte er, der weibliche Körper sei wie eine Geige und so, auf der nur ein großer Musiker richtig spielen könne. Das ganze Buch war Schund, das weiß ich, aber ich hatte seither immer diese Geige im Kopf. Eigentlich wollte ich aus diesem Grund ein bißchen Übung bekommen, falls ich je heirate. Caulfield und seine Zaubergeige. Verrückt, das sehe ich selbst auch, aber doch nicht nur verrückt. Ich hätte nichts dagegen, auf diesem Gebiet wirklich etwas zu können. Meistens - falls sich jemand für die Wahrheit interessiert - weiß ich gar nicht recht, wo ich anfangen soll, wenn ich mit einem Mädchen

Blödsinn mache. Bei einem von den Mädchen, bei denen mir dann irgend etwas dazwischenkam, dauerte es zum Beispiel fast eine Stunde, bis ich nur ihren verdammten Büstenhalter aufgemacht hatte. Als mir das endlich gelungen war, hätte sie mir schon am liebsten ins Gesicht gespuckt.

Ich ging also auf und ab und wartete auf diese Nutte. Dabei hoffte ich immer, daß sie hübsch wäre.

Besonders wichtig war mir das zwar nicht. Eigentlich wollte ich es nur rasch hinter mich bringen.

Endlich klopfte jemand, und als ich zur Tür ging, stand mir mein Koffer im Weg, so daß ich darüber fiel und mir fast das Knie zerschmettert hätte. Ich falle immer im passenden Mome nt über einen Koffer oder sonst was.

Als ich die Tür aufmachte, stand die Nutte da. Sie hatte eine Polojacke an und keinen Hut. Ihre Haare waren blond, aber offenbar gefärbt. Aber sie war doch keine alte Hexe. «Guten Abend», sagte ich. Junge, war ich ein Lebemann!

«Sind Sie der, von dem Maurice geredet hat?» fragte sie.

Sie machte keinen übertrieben freundlichen Eindruck.

«Bedient Maurice den Lift?»

«Ja.»

«Ja, dann bin ich der. Wollen Sie nicht hereinkommen?» sagte ich. Ich wurde mit der Zeit richtig lässig. Ganz im Ernst.

Sie kam herein, zog sofort ihre Jacke aus und warf sie aufs Bett. Darunter trug sie ein grünes Kleid.

Dann setzte sie sich seitlich auf den Stuhl, der am Schreibtisch stand, und wippte mit dem Fuß.

Gleich darauf schlug sie die Beine andersherum übereinander und wippte wieder mit dem freien Fuß.

Für eine Prostituierte wirkte sie sehr nervös oder ängstlich. Wahrscheinlich deshalb, weil sie noch furchtbar jung war. Ungefähr so alt wie ich. Ich setzte mich in den großen Sessel beim Schreibtisch und bot ihr eine Zigarette an. «Ich rauche nicht», sagte sie. Ihre Stimme war so dünn und leise, daß man sie kaum verstand. Sie bedankte sich auch nicht. Sie hatte wohl keine besseren Manieren.

«Darf ich mich vorstellen, ich heiße Jim Steele», sagte ich.

«Haben Sie eine Uhr?» fragte sie. Natürlich war ihr mein Name vollkommen gleichgültig. «Wie alt sind Sie überhaupt?»

«Ich? Zweiundzwanzig.»

«Daß ich nicht lache!»

Diese Antwort klang sonderbar kindlich. Von einer Nutte hätte ich erwartet, daß sie «Mist» oder etwas Ähnliches gesagt hätte, aber nicht «Daß ich nicht lache» wie in der Schule.

«Wie alt sind denn Sie?»

«Alt genug, um mir nichts vormachen zu lassen», sagte sie. Sie war wirklich schlagfertig. «Haben Sie eine Uhr?» fragte sie wieder, und dann stand sie auf und zog sich das Kleid über den Kopf.

Mir wurde es komisch zumut, als sie das tat. So unvermittelt! Man sollte es wohl stimulierend finden, wenn jemand das Kleid auszieht, aber ich fühlte nichts dergleichen. Ich war eher deprimiert als aufgeregt.

«He, haben Sie eine Uhr?»

«Nein. Nein, ich habe keine», sagte ich. Junge, war mir komisch. «Wie heißen Sie?» fragte ich. Sie hatte nur noch einen rosa Unterrock an. Es war wirklich peinlich. Im Ernst.

«Sunny», sagte sie. «Fangen wir an, he?»

«Möchten Sie sich nicht erst noch mit mir unterhalten?» fragte ich. Das war ein kindischer Vorschlag, aber es war mir verdammt sonderbar zumut. «Sind Sie sehr eilig?»

Sie schaute mich an, als ob ich verrückt wäre. «Über was zum Teufel wollen Sie sich unterhalten?» sagte sie.

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