schöpferisch sind, was leider selten der Fall ist - im allgemeinen ungleich wertvollere Berichte hinterlassen als solche, die nur begabt und schöpferisch sind. Im allgemeinen können sie sich klarer ausdrücken und haben eine Vorliebe dafür, ihre Gedanken bis zu Ende zu verfolgen. Und - was wohl das Wichtigste ist - in neun von zehn Fällen haben sie mehr Bescheidenheit als der ungeschulte Denker. Kannst du mir überhaupt folgen?»

«Ja, Sir.»

Er schwieg wieder ziemlich lange. Ich weiß nicht, ob es andern auch so geht, aber mir fällt es sehr schwer, einfach dazusitzen und zu warten, bis jemand wieder etwas sagt, während er nachdenkt und so. Ich finde es wirklich anstrengend. Ich versuchte fortwährend, mein Gähnen zu unterdrücken.

Nicht daß ich mich gelangweilt hätte oder so - das gar nicht -, aber ich war plötzlich so verdammt schläfrig.

«Noch etwas, das eine akademische Bildung dir vermitteln wird. Wenn du eine gewisse Strecke zurückgelegt hast, entsteht durch diese Bildung ein Gefühl für deine geistigen Möglichkeiten. Eine Vorstellung davon, was geistig für dich paßt und vielleicht auch, was nicht für dich paßt. Nach einiger Zeit entwickelst du ein Gefühl dafür, welche Art von Gedanken dir gemäß sind - welche deiner geistigen Größe sozusagen stehen. Das kann dir außerordentlich viel Zeit ersparen, in der du sonst Ideen anprobieren würdest, die dir nicht stehen, die nicht zu dir passen. Du wirst deine wirklichen Maße kennenlernen und dich geistig dementsprechend anziehen.»

In diesem Augenblick gähnte ich plötzlich. So eine Grobheit -aber ich konnte es nicht verhindern.

Mr. Antolini lachte aber nur. «Komm», sagte er und stand auf. «Wir wollen dir deine Couch herrichten.»

Ich ging hinter ihm her zum Wäscheschrank. Er versuchte die Leintücher und Decken und alles vom obersten Fach herunterzuholen, brachte es aber mit dem Whiskyglas in der Hand nicht fertig.

Daraufhin trank er es aus und stellte es auf den Fußboden, und dann nahm er das Zeug aus dem Schrank. Ich trug es mit ihm zur Couch. Wir bezogen zusammen mein Bett. Er machte es nicht besonders gut. Er spannte die Tücher nicht richtig straff. Mir war das zwar gleichgültig. Ich war so müde, daß ich auch im Stehen hätte schlafen können.

«Wie geht's allen deinen Frauen?»

«Ganz gut.» Ich war ein miserabler Gesprächspartner, aber ich war einfach nicht in der Stimmung.

«Wie geht es Sally?» Er kannte Sally Hayes. Ich hatte sie ihm einmal vorgeführt.

«Gut. Ich war heute nachmittag mit ihr zusammen.» Großer Gott, das schien zwanzig Jahre her zu sein! «Wir haben nicht mehr viel gemeinsam.»

«Auffallend hübsches Mädchen. Und die andre? Die in Maine, von der du mir erzählt hast?»

«Ach - Jane Gallagher. Es geht ihr gut. Wahrscheinlich rufe ich sie morgen an.»

Unterdessen waren wir mit dem Bett fertig. «Da wäre dein Lager», sagte Mr. Antolini. «Ich weiß nur nicht, was zum Kuckuck du mit deinen Beinen anfangen willst.»

«Das geht schon. Ich bin kurze Betten gewöhnt», sagte ich. «Vielen Dank, Sir. Sie und Ihre Frau haben mir wirklich heute nacht das Leben gerettet.»

«Du weißt ja, wo das Badezimmer ist. Wenn du noch irgend etwas brauchst, schrei einfach. Ich bin vorläufig noch in der Küche - das Licht stört dich doch sicher nicht?»

«Nein, wahrhaftig nicht. Vielen Dank.»

«Schön. Dann gute Nacht, mein Hübscher!»

«Gute Nacht, Sir. Danke vielmals.»

Er verschwand in die Küche, und ich ging ins Badezimmer und zog mich aus und so. Die Zähne konnte ich mir nicht putzen, weil ich keine Zahnbürste bei mir hatte. Ich hatte auch keinen Pyjama, und Mr. Antolini hatte vergessen, mir einen zu leihen. Ich ging also ins Wohnzimmer zurück, drehte die kleine Lampe neben der Couch aus und legte mich nur in meinen kurzen Unterhosen ins Bett.

Die Couch war viel zu kurz für mich, aber ich hätte tatsächlich auch im Stehen schlafen können, sogar ohne die Augen zuzumachen. Ich lag noch ein paar Sekunden wach und dachte an alles, was Mr. Antolini gesagt hatte. Daß man seine eigenen geistigen Möglichkeiten kennenlernen müsse und so weiter. Er war wirklich ein intelligenter Mensch. Aber ich konnte meine verdammten Augen nicht offenhalten und schlief ein.

Dann passierte etwas, das ich nicht gern erzähle.

Ich wachte plötzlich auf. Ich weiß nicht, wieviel Uhr es war und so, aber jedenfalls wachte ich plötzlich auf. Ich fühlte etwas am Kopf, irgendeine Hand. Ich erschrak fürchterlich. Es war Mr.

Antolinis Hand. Er saß neben der Couch am Boden, im Dunkeln, und streichelte oder tätschelte meinen verdammten Kopf. Ich machte einen meterhohen Luftsprung, glaube ich.

«Was zum Teufel machen Sie denn?» fragte ich.

«Nichts! Ich sitze nur hier und bewundere -»

«Aber was machen Sie denn?» fragte ich wieder. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte - ich fand es wahnsinnig peinlich.

«Könntest du nicht deine Stimme etwas dämpfen? Ich sitze hier nur-»

«Ich muß ohnedies», sagte ich. Großer Gott, ich war vielleicht nervös. Ich fing im Dunkeln an, meine verdammten Hosen anzuziehen. Aber ich war so nervös, daß ich kaum dazu imstand war. Mir sind in den Schulen sicher mehr Perverse begegnet als jedem andern Menschen, und immer müssen sie sich ausgerechnet dann pervers aufführen, wenn ich in der Nähe bin.

«Wohin mußt du fortgehen?» fragte Mr. Antolini. Er versuchte sich verdammt gelassen und nonchalant zu benehmen, aber es war in Wirklichkeit nicht weit her damit, das kann man mir glauben.

«Ich habe noch meine Koffer und alles am Bahnhof. Vielleicht sollte ich lieber hingehn und sie holen. Ich hab meine sämtlichen Sachen drin.»

«Die sind morgen auch noch da. Geh nur wieder ins Bett. Ich selber geh jetzt auch schlafen. Was ist denn mit dir los?»

«Gar nichts, nur weil in meinem Koffer mein ganzes Geld ist. Ich komme gleich wieder zurück. Ich nehme ein Taxi und bin gleich wieder da», sagte ich. Herr im Himmel, ich fiel im Dunkeln fast über mich selber. «Das Geld ist eben nicht meines. Es gehört meiner Mutter, und ich -»

«Sei nicht lächerlich, Holden. Geh wieder ins Bett. Ich geh selber auch. Das Geld ist auch morgen früh noch unver -»

«Nein, im Ernst. Ich muß es holen. Wirklich.» Ich war schon fast fertig angezogen, nur meine Krawatte fand ich nirgends. Ich konnte mich nicht erinnern, wo ich sie hingelegt hatte. Ich gab es auf und zog nur die Jacke an. Der gute Antolini saß jetzt etwas weiter weg in dem großen Sessel und beobachtete mich. Obwohl es so dunkel war und ich ihn nicht richtig sehen konnte, wußte ich doch ganz genau, daß er mich anschaute. Er trank immer noch. Ich konnte das Whiskyglas in seiner Hand erkennen.

«Du bist ein sehr, sehr sonderbarer Bursche.»

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