obwohl das Bild selbst unablassig bebte und tanzte, als flammte es auf und erloschte wieder in einem fortwahrenden, geheimnisvollen Rhythmus. Und abermals vergingen Sekunden, bevor er darin das eigene, in dem leeren Raum zwischen den seitlichen Lappen der beiden Wolken schwebende Spiegelbild erkannte. Er war so erstaunt, so gelahmt von dem unbegreiflichen Tun der Wolke, da? er alles verga?. Er dachte, da? die Wolke vielleicht von ihm, von der mikroskopischen Anwesenheit des letzten, lebenden Menschen inmitten des Gesteins wisse, aber auch dieser Gedanke schreckte ihn nicht.
Keineswegs, weil er zu unwahrscheinlich gewesen ware — er hielt nichts mehr fur unmoglich —, es drangte ihn einfach, an diesem dusteren Mysterium teilzuhaben, dessen Bedeutung er — da war er ganz sicher — niemals begreifen wurde.
Sein gigantisches Spiegelbild, durch das die fernen Felshange schwach hindurchschimmerten, zerflo? in den oberen Talpartien, die der Schatten der Wolke nicht erreichte. Zugleich schoben sich aus der Wolke unzahlige Arme hervor.
Wenn sie einige aufgesaugt hatte, dann erschienen an ihrer Statt andere. Ein schwarzer Regen fiel, der immer dichter wurde. Winzige Kristalle stoben auf Rohan herab, streiften seinen Kopf, glitten am— Schutzanzug hinunter, sammelten sich in den Falten. Der schwarze Regen hielt an, und die Stimme der Wolke, dieses Tosen, das nicht nur das Tal, sondern offenbar die ganze Atmosphare des Planeten erfa?t hatte, schwoll an. Einzelne Strudel bildeten sich in der Wolke, Fenster, durch die der Himmel zu sehen war. Der schwarze Mantel zerri? in der Mitte, zwei Wolkenberge segelten schwerfallig und gelangweilt auf das Gestrupp zu und versanken und verschwanden schlie?lich in seiner reglosen Starre.
Rohan ruhrte sich noch immer nicht. Er war sich nicht im klaren, ob er die Kristalle, mit denen er ubersat war, abschutteln durfte. Sie lagen uberall auf den Steinen, das ganze Bachbett, das bisher schneewei? geleuchtet hatte, sah aus wie mit Tinte bespritzt. Vorsichtig nahm er ein dreieckiges Kristall zwischen die Finger, doch da schien es plotzlich lebendig zu werden, streifte seine Hand mit leichtem Warmehauch und erhob sich in die Luft, als Rohan instinktiv die Faust offnete. Mit einemmal, wie auf ein vereinbartes Zeichen, wimmelte die ganze Umgebung wie ein Ameisenhaufen.
Diese Bewegung war nur in der ersten Sekunde chaotisch, dann bildeten schwarze Punkte eine Art Qualm— Schicht, die uber dem Boden lagerte, verdichteten sich, ballten sich und stiegen als Saulen hoch. Es sah aus, als waren die Felsen selbst riesige, rauchende Opferfackeln ohne Flamme und Feuerschein geworden. Und jetzt erst geschah etwas Unbegreifliches: Als der aufsteigende Schwarm fast wie ein Wolkenball genau uber dem mittleren Teil des Tals hing, tauchten vor dem Hintergrund des allmahlich dunkleren Himmels wie riesenhafte, schwarze Ballons jene Wolken wieder aus dem Dickicht und sturzten sich mit rasender Geschwindigkeit darauf. Rohan meinte das merkwurdige Knirschen zusammensto?ender Luftmassen zu horen, aber das war wohl eine Tauschung. Er glaubte schon, er wohnte einem Kampf bei, und jene Wolken hatten die toten Insekten, die sie los sein wollten, ausgesto?en und auf den Grund der Schlucht geworfen, da erwies sich alles als ein Trugschlu?.
Die Wolken teilten sich, und von der bauschigen Kugel blieb nichts ubrig. Sie hatten sie verschluckt. Gleich darauf bluteten wieder nur die Felsgipfel in den letzten Sonnenstrahlen, und der weite Talkessel lag still und verlassen.
Da erhob sich Rohan, und er stand etwas wackelig auf den Beinen. Er kam sich plotzlich lacherlich vor mit dem Weyr-Werfer, den er dem Toten so eilfertig abgenommen hatte, mehr noch, er fuhlte sich uberflussig in diesem Reich des vollendeten Todes, in dem nur tote Formen siegreich hatten uberdauern konnen, um geheimnisvolle Vorgange zu vollziehen, die nie ein lebendes Wesen erblicken sollte.
Nicht entsetzt, sondern benommen und voller Bewunderung hatte er das miterlebt, was kurz zuvor geschehen war.
Er wu?te, da? kein Wissenschaftler fahig sein wurde, seine Empfindungen zu teilen, aber er wollte jetzt nicht mehr nur zuruckkehren, um Kunde vom Tode ihrer Gefahrten zu bringen, sondern um zu fordern, da? der Planet unangetastet blieb. Nicht uberall ist alles fur uns bestimmt, dachte er, als er gemachlich abwarts stieg. Der Himmel war noch licht, und er gelangte bald auf den Kampfplatz. Dort erst mu?te er sich beeilen, weil die Strahlung der glasigen Felsen, die in der sinkenden Dammerung wie schaurige Silhouetten vorbeihuschten, immer starker wurde. Schlie?lich lief er sogar. Die Felswande griffen den Widerhall seiner Schritte auf und gaben ihn weiter, und in diesem unaufhorlichen Echo, das seine Hast ins Riesenhafte steigerte, sprang er mit letzter Kraftanstrengung von Stein zu Stein, kam an bis zur Unkenntlichkeit zerschmolzenen Maschinenresten vorbei und erreichte einen gewundenen Abhang, aber auch hier gluhte die Skala des Strahlungsmessers rubinrot.
Er durfte nicht stehenbleiben, obwohl er Atembeschwerden hatte, und so drehte er, fast ohne langsamer zu werden, den Reduktor der Flasche bis zum Anschlag auf. Selbst wenn der Sauerstoff am Ende der Schlucht verbraucht sein sollte und er die Luft des Planeten wurde atmen mussen, so war das gewi? immer noch besser, als langer hier zu verweilen, wo jeder Quadratzentimeter des Gesteins todliche Strahlen von sich schleuderte. Der Sauerstoff schlug ihm in einer kalten Welle in den Mund. Es lief sich gut, weil die Oberflache des erstarrten Lavastroms, den der zuruckweichende Zyklop auf der Strecke seiner Niederlage hinterlassen hatte, glatt war, stellenweise wie Glas. Zum Gluck hatte er gut haftende Profilsohlen an den Schuhen, er rutschte also nicht. Inzwischen war es so dunkel geworden, da? nur die hier und da unter der glasigen Schicht hervorschimmernden, hellen Steine den Weg nach unten zeigten. Unaufhorlich nach unten. Er wu?te, da? er wenigstens noch drei Kilometer solcher Wegstrecke vor sich hatte. Es war unmoglich, bei dieser wilden Jagd Berechnungen anzustellen, aber
Funf Viertelstunden mochten auch noch angehen, aber wenn er dann nicht den Rand der Wuste erreicht hatte, brauchte er sich nicht mehr zu beeilen.
Nach ungefahr zwanzig Minuten trat die Krise ein. Er empfand das Herz als ein grausames, unuberwindliches Etwas, das ihm von innen die Brust auseinanderstie? und wieder zusammenpre?te, der Sauerstoff brannte in Mund und Kehle wie lebendiges Feuer, Funkchen tanzten ihm vor den Augen, das schlimmste aber war, da? er jetzt immer ofter stolperte. Die Strahlung war zwar etwas geringer geworden, der Indikator glomm in der Finsternis schwach wie ein verloschendes Kohlestuckchen, aber er wu?te, da? er trotzdem laufen mu?te, immer weiterlaufen, und die Beine versagten ihm bereits den Dienst. jede Faser seines Korpers hatte genug, alles in ihm schrie, anzuhalten, sich auf die scheinbar kuhlen, unschadlichen gesprungenen Glasplatten zu werfen.
Als er zu den Sternen aufschauen wollte, strauchelte er und sturzte nach vorn auf die ausgestreckten Hande. Schluchzend schnappte er nach Luft. Er rappelte sich hoch, stand auf, lief taumelnd ein paar Schritte weiter, dann kehrte der Rhythmus zuruck und trug ihn mit sich fort. Er hatte bereits jedes Zeitgefuhl verloren. Wie fand er sich uberhaupt in diesem dumpfen Schwarz zurecht? Er hatte alle Toten vergessen, das knocherne Lacheln Benningsens, den unter den Steinen neben dem zertrummerten Arctan ruhenden Regnar, den Mann ohne Kopf, den er nicht hatte identifizieren konnen, ja er hatte sogar die Wolke vergessen. Er war ganz und gar zusammengekrummt von dieser Finsternis, sie hatte ihm das Blut in die Augengetrieben, mit denen er vergebens nach dem gro?en Sternenhimmel uber der Wuste Ausschau hielt — die sandige odnis schien ihm eine Erlosung.
Er lief blind drauflos, die Lider feucht von salzigem Schwei?, von einer Kraft getragen, uber deren stetes Vorhandensein er sich mitunter noch wundern konnte. Es war, als wollten dieser Lauf und diese Nacht niemals enden.
Er sah eigentlich nichts mehr, als seine Fu?e plotzlich nur noch muhsam vorankamen, einsanken. In einem letzten Anfall der Verzweiflung hob er den Kopf und begriff mit einemmal, da? er in der Wuste war. Er erblickte die Sterne am Horizont, und als dann die Beine von selbst unter ihm nachgaben, suchte er mit den Augen die Scheibe des Strahlungsmessers, aber er konnte sie nicht sehen: Sie war dunkel, sie schwieg, er hatte den unsichtbaren Tod hinter sich in dem erkalteten Lavabett gelassen. Das war sein letzter Gedanke, denn als er den rauhen, kuhlen Sand am Gesicht spurte, fiel er nicht in Schlaf, sondern in eine Starre, in der sein ganzer Korper noch verzweifelt arbeitete. Die Rippen zuckten, das Herz raste. Doch aus dem Dammer volliger Erschopfung glitt er in einen anderen, tieferen Dammerzustand und verlor schlie?lich das Bewu?tsein.
Plotzlich schrak er hoch und wu?te nicht, wo er sich befand.
Er bewegte die Hande, fuhlte den kalten Sand, der ihm durch die Finger rann, setzte sich auf und stohnte unwillkurlich.
Ihm war hei?. Langsam kam er zu sich. Der Leuchtzeiger des Manometers stand auf Null. In der zweiten