Dann wird dir klar, es riecht der Sieg Genauso streng wie Niederlage. Du bist allein, hast keine Feinde mehr Und stehst verloren in den Trümmern nun. Der Himmel drückt dir auf die Schultern schwer; Was bleibt in dieser Wüste noch zu tun? Doch du wartest ab, Was sie bringt, Die Zeit, Du wartest ab… Und Honig scheint dir bitterer als Salz, Die Träne süßer nicht als Wermut - nein, Ich kenne keine größ'ren Schmerzen, als lebendig unter lauter Schläfern sein. Doch du wartest ab, Was sie bringt, Die Zeit, Du wartest ab…

Als ich mich dabei erwischte, wie ich die leise Frauenstimme mit unmelodischem Gesang begleitete, stöpselte ich die Kopfhörer aus und stellte den Player ab. Nein. Ich war nicht hier, um rumzuhängen.

Was hätte James Bond an meiner Stelle getan? Den geheimnisvollen Anderen, diesen Verräter, gefunden, seinen menschlichen Auftraggeber und den Verfasser des anonymen Briefes! Und was tue ich?

Ich suche etwas, das für mich schlicht und ergreifend lebensnotwendig ist. Da unten, bei dem Security-Menschen, wird es doch wohl ein Klo geben!

Irgendwo draußen - nein, ganz in der Nähe - dröhnte mit voller Wucht eine Bassgitarre. Ich sprang auf, aber in der Wohnung entdeckte ich niemanden.

»Und jetzt los, Kumpel!«, drang es von draußen herein. Ich beugte mich zum Fenster hinaus und ließ den Blick über die Fassade des Assol wandern. Zwei Stockwerke weiter oben bemerkte ich die offenen Fenster, aus denen diese grauenvollen, erstaunlicherweise für eine Bassgitarre arrangierten Akkorde hochschallten.

Früher, was habe ich da für Geschäfte gemacht! Galt als scharfer Hecht, als großer Geschäftemacher. Doch neulich, da ist mir aufgefallen - und wer hätte das gedacht Verdammt lang her, dass ich mein letztes Geschäft gemacht. Doch anno dunnemals, was habe ich da für Geschäftchen gemacht! Hab Druck ausgeübt, denn drücken konnt ich wie kein Zweiter. Deshalb hab ja auch ich allein für alle die Geschäfte gemacht. Die haben sich gedrückt - und das Drücken blieb mir, dem Goldenen Reiter!

Unmöglich, sich einen größeren Kontrast vorzustellen, als die leise Stimme von Soja Jaschtschenko, der Sängerin von Belaja gwardija, und diesem unvorstellbaren Chanson zur Bassgitarre. Trotzdem gefiel mir das Lied irgendwie. Der Sänger, der nur drei Akkorde hinbekam, streute sich weiter aufs Haupt:

Aber noch habe ich mein letztes Geschäftchen nicht gemacht, Selbst wenn wohl kein Geschäft mehr die Größe von einst erreicht. Weil heute ja jeder über große Geschäfte bloß lacht, Weil es zum Druckmachen, zum Drücken nicht mehr reicht…

Ich lachte los. Ein echter Underdog-Song. Alle Attribute stimmten: Der lyrische Held erinnert sich an die Tage seines vergangenen Ruhmes, beschreibt seine jetzige Misere und klagt darüber, dass er nie wieder etwas Großes vollbringen werde.

Ich hatte den starken Verdacht, dass, wenn dieses Lied im Schlagerradio gespielt werden würde, neunzig Prozent der Hörer die Anspielungen nicht einmal mitbekämen.

Die Gitarre stieß ein paar Seufzer aus. Dann stimmte der Sänger ein neues Lied an.

Bin noch nie im Irrenhaus gewesen, Also frag mich bitte nicht danach…

Die Musik brach ab. Jemand seufzte jämmerlich und strich noch etwas über die Saiten.

Ich zögerte nicht länger. Tauchte in den Pappkarton ab, holte eine Flasche Wodka und ein Stück Räucherwurst heraus. Stürmte ins Treppenhaus hinaus, knallte die Tür hinter mir zu und rannte hinauf.

Die Wohnung des Mitternachtsbarden zu finden war nicht schwerer, als einen im Gebüsch versteckten Presslufthammer auszumachen. Einen Presslufthammer in Betrieb.

Vögel singen hier nicht mehr,

Nirgends scheint die liebe Sonne,

Kinder toben nicht umher

böse bei der Abfalltonne.

Ich klingelte, fragte mich aber, ob er das überhaupt hören würde. Doch die Musik verstummte, und eine halbe Minute später öffnete sich die Tür.

In der Türfüllung stand, freundlich lächelnd, ein kleinerer, gedrungener Mann von etwa dreißig Jahren. In seinen Händen hielt er die Tatwaffe, eine Bassgitarre. Mit finsterer Genugtuung bemerkte ich, dass der Barde ebenfalls einen»Mafiososchnitt«trug. Außerdem verwaschene Jeans und ein recht kurioses T-Shirt, auf dem ein Soldat in russischer Uniform mit einem riesigen Messer einem Schwarzen in amerikanischer Uniform den Hals durchschnitt. Darunter prangte der stolze Aufdruck: »Wir können euch auch daran erinnern, wer den Zweiten Weltkrieg gewonnen hat.«

»Auch nicht schlecht«, kommentierte der Gitarrist mein T-Shirt. »Komm rein.«

Er nahm den Wodka und die Wurst an sich und verschwand in den Untiefen seiner Wohnung. Ich sah ihn mir durchs Zwielicht an. Ein Mensch.

Mit einer derart wirren Aura, dass ich gar nicht erst versuchte, seinen Charakter zu verstehen. Mit grauen, rosafarbenen, roten und blauen Tönen. Ein erstaunlicher Cocktail. Ich folgte dem Gitarristen. Seine Wohnung war doppelt so groß wie meine. Mit seinem Gitarrenspiel hatte er sich die bestimmt nicht

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