»Gegen Mittag werde ich hier sein.«
»Was meinen Sie, habe ich bis dahin mit irgendwelchen Gefahren zu rechnen?«
»Ich glaube nicht. Hätte der Degen eine tödliche Wunde geschlagen, wären Sie jetzt schon tot; so aber werden Sie es überstehen.«
»Und Sie schicken mit eine Wärterin?«
»Auf der Stelle; mittlerweile darf Sie jedoch Ihr Bedienter nicht verlassen.« »Gewiß«, sagte der Lakai, »ich kann beim gnädigen Herrn bleiben.«
»Nein, nein«, rief der Verwundete. »Gehen Sie zu Ihrem Kameraden, ich wünsche zu schlafen; wenn Sie dableiben, hindern Sie mich daran.«
Der Lakai ging hinaus.
»Es ist nicht klug, allein zu bleiben«, sagte ich.
»Ist es nicht unklüger, mit einem Burschen zu bleiben, der mich ermorden kann, um mich zu bestehlen?« erwiderte er. »Das Loch ist gemacht«, fügte er mit leiser Stimme hinzu. »Schiebt man einen Degen in die Wunde, läßt sich das Herz finden, das mein Gegner verfehlt hat.«
Ich zitterte bei dem Gedanken, der den Geist dieses Menschen durchzuckt hatte; wer war er denn, daß ihm solche Ideen kamen?
»Nein«, fuhr er fort, »nein, im Gegenteil, schließen Sie mich ein, nehmen Sie den Schlüssel, geben Sie ihn der Wärterin, und empfehlen Sie ihr, mich weder bei Tag noch bei Nacht zu verlassen; nicht wahr, es ist eine ehrliche Frau?«
»Ich bürge für sie.«
»Nun gut, so gehen Sie; auf Wiedersehen - um Mittag.«
Ich ging hinaus und schloß ihn seiner Bitte gemäß ein.
»Doppelt«, rief er, »doppelt.«
Ich drehte den Schlüssel noch einmal um.
»Meinen Dank«, sprach er mit schwacher Stimme. Ich entfernte mich.
»Euer Herr will schlafen«, sagte ich zu den Lakaien, die im Vorzimmer lachten, »und da er fürchtet, ihr könntet bei ihm eintreten, ohne gerufen zu sein, hat er mir den Schlüssel für die Wärterin übergeben, die hierherkommen wird.«
Die Lakaien wechselten einen seltsamen Blick, antworteten aber nichts.
7. Kapitel
Ich verließ das Haus. Fünf Minuten später war ich bei einer vortrefflichen Krankenwärterin, die sich sofort, nachdem ich ihr Instruktionen gegeben, in die Wohnung Henri de Favernes verfügte.
Meinem Versprechen gemäß kehrte ich zur Mittagsstunde zurück. Er schlief noch.
Ich hatte einen Augenblick den Gedanken, erst meine anderen Krankenbesuche zu erledigen und danach wiederzukommen. Doch er hatte der Wärterin so sehr empfohlen, man möchte mich, wenn ich käme, bitten zu warten, bis er erwacht wäre, so daß ich mich in den Salon setzte, auch auf die Gefahr hin, eine halbe Stunde von der einem Arzt stets so kostbaren Zeit zu verlieren.
Während ich dasaß und wartete, warf ich einen Blick umher und versuchte, indem ich die Gegenstände seiner Umgebung betrachtete, mir ein Bild von dem Menschen zu machen, den ich behandelte.
Beim ersten Anblick erweckten alle diese Gegenstände den Anschein von Eleganz; wenn man sie aber genauer betrachtete, erkannte man das Gepräge einer geschmacklosen Kostbarkeit: Die Teppiche waren schreiend bunt und gehörten zu den größten, welche die Magazine von Sallandrouze auf Lager haben, und sie waren auch nicht auf die Farbe der Tapeten und die der Möbel abgestimmt.
Überall herrschte Gold vor. Die Türsimse und die Zimmerdecke waren vergoldet, goldene Fransen hingen an den Vorhängen, und die
Tapete verschwand unter der Menge der goldenen Rahmen, welche die Wände bedeckten und Stiche zu zwanzig Franc oder schlechte Kopien von Meistergemälden enthielten, die man dem Käufer ohne Zweifel als Originale verkauft hatte. Vier Etageren[3] standen in den vier Ecken des Salons; doch mitten unter sehr kostbaren chinesischen Gefäßen spreizten sich geschmacklose Elfenbeinfiguren von Dieppe und moderne Porzellane von so plumper Arbeit, daß man nicht im entferntesten auf den Gedanken gekommen wäre, sie hätten sich hier als wertvolle sächsische Figuren eingeschlichen.
Die Pendeluhr und die Kandelaber waren von demselben Geschmack, und ein Tisch, beladen mit prachtvoll eingebundenen Büchern, vervollständigte den Eindruck; sie ergaben bestimmt einen richtigen Querschnitt von dem, was der Herr des Hauses gewöhnlich las.
Alles war neu und schien vor drei oder vier Monaten gekauft worden zu sein.
Ich vollendete meine prüfende Betrachtung, die mich nichts Neues lehrte, mich wohl aber in der Meinung bestätigte, daß ich mich bei einem erst vor kurzem Reichgewordenen von sehr mangelhaftem Geschmack befand - ich hatte schon viele solcher Wohnungen gesehen -, als die Wärterin eintrat und mir meldete, der Kranke sei soeben erwacht.
Ich ging sogleich aus dem Salon in das Schlafzimmer.
Hier wurde meine ganze Aufmerksamkeit durch den Kranken in Anspruch genommen.
Beim ersten Blick bemerkte ich jedoch, daß sich sein Zustand nicht verschlimmert hatte, sondern daß es ihm eher besser gehen mußte.
Ich beruhigte ihn über seinen Zustand, denn das Fieber, das ihn schüttelte, steigerte seine Angst auf einen Grad, der bei einem Mann schon peinlich war. Wie hatte dieser so schwache Mensch den Mut gehabt, einen Mann zu beleidigen, der wegen der Leichtigkeit, mit der er den Degen handhabte, so bekannt war wie Olivier, und wie kam es, daß er, nachdem er ihn beleidigt hatte, sich auf dem Kampfplatz benahm, wie er es getan?
Es war dies ein Geheimnis, dem entweder äußerste Berechnung oder im Gegenteil ungezügelter Zorn zugrunde liegen mußte. Ich dachte übrigens zuversichtlich, dies alles werde sich eines Tages für mich aufklären, denn einem Arzt bleiben Geheimnisse dieser Art nur selten verborgen.
Minder beunruhigt durch seinen Zustand, konnte ich nun auch seine Person prüfen: Sie bestand wie seine Wohnung aus den widersprüchlichsten Einzelheiten.
Alles, was durch Äußerlichkeiten einen aristokratischen Anstrich bekommen konnte, hatte einen gewissen eleganten Charakter angenommen: seine aschblonden Haare waren nach der Mode geschnitten, sein spärlicher Backenbart war regelmäßig behandelt.
Doch die Hand, die er mir reichte, damit ich den Puls fühlte, war plump und derb; die Sorge, die er seit einiger Zeit darauf verwandt zu haben schien, hatte davon noch nichts genommen; seine Nägel waren schlecht geformt und zernagt, und die Stiefel, die vor seinem Bett standen, zeigten, daß die Füße genauso plump wie die Hände waren.
Der Verwundete, wie gesagt, fieberte, aber dennoch verlieh nicht dieses Fieber seinen Augen einen ganz bestimmten Ausdruck; sie hefteten sich, wie ich bemerkte, nie unmittelbar auf einen Menschen oder auf eine Sache. Dagegen war seine Rede außerordentlich heftig und schnell.
»Sie hier, mein lieber Doktor«, sagte er. »Nun, Sie sehen, ich bin noch nicht tot, und Sie sind ein großer Prophet; doch bin ich außer Gefahr? Dieser verfluchte Degenstich! Er hat gut getroffen. Er bringt also sein Leben mit Fechten zu, dieser Raufer, dieser Verleumder, dieser elende Olivier!«
Ich unterbrach ihn.
»Verzeihen Sie«, sagte ich, »ich bin der Arzt und der Freund von Herrn d'Hornoy, ihm folgte ich auf den Kampfplatz und nicht Ihnen.