dieses Mittel an, es war das einzige. Hätten Sie an meiner Stelle nicht dasselbe getan, Doktor?«

»Fragen Sie mich das im Ernst, mein Herr?« sprach ich, indem ich ihn fest anschaute.

»Doktor, Sie sind der unbeugsamste Mensch, den ich kenne«, erwiderte der Vicomte, der nun aufstand und mit großen Schritten auf und ab ging. »Sie haben mir immer nur Hartes gesagt, und dennoch - wie kommt das? - sind Sie der einzige Mensch, zu dem ich grenzenloses Zutrauen habe. Wenn ein anderer die Hälfte der Dinge ahnte, die Sie wissen .«

Er näherte sich einer an der Wand hängenden Pistole und legte die Hand an den Kolben mit einem Ausdruck von Wildheit, der mehr einem reißenden Tier als einem Menschen gehörte.

»Ich würde ihn töten!«

In diesem Augenblick trat ein Bedienter ein.

»Was wollen Sie?« fragte der Vicomte unwirsch.

»Ich bitte um Verzeihung, wenn ich den gnädigen Herrn trotz seines Befehles unterbreche, der gnädige Herr hat vor drei Monaten seine Ställe neu besetzt, und es kommt nun ein Kommis der Bank, um den Wechsel einzuziehen, den ihm der gnädige Herr ausgestellt hat.«

»Wie hoch ist der Wechsel?« fragte der Vicomte.

»Viertausend Franc.«

»Es ist gut«, sagte der Vicomte, indem er auf seinen Sekretär zuging und aus der Brieftasche, die er mir zu Beginn unserer Bekanntschaft zum Aufbewahren gegeben hatte, vier Banknoten von je tausend Franc nahm. »Hier sind sie, und bringen Sie mir den Wechsel.«

Aus der Brieftasche Banknoten nehmen und sie seinem Bedienten übergeben war eine ganz einfache Handlung; doch der Vicomte vollzog diese Handlung mit einem sichtbaren Zögern, und sein gewöhnlich bleiches Antlitz wurde leichenfahl, als er unruhig hinter dem Bedienten hersah, der mit den Scheinen wegging.

Einen Augenblick lang herrschte düsteres Stillschweigen; der Vicomte bewegte zwei- oder dreimal die Lippen, um zu sprechen, doch jedesmal erstarben die Worte in seinem Mund.

Der Bediente öffnete abermals die Tür.

»Nun, was gibt es noch?« fragte der Vicomte mit lebhafter Ungeduld.

»Der Kommis wünscht ein Wort mit dem gnädigen Herrn zu sprechen.«

»Dieser Mensch hat nichts mit mir zu sprechen«, rief der Vicomte, »er hat sein Geld und soll gehen.«

Der Kommis erschien hinter dem Bedienten und schlüpfte zwischen ihn und die Tür.

»Verzeihen Sie«, sprach er, »verzeihen Sie, Sie täuschen sich, mein Herr, ich habe Ihnen etwas zu sagen.«

Dann machte er einen Sprung, packte den Vicomte am Kragen und rief: »Ich habe Ihnen zu sagen, daß Sie ein Fälscher sind und daß ich Sie im Namen des Gesetzes verhafte.«

Der Vicomte stieß einen Schreckensschrei aus und verfärbte sich noch mehr.

»Zu Hilfe!« murmelte er. »Zu Hilfe, Doktor! Joseph, ruf meine Leute. Zu Hilfe, zu Hilfe!«

»Zu Hilfe!« rief, aber mit viel stärkerer Stimme, auch der angebliche Kommis. »Herbei, ihr Leute!«

Auf diesen Hilferuf hin öffnete sich die Tür einer Geheimtreppe, und zwei Männer stürzten in das Zimmer des Vicomte.

Es waren zwei Agenten der Sicherheitspolizei.

»Aber wer sind Sie denn?« rief der Vicomte, sich sträubend. »Wer sind Sie, und was wollen Sie von mir?«

»Herr Vicomte, ich bin V.«, sagte der falsche Kommis. »Und Sie sind gefangen; machen Sie keinen Lärm, keinen Skandal, sondern folgen Sie uns gutwillig.«

Der Name V. war so bekannt, daß ich erschauerte.

»Ihnen folgen«, fuhr der Vicomte fort, der sich immer noch sträubte. »Ihnen folgen, und wohin Ihnen folgen?«

»Bei Gott! Wohin man die Leute Ihrer Art führt, Sie brauchen sich nicht zu erkundigen, Sie dürften das doch wissen: zur Polizeipräfektur!«

»Nie!« rief der Gefangene. »Nie!«

Und mit einer heftigen Anstrengung machte er sich von den beiden Männern, die ihn hielten, los, stürzte zu seinem Bett und ergriff einen türkischen Dolch.

In demselben Augenblick zog der falsche Kommis mit einer Bewegung, die schnell war wie der Gedanke, zwei Taschenpistolen hervor und richtete sie auf den Vicomte.

Aber er hatte sich in der Absicht de Favernes getäuscht, denn de Faverne wandte die Waffe gegen sich selbst. Die zwei Agenten wollten auf ihn stürzen und sie ihm entreißen.

»Unnötig«, sagte V., »unnötig! Seien Sie unbesorgt, er wird sich nicht töten; ich kenne die Herren Fälscher seit langem: Es sind Burschen, welche die größte Achtung vor ihrer eigenen Person haben. Immerzu, mein Freund, immerzu«, fuhr er fort, indem er die Arme verschränkte und es dem Unglücklichen freistellte, sich zu erstechen. »Genieren Sie sich nicht unsretwegen; tun Sie es, tun Sie es nur.«

Der Vicomte schien den falschen Kommis, der eine so seltsame Aufforderung ergehen ließ, Lügen strafen zu wollen, er stieß zu und stürzte, einen Schrei ausstoßend, nieder. Sein Hemd bedeckte sich mit Blut.

»Sie sehen«, sagte ich, indem ich auf den Vicomte zueilte, »der Unglückliche hat sich getötet.«

V. lachte.

»Getötet - der! Ach, er ist nicht so dumm. Öffnen Sie das Hemd, Doktor.«

»Doktor?« versetzte ich erstaunt.

»Natürlich«, sprach V., »ich kenne Sie, Sie sind der Doktor Fabien. Öffnen Sie das Hemd, und wenn Sie eine einzige Wunde finden, die mehr als vier oder fünf Linien Tiefe hat, verlange ich statt seiner guillotiniert zu werden.«

Ich war mir jedoch nicht so sicher wie V., denn der Unglückliche war wirklich ohnmächtig geworden.

Ich öffnete das Hemd und betrachtete die Wunde.

Es war wirklich nur, wie V. vorhergesagt hatte, ein Nadelstich.

Ich entfernte mich voll Ekel.

»Nun«, sagte V., »bin ich ein guter Psychologe, Herr Doktor? Vorwärts, vorwärts«, fuhr er fort, »legt diesem Burschen Handschellen an, sonst wird er auf dem ganzen Weg zappeln.«

»Nein, nein, meine Herren!« rief der Vicomte, den diese Drohung aus der Ohnmacht riß. »Nein, wenn man mich im Wagen fahren läßt, werde ich kein Wort sagen, keinen Versuch machen zu entweichen, darauf gebe ich Ihnen mein Ehrenwort.«

»Hört ihr, meine Kinder, er gibt sein Ehrenwort; das ist beruhigend, wie? Was sagt ihr zu dem Ehrenwort des Herrn?«

Die zwei Agenten lachten und gingen mit den Handschellen auf den Vicomte zu.

Ich fühlte bei dieser Szene ein Mißbehagen, das ich nicht beschreiben kann, und wollte mich entfernen. »Nein! Nein!« rief er, indem er sich an meinen Arm klammerte.

»Nein, nein, gehen Sie nicht; wenn Sie gehen, werden diese Leute kein Mitleid mehr mit mir haben und mich wie einen Verbrecher durch die Straßen schleppen.«

»Womit kann ich Ihnen dienen, mein Herr?« fragte ich. »Ich habe keinen Einfluß auf diese Herren.«

»Doch, doch, Sie haben, Doktor, täuschen Sie sich nicht«, sagte er mit halber Stimme. »Ein ehrlicher Mann hat immer Einfluß auf diese Leute. Verlangen Sie, mich bis zur Polizei zu begleiten, und Sie werden sehen, daß sie mich in einem Wagen fahren lassen und nicht fesseln.«

Ein Gefühl tiefen Mitleids schnürte mir das Herz zusammen und trug den Sieg über die Verachtung davon.

»Herr V.«, sagte ich zu dem Anführer der Polizisten, »dieser Unglückliche bittet mich, zu seinen Gunsten zu vermitteln; er ist bekannt, man hat ihn in die Gesellschaft aufgenommen ... kurz, ich ersuche Sie,

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