Alle gro?en Reiche der Zukunft werden Reiche des Geistes sein.

WINSTON CHURCHILL, 1953

Wer nichts uber die Geschichte wei?, der wei? uberhaupt nichts.

EDWARD JOHNSTON, 1990

Ich interessiere mich nicht fur die Zukunft. Ich interessiere mich fur die Zukunft der Zukunft.

ROBERT DONIGER, 1996

EINFUHRUNG.

Die Naturwissenschaften am Ende des Jahrhunderts

Vor hundert Jahren, als das neunzehnte Jahrhundert seinem Ende zu ging, waren Wissenschaftler auf der ganzen Welt davon uberzeugt, sich ein prazises Bild von der physikalischen Welt machen zu konnen. Wie der Physiker Alastair Rae es formulierte: »Am Ende des neunzehnten Jahrhunderts sah es so aus, als waren die grundlegenden Gesetze, die das physikalische Universum bestimmen, bekannt.«1 Und tatsachlich behaupteten viele Wissenschaftler, da? die Erforschung der Physik so gut wie abgeschlossen sei: Gro?e Entdeckungen seien nicht mehr zu machen, es fehlten nur noch ein paar Details und hie und da der letzte Schliff.

Doch dann wurden, kurz vor der Jahrhundertwende, einige Merkwurdigkeiten bekannt: Rontgen entdeckte Strahlen, die Fleisch durchdrangen; weil sie anfangs nicht zu erklaren waren, nannte er sie X-Strahlen. Zwei Monate spater fand Henri Becquerel durch Zufall heraus, da? ein Stuck Uranerz etwas aussandte, das fotografische Platten schwarzte. Und 1897 wurde das Elektron als Trager der elektrischen Ladung entdeckt.

Im gro?en und ganzen blieben die Physiker jedoch gelassen, denn sie gingen davon aus, da? diese Merkwurdigkeiten irgendwann durch bereits existierende Theorien erklart wurden. Keiner hatte vorausgesagt, da? binnen funf Jahren ihre selbstgefallige Sicht der Welt grundlich widerlegt sein wurde, da? eine vollig neue Sicht des Universums und vollig neue Technologien entstunden, die den Alastair I.M. Rae, Quanienphysik: Illusion oder Realitat, Stuttgart: Redani 1966. Siehe auch Richard Feynman, Vom Wesen physikalischer Gesetze, Munchen: Piper 1990; und Rae, Quantum Mechanics, Hilger. Bristol 1986.

Alltag im zwanzigsten Jahrhundert auf bislang unvorstellbare Art und Weise verandern sollten.

Hatte man l 899 einem Physiker gesagt, da? im Jahre 1999, nur hundert Jahre spater, Satelliten am Himmel bewegte Bilder in Haushalte auf der ganzen Welt schicken; da? Bomben von unvorstellbarer Zerstorungskraft die Menschheit bedrohen; da? Antibiotika Infektionskrankheiten zuerst besiegen, diese Krankheiten dann aber zuruckschlagen; da? Frauen wahlen durfen und Pillen zur Empfangnisverhutung schlucken; da? sich stundlich Millionen Menschen in Flugzeugen in die Luft erheben, die ohne menschliches Zutun starten und landen konnen; da? die Menschheit zum Mond geflogen ist, dann aber das Interesse daran verlor; da? die Leute Telefone bei sich tragen, die nur wenige Gramm wiegen, und damit an und mit jedem Punkt der Erde drahtlos kommunizieren konnen; oder da? die meisten dieser Wunder von briefmarkengro?en Objekten abhangen, die sich einer neuen Theorie namens Quantenmechanik bedienen - wenn man dem Physiker all dies gesagt hatte, hatte er einen zweifellos fur verruckt erklart.

Die meisten dieser Entwicklungen konnten deshalb 1899 nicht vorhergesagt werden, weil die damals vorherrschende wissenschaftliche Theorie sie fur unmoglich erklarte. Und was die wenigen Entwicklungen angeht, die nicht unmoglich schienen, Flugzeuge zum Beispiel, so hatte schon das schiere Ausma? ihrer spateren Verwendung jedes Verstandnis gesprengt. Man hatte sich ein Flugzeug vorstellen konnen, da? aber zehntausend Flugzeuge gleichzeitig in der Luft sind, ware unvorstellbar gewesen. Man kann also mit Fug und Recht behaupten, da? an der Schwelle des zwanzigsten Jahrhunderts auch die informiertesten Wissenschaftler von dem, was noch kommen wurde, keine Ahnung hatten. Heute stehen wir an der Schwelle zum einundzwanzigsten Jahrhundert, und die Situationen sind sich auf merkwurdige Weise ahnlich. Wieder einmal glauben die Physiker, da? die physikalische Welt erklart sei und uns keine weiteren revolutionaren Entdeckungen mehr bevorstehen. Die Erfahrung hat sie gelehrt, diese Meinung nicht mehr offentlich zu vertreten, dennoch sind sie davon uberzeugt. Einige Beobachter wagen sogar die Behauptung, da? die Naturwissenschaft an ihrem Ende angelangt sei, da? sie nichts Wichtiges mehr entdecken konne.

Doch so wie bereits am Ende des neunzehnten Jahrhunderts durchaus Schlusse auf kunftige Entwicklungen moglich waren, liefert uns auch das spate zwanzigste Jahrhundert Hinweise auf die Zukunft. Einer der wichtigsten ist das Interesse an der sogenannten Quantentechnologie. Mit dem Ziel, eine neue Technologie zu erzeugen, die sich der grundlegenden Gesetze der subatomaren Realitat bedient, wird hier an vielen Fronten geforscht, und es sieht ganz so aus, als konnten diese Forschungen unsere Vorstellungen dessen, was machbar ist, vollig uber den Haufen werfen.

Die Quantentechnologie steht in absolutem Widerspruch zu dem, wie wir uns mit unserem gesunden Menschenverstand die Welt erklaren. Sie postuliert eine Welt, in der Computer arbeiten, ohne eingeschaltet worden zu sein; in der Dinge gefunden werden, ohne da? man nach ihnen sucht. Ein unvorstellbar leistungsstarker Computer kann aus einem einzigen Molekul entstehen. Ohne die Hilfe von Drahten oder Netzwerken bewegen sich Informationen ohne Zeitverzogerung zwischen zwei Punkten hin und her. Computer stellen ihre Berechnungen in anderen Universen an. Und Teleportation — »Beam mich hoch, Scottie« — ist alltaglich und wird auf viele verschiedene Arten eingesetzt.

In den neunziger Jahren zeigte die Quantenforschung erste Ergebnisse. 1995 wurden quantenkryptographische Nachrichten uber eine Entfernung von funfundsechzig Kilometern verschickt, was darauf hindeutet, da? im kommenden Jahrhundert ein Quanteninternet entstehen konnte. In Los Alamos ma?en Physiker die Dicke eines Haars mit Hilfe von Laserlicht, das dieses Haar nie wirklich traf, sondern nur hatte treffen konnen. Dieses bizarre, jeder Intuition widersprechende Resultat stand am Anfang eines vollig neuen Forschungseinsatzes, dem der wechselwirkungsfreien Erfassung; »Etwas zu finden, ohne es zu suchen«, wie ich es vorher nannte.

1998 wurde weltweit in drei Laboratorien die Quantenteleportation demonstriert: in Innsbruck, Rom und am CalTech, dem Ca-lifornia Institute of Technology.1 Der Physiker Jeff Kimble, Leiter des CalTech- Teams, sagte, da? man die Quantenteleportation auch auf feste Korper anwenden konnte. »Der Quantenzustand eines Objekts konnte in den eines anderen Objekts ubertragen werden ... Wir glauben zu wissen, wie das geht.«4 Kimble verstieg sich naturlich nicht zu der Behauptung, sie konnten ein menschliches Wesen teleportieren, aber er sagte, er konne sich vorstellen, da? jemand es mit einer Bakterie versucht.

Diese Quantenmerkwurdigkeiten, die den Gesetzen der Logik ebenso widersprechen wie dem gesunden Menschenverstand, haben in der allgemeinen Offentlichkeit bis jetzt noch wenig Aufmerksamkeit erregt, aber das wird sich andern. Nach einigen Schatzungen wird im Verlauf der ersten Jahrzehnte des neuen Jahrhunderts die Mehrheit der Physiker an diversen Aspekten der Quantentechnologie arbeiten.5 Es ist deshalb nicht uberraschend, da? sich Mitte der neunziger Jahre einige Konzerne der Quantenforschung zuwandten. 1991 wurde Fujitsu Quantum Devices gegrundet. IBM bildete 1993 ein Quantenforschungsteam unter der Leitung von Charles Bennett.6 Bald darauf folgten AT&T und andere Firmen, Universitaten wie die CalTech und Regierungseinrichtungen wie Los Alamos, ebenso eine Forschungsfirma in New Mexico mit dem Namen ITC. Nur eine Stunde von Los Alamos entfernt, machte ITC schon fruh in diesem Jahrzehnt bedeutende Schritte nach vorn. Inzwischen ist bekannt, da? ITC bereits im Jahr 1998 als erste Firma eine brauchbare, funktionierende Anlage besa?, die fortgeschrittene Quantentechnologie verwendete.

Ruckblickend betrachtet war es ein Zusammentreffen besonderer Umstande - plus betrachtliches Gluck -,

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