Bedeutung zu verleihen. »Ja«, sagte sie schlie?lich. »Ich wei?, was es ist. Es ist eine Kirche.« Baker sah sich die Punkte auf dem Papier an. »Das soll eine Kirche sein?« fragte er.

»Na ja, zumindest der Grundri? von einer«, erwiderte sie. »Schau. Das ist die Langsachse des Kreuzes, das Mittelschiff... Siehst du das? Das ist eindeutig eine Kirche, Dan. Und der Rest dieser Abbildung,

die Quadrate in den Quadraten, alles rechtwinklig, das sieht aus... wei?t du, das konnte ein Kloster sein.« »Ein Kloster?« fragte der Polizist.

»Ich glaube schon«, sagte sie. »Und was ist mit der Beschriftung hier unten? Ist >klo< nicht eine Abkurzung fur Kloster? Bestimmt. Wie gesagt, ich halte das fur ein Kloster.« Sie gab dem Polizisten die Abbildung zuruck.

Mit ubertriebener Geste sah Baker auf seine Uhr. »Wir sollten jetzt wirklich los.«

»Naturlich«, sagte Wauneka, der den Wink verstanden hatte. Er gab ihnen die Hand. »Vielen Dank fur Ihre Hilfe. Und entschuldigen Sie, da? wir Sie so lange aufgehalten haben. Eine schone Fahrt noch.« Baker legte seiner Frau den Arm um die Taille und fuhrte sie hinaus ins nachmittagliche Sonnenlicht. Es war kuhler geworden, im Osten stiegen Hei?luftballons in den Himmel. Gallup war ein Zentrum fur Ballonfahrer. Er ging zum Auto. Der Zettel auf der Windschutzscheibe erwies sich als Werbung fur einen Turkisschmuckverkauf in einem Geschaft am Ort. Er zog ihn unter dem Scheibenwischer hervor, zerknullte ihn und stieg ein. Seine Frau sa? mit verschrankten Armen auf dem Beifahrersitz und starrte geradeaus. Er lie? den Motor an. »Okay«, sagte sie. »Tut mir leid.« Es klang murrisch, aber Baker wu?te, mehr wurde er von ihr nicht bekommen. Er beugte sich zu ihr und ku?te sie auf die Wange. »Nein«, sagte er. »Du hast genau das Richtige gemacht. Wir haben dem alten Knaben das Leben gerettet.« Seine Frau lachelte.

Er rollte vom Parkplatz und fuhr in Richtung Highway.

Der alte Mann im Krankenhaus schlief, sein Gesicht zur Halfte unter einer Sauerstoffmaske versteckt. Jetzt war er ruhig; sie hatte ihm ein leichtes Sedativum gegeben, und er war entspannt und atmete gleichma?ig. Beverly Tsosie stand am Fu? des Betts und besprach den Fall mit Joe Nieto, einem Mescalero-Apachen, der ein fahiger Internist und ein sehr guter Diagnostiker war. »Mannlicher Wei?er, ungefahr siebzig Jahre alt. Bei der Einlieferung verwirrt, benommen und extrem desorientiert. Leichte kongestive Herzinsuffizienz, etwas erhohte Leberenzyme, ansonsten nichts.« »Und die haben ihn nicht mit dem Auto angefahren?« »Offensichtlich nicht. Aber komisch ist es schon. Sie sagten, sie hatten ihn nordlich des Corazon Canyon aufgelesen. Aber in zwanzig Kilometer Umkreis ist da rein gar nichts.« »Und?«

»Der Kerl hat absolut keine Expositionssymptome. Keine Dehy-dration, keine Ketose. Er hat nicht einmal Sonnenbrand.«

»Glauben Sie, da? ihn jemand ausgesetzt hat? Jemand, der keine Lust mehr hatte, da? Opa dauernd mit der Fernbedienung rumspielt?«

»Ja, das nehme ich an.«

»Und was ist mit seinen Fingern?«

»Ich wei? es nicht«, sagte sie. »Er hat irgendwie ein Durchblutungsproblem. Seine Fingerspitzen sind kalt und stark gerotet, es konnten sich Gangrane entwickeln. Aber was es auch ist, es hat sich verschlimmert, seit er im Krankenhaus ist.« »Ist er Diabetiker?« »Nein.« »Raynaud- Syndrom?« »Nein.«

Nieto stellte sich ans Bett und betrachtete die Finger. »Nur die Fingerspitzen sind betroffen. Die Schadigung ist rein distal.« »Genau«, entgegnete sie. »Wenn man ihn nicht in der Wuste gefunden hatte, wurde ich sagen, das sind Erfrierungen.« »Haben Sie ihn auf Schwermetalle untersucht, Bev? Das konnte namlich eine Schwermetallvergiftung sein. Kadmium oder Arsen. Das wurde die Finger erklaren und auch seine Demenz.«

»Ich habe ihm Blutproben abgenommen. Aber Schwermetalltests werden nur in der Uniklinik in Albuquerque gemacht. Die Ergebnisse bekomme ich erst nach zweiundsiebzig Stunden.«

»Haben Sie eine Identifizierung, eine Krankengeschichte, sonst irgendwas?«

»Nichts. Wir haben eine Vermi?tenanzeige rausgegeben, und wir haben seine Fingerabdrucke fur einen Datenbankcheck nach Washington geschickt, aber das kann eine Woche dauern.«

Nieto nickte. »Und dieses erregte Geplapper? Was hat er gesagt?«

»Das war alles in Reimen, immer wieder dasselbe. Irgendwas uber Gordon und Stanley. Und dann sagte er: >Quondam-Raum macht mich schaun.<«

»Quondam? Ist das nicht Lateinisch?«

Sie zuckte mit den Achseln. »Ist schon eine Weile her, da? ich in der Kirche war.«

»Ich glaube, quondam ist ein lateinisches Wort«, wiederholte Nieto. Plotzlich horten sie eine fremde Stimme. »Entschuldigung?« Es war der bebrillte Junge, der, seine Mutter neben sich, im Bett gegenuber sa?. »Wir warten noch immer auf den Chirurgen, Kevin«, entgegnete Beverly. »Wenn er kommt, richten wir deinen Arm ein.« »Er hat nicht >Quondam-Raum< gesagt«, bemerkte der Junge. »Er hat >Quantenschaum< gesagt.« »Was?«

»Quantenschaum. Er hat >Quantenschaum< gesagt.«

Sie gingen zu ihm. Nieto schien belustigt. »Und was genau ist Quantenschaum?«

Der Junge blinzelte hinter seiner Brille und sah sie ernst an. »In sehr kleinen, subatomaren Dimensionen ist die Struktur der Raumzeit unregelma?ig. Sie ist nicht glatt, sondern irgendwie blasenformig und schaumig. Und weil das ganz unten auf der Quantenebene ist, nennt man das Quantenschaum.«

»Wie alt bist du?« fragte Nieto.

»Elf.«

Seine Mutter sagte: »Er liest sehr viel. Sein Vater arbeitet in Los Alamos.«

Nieto nickte. »Und was ist der Sinn von diesem Quantenschaum?« »Da gibt's keinen Sinn«, erwiderte der Junge. »Das Universum ist einfach so beschaffen, auf der subatomaren Ebene.« »Und warum sollte dieser alte Knabe gerade daruber reden?« »Weil er ein bekannter Physiker ist«, sagte Wauneka, der eben ins Zimmer trat. Er sah auf ein Blatt Papier in seiner Hand. »Das ist eben auf die Vermi?tenmeldung reingekommen. Joseph A.Traub, einundsiebzig Jahre alt, Werkstoffphysiker. Spezialist fur supraleitende Metalle. Als abgangig gemeldet von seinem Arbeitgeber, ITC Research in Black Rock, heute gegen Mittag.«

»Black Rock? Das ist doch in der Gegend von Sandia.« Der Ort lag mehrere Stunden entfernt, mitten in New Mexico. »Wie zum Teufel ist der Kerl zum Corazon Canyon in Arizona gekommen?« »Keine Ahnung«, sagte Beverly. »Aber er ist -« In diesem Augenblick ging der Alarm los.

Es passierte mit einer Geschwindigkeit, die Jimmy Wauneka verbluffte. Der alte Mann hob den Kopf vom Kissen, starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an und spuckte dann Blut. Die Sauer-stoftmaske farbte sich grell rot; Blut quoll seitlich aus der Maske heraus, lief ihm uber Wangen und Kinn und befleckte Kissen und Wand. Ein gurgelndes Gerausch drang aus seiner Kehle: Er ertrank in seinem eigenen Blut. Beverly sturzte bereits durchs Zimmer. Wauneka rannte hinter ihr her. »Drehen Sie ihm den Kopf zur Seite!« rief Nieto, der ebenfalls zum Bett gelaufen kam. »Den Kopf drehen!« Beverly hatte dem alten Mann die Maske heruntergerissen und versuchte, ihm den

Kopf zu drehen, aber er wehrte sich, noch immer gurgelnd, die Augen vor Panik weit aufgerissen. Wauneka schob sich an ihr vorbei, packte den Kopf des Mannes mit beiden Handen und ri? ihn mit Kraft zur Seite, so da? sich der ganze Korper mit drehte. Der Mann erbrach sich wieder; Blut spritzte auf die Kontrollgerate und auf Wauneka. »Absaugen!« rief Beverly und deutete auf einen Schlauch an der Wand. Wauneka versuchte, den alten Mann festzuhalten und gleichzeitig nach dem Schlauch zu greifen, aber der Boden war glitschig vom Blut. Er rutschte aus und hielt sich im Fallen am Bett fest. »Na kommt, Leute!« rief Dr. Tsosie. »Ich brauche euch! Absaugen!« Sie kniete neben dem Bett, schob dem Mann ihre Finger in den Mund und zog die Zunge heraus. Wauneka rappelte sich wieder hoch, sah, da? Nieto ihm den Saugschlauch hinhielt. Er packte ihn mit blutfeuchteten Fingern. Nieto drehte das Ventil an der Wand auf. Beverly nahm den Neoprenschlauch und begann, dem Mann Mund und Nase abzusaugen. Blut lief durch den Schlauch. Der Mann keuchte und hustete, aber er wurde immer schwacher.

»Das gefallt mir nicht«, sagte Beverly, »wir sollten — « Das Kontrollsignal des Herzmonitors veranderte sich, wurde schriller, dann zu einem gleichbleibenden hohen Ton. Herzstillstand. »Verdammt«, sagte sie. Ihr Mantel, ihre Bluse waren blutbespritzt. »Defibrillator. Bringt mir den Defibrillator!«

Nieto stand neben dem Bett und hielt die Plattenelektroden in den ausgestreckten Handen. Wauneka wich zur Seite, als Nancy Hood sich durch die Leute schob, die sich jetzt um den Mann drangten. Ein scharfer Geruch stieg Wauneka in die Nase, und er wu?te, da? der Darm des Alten sich entleert hatte. Plotzlich wurde ihm bewu?t, da? der Mann im Sterben lag.

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