»Achtung!« rief Nieto und druckte dem Mann die Platten auf die Brust.
Der Korper baumte sich auf. Auf dem Wandregal klirrten Flaschen. Das Alarmsignal schrillte weiter.
Beverly sagte: »Ziehen Sie den Vorhang zu, Jimmy.«
Er drehte sich um und sah, da? der bebrillte Junge mit weit aufgerissenem Mund zu ihnen heruberstarrte. Wauneka zog den Vorhang zu.
Ein Stunde spater sank eine erschopfte Beverly Tsosie an einen Schreibtisch in der Ecke der Station, um den Abschlu?bericht zu schreiben. Er mu?te besonders ausfuhrlich sein, weil der Patient gestorben war. Als sie eben die Untersuchungsergebnisse durchblatterte, kam Jimmy Wauneka mit einem Becher Kaffee zu ihr. »Danke«, sagte sie. »Ubrigens, haben Sie die Telefonnummer dieser ITC-Firma? Ich mu? dort anrufen.«
»Ich mache das fur Sie«, sagte Wauneka und legte ihr kurz die Hand auf die Schulter. »Sie hatten einen schweren Tag.«
Bevor sie etwas erwidern konnte, ging Wauneka zum Nachbartisch, klappte sein Notizbuch auf und wahlte eine Nummer. Er lachelte sie an, wahrend er auf die Verbindung wartete. »ITC-Research.«
Er stellte sich vor und sagte dann: »Ich rufe an wegen Ihres vermi?ten Angestellten Joseph Traub.«
»Einen Augenblick bitte, ich verbinde Sie mit dem Direktor unserer Personalabteilung.«
Er mu?te mehrere Minuten warten. Berieselungsmusik spielte. Er legte die Hand uber den Horer und sagte so beilaufig wie moglich zu Beverly: »Sind Sie zum Abendessen frei oder bei Ihrer Gro?mutter?« Sie schrieb weiter und erwiderte, ohne aufzublicken: »Bei Gro?mutter.«
Er zuckte leicht die Achseln. »Wollte nur mal fragen«, sagte er. »Aber sie geht fruh ins Bett. So gegen acht.« »Tatsachlich?«
Sie lachelte, noch immer ohne den Blick von ihren Notizen zu nehmen. »Ja.«
»Alles klar dann, oder?« »Alles klar.«
Im Telefon klickte es, und er horte eine Frau sagen: »Einen Augenblick bitte, ich stelle Sie durch zu unserem ersten Vizeprasidenten, Dr. Gordon.«
»Danke.« Erster Vizeprasident, dachte er.
Noch ein Klicken und dann eine rauhe Stimme: »John Gordon.«
»Dr. Gordon, hier spricht James Wauneka vom Gallup Police Department. Ich rufe aus dem McKinley Hospital in Gallup an«, sagte er. »Ich furchte, ich habe schlechte Nachrichten fur Sie.«
Wenn man durch die Panoramafenster des ITC-Konferenzraums schaute, konnte man die gelbe Nachmittagssonne auf den Glas- und Stahlkonstruktionen der funf Labore des Black-Rock-Forschungszentrums funkeln sehen. In der Entfernung bildeten sich uber der Wuste Gewitterwolken. Doch die zwolf Mitglieder des ITC-Auf-sichtsrats interessierten sich nicht fur den Ausblick. Sie tranken Kaffee an einem Nebentisch, unterhielten sich und warteten auf den Beginn der Konferenz. Ratssitzungen dauerten immer bis tief in die Nacht, weil der Prasident von ITC, Robert Doniger, an chronischer Schlaflosigkeit litt und sie deshalb so legte. Es war ein Tribut an Donigers Brillanz, da? die Aufsichtsratsmitglieder, alles Topmanager und risikobereite Gro?investoren, dennoch kamen.
An diesem Nachmittag war Doniger noch nicht erschienen. John Gordon, Donigers stammiger Vizeprasident, glaubte zu wissen, warum. Sein Handy am Ohr, ging er nun langsam auf die Tur zu. Gordon war fruher Projektleiter bei der Air Force gewesen, und er hatte noch immer ein militarisches Auftreten. Sein blauer Geschaftsanzug war frisch gebugelt, und seine schwarzen Schuhe glanzten. »Verstehe, Officer«, sagte er in sein Handy und schlupfte zur Tur hinaus. Wie Gordon vermutet hatte, marschierte Doniger wie ein hyperaktives Kind drau?en im Korridor auf und ab, wahrend Diane Kramer, die Leiterin der Rechtsabteilung von ITC, an der Wand stand und ihm zuhorte. Gordon sah Doniger wutend mit dem Finger nach ihr stechen. Ganz offensichtlich machte er ihr die Holle hei?. Robert Doniger war achtunddrei?ig Jahre alt, ein brillanter Phy-siker und Milliardar. Trotz Schmerbauch und grauen Haaren hatte er noch immer etwas Jugendliches an sich - oder Pubertares, je nachdem, mit wem man sprach. Auf jeden Fall hatte das Alter ihn nicht sanfter gemacht. ITC war die dritte Firma, die er gegrundet hatte; die ersten beiden hatten ihn reich gemacht, aber sein Fuhrungsstil war so zynisch und gemein wie eh und je. Fast jeder in der Firma hatte Angst vor ihm. Dem Aufsichtsrat zuliebe trug Doniger einen blauen Anzug und nicht wie sonst Khakihose und Sweatshirt. Aber er fuhlte sich offensichtlich nicht wohl in dem Anzug, wie ein Junge, den die Eltern gezwungen hatten, sich herauszuputzen.
»Nun, vielen Dank, Officer Wauneka«, sagte Gordon in das Handy. »Wir kummern uns um alles. Ja. Wir erledigen das sofort. Noch einmal vielen Dank.« Gordon klappte das Handy zu und wandte sich an Doniger. »Traub ist tot, sie haben seine Leiche identifiziert.« »Wo?«
»In Gallup. Das war eben ein Polizist, der aus der Notaufnahme angerufen hat.«
»Was glauben sie, woran er starb?«
»Sie wissen es nicht. Sie tippen auf Herzstillstand. Aber da gab's ein Problem mit seinen Fingern. Ein Durchblutungsproblem. Man wird eine Autopsie durchfuhren. Das ist gesetzlich vorgeschrieben.« Doniger tat es mit einer unwirschen Handbewegung ab. »Na und? Die Autopsie wird nichts ergeben. Traub hatte Transkriptionsfehler. Da kommen die nie drauf. Warum vergeudest du meine Zeit mit diesem Blodsinn?«
»Einer unserer Angestellten ist eben gestorben, Bob«, sagte Gordon. »Stimmt«, erwiderte Doniger kalt. »Und wei?t du was? Dagegen kann ich verdammt noch mal nichts machen. Es tut mir leid. Oje, oje. Schick ein paar Blumen. Erledige es einfach, okay?«
In Augenblicken wie diesem atmete Gordon immer tief durch und erinnerte sich daran, da? Doniger nicht anders war als die meisten ehrgeizigen jungen Unternehmer. Er erinnerte sich daran, da? Doniger hinter seinem Sarkasmus fast immer recht hatte. Und er erin-nerte sich daran, da? Doniger sich sein ganzes Leben lang so verhalten hatte.
Bei Robert Doniger hatten sich schon fruh erste Anzeichen von Genialitat gezeigt. Bereits in der Grundschule verschlang er technische Fachbucher. Und als er neun war, konnte er jedes elektronische Gerat -ob Radio oder Fernseher - reparieren; er spielte einfach so lange mit den Rohren und Drahten herum, bis es wieder funktionierte. Als seine Mutter sich sorgte, er konne sich mit einem Stromschlag toten, erwiderte er nur: »Mach dich doch nicht lacherlich.« Und als seine geliebte Gro?mutter starb, informierte ein tranenloser Doniger seine Mutter, da? die alte Dame ihm noch siebenundzwanzig Dollar schulde und er nun von ihr die Ruckzahlung erwarte.
Nachdem er mit achtzehn in Stanford summa cum laude in Physik promoviert hatte, ging er zu FermiLab in der Nahe von Chicago. Nach sechs Monaten kundigte er wieder und sagte dem Direktor des Labors, da? »Elementarteilchenphysik nur etwas fur Wichser« sei. Er kehrte nach Stanford zuruck, um dort in einem Bereich zu arbeiten, der ihm vielversprechender erschien: Magnetismus auf Basis der Supraleitung. Zu dieser Zeit verlie?en Wissenschaftler aller Fachgebiete die Universitaten und grundeten Firmen, um aus ihren Erfindungen Kapital zu schlagen. So auch Doniger: Er grundete nach einem Jahr in Stanford eine Firma namens TechGate, in der er die Komponenten fur ein Prazisionsatzverfahren fur Chips, das er nebenbei erfunden hatten, herstellte. Als Stanford dagegen protestierte, weil er die Entdeckungen wahrend der Arbeit in ihren Laboren gemacht habe, sagte Doniger nur: »Wenn Sie ein Problem haben, verklagen Sie mich. Ansonsten halten Sie den Mund.«
Schon bei TechGate wurde Donigers barscher Fuhrungsstil beruhmt. Bei Besprechungen mit seinen Wissenschaftlern sa? er, seinen Stuhl gefahrlich weit nach hinten gekippt, in einer Ecke und deckte sie mit Fragen ein. »Was ist damit?« — »Warum tun Sie das?« - »Was ist der Grund hierfur?« Wenn die Antwort ihn zufriedenstellte, sagte er: »Vielleicht...« Das war das hochste Lob, das man von Doniger bekommen konnte. Aber wenn ihm die Antwort nicht gefiel — was meistens der Fall war —, knurrte er: »Sind Sie hirntot?« — »Haben Sie vor, zum Idioten zu werden?« — »Wollen Sie dumm sterben?« - »Sie sind ja nicht mal ein Schwachkopf.« Wenn er wirklich verargert war, warf er mit Bleistiften und Notizblocken um sich und schrie: »Arschlocher! Ihr seid alle verdammte Arschlocher!« Die Angestellten von TechGate fanden sich mit den Wutausbruchen von »Todesmarsch Doniger« ab, weil er ein brillanter Physiker war - ein viel besserer, als sie es waren -, weil er die Probleme kannte, mit denen seine Teams sich herumschlugen, und weil seine Kritik immer berechtigt und treffsicher war. So unangenehm dieser atzende Stil auch sein mochte, er funktionierte; in nur zwei Jahren machte TechGate erstaunliche Fortschritte.
1984 hatte er seine Firma fur hundert Millionen Dollar verkauft. Im selben Jahr zahlte das