Die Wakwafi, eine Mischung aus Masai und Wataveta, sind eine feine, starke Rasse, deren Krieger alle mannlichen Tugenden aufweisen. Sie besitzen viele der guten Qualitaten, uber die auch die Zulu verfugen, und besitzen die ausgepragte Fahigkeit zur Zivilisation. Daruberhinaus sind sie als gro?e Jager bekannt. Folgendes war geschehen: Diese hervorragenden Manner waren erst kurz zuvor von einer langen Expedition mit einem Englander namens Jutson zuruckgekehrt. Dieser war in Mombasa, einer Hafenstadt, die ungefahr 150 Meilen unterhalb von Lamu lag, aufgebrochen und war um den Kilimandscharo, einen der hochsten bekannten Berge Afrikas, herumgereist. Der arme Kerl war auf dem Ruckweg, nur noch einen Tagesmarsch von Mombasa entfernt, am Fieber gestorben. Ein hartes Schicksal, so kurz vor dem rettenden Hafen zugrunde zu gehen, wenn man schon so viele Gefahren glorreich uberstanden hat, aber es war nun einmal der Lauf der Dinge. Seine Jager hatten ihn begraben und waren dann nach Lamu gekommen. Unser Freund, der Konsul, schlug uns vor, den Versuch zu machen, diese Manner bei uns zu verdingen. Gesagt, getan, am folgenden Morgen machten wir uns in Begleitung eines Dolmetschers auf den Weg zu der Gruppe.

Wir trafen sie zur rechten Zeit in einer Lehmhutte am Stadtrand an. Drei der Manner sa?en drau?en vor der Hutte. Es waren prachtige, offenherzig dreinblik-kende Burschen von mehr oder weniger zivilisiertem au?eren Erscheinen. Wir eroffneten ihnen vorsichtig, warum wir gekommen waren; zunachst mit geringem Erfolg. Sie erklarten uns, sie waren im Augenblick nicht in der Verfassung, an solch einen Plan auch nur zu denken, erschopft und mude, wie sie seien von der langen und beschwerlichen Reise; daruberhinaus waren sie in tiefer Trauer uber den Verlust ihres Herrn. Sie hatten vor, nach Hause zuruckzukehren und sich daselbst eine Weile auszuruhen. All dies horte sich alles andere als vielversprechend an. Um zunachst einmal auf ein anderes Thema zu kommen, fragte ich sie danach, wo sich die anderen Manner aus ihrer Gruppe befanden. Man habe mir gesagt, es waren insgesamt sechs, und ich konne lediglich drei sehen. Einer der Manner sagte, sie schliefen in der Hutte und ruhten sich noch von den Strapazen aus - »der Schlaf zog an ihren Augenlidern, und der Kummer machte ihre Herzen schwer wie Blei: es war das Beste fur sie, sich schlafenzulegen, denn der Schlaf bringt Vergessen. Aber sie mu?ten jetzt aufgewacht sein.«

Im selben Augenblick kamen sie gahnend aus der Hutte. Die beiden ersten Manner gehorten offensicht-lich zur selben Rasse wie die, mit denen wir gerade gesprochen hatten; sie trugen auch die gleiche Kleidung. Das Erscheinen des dritten und letzten hingegen traf mich wie ein uberraschender Schlag. Der Mann war gro?gewachsen und breit, ich wurde sagen, er war weit gro?er als sechs Fu?, dabei jedoch hager, mit schlanken, drahtigen Armen und Beinen. Schon der erste Blick verriet mir, da? es kein Wakwa-fi war: er war ein reinrassiger Zulu. Als er aus der Hutte heraustrat, hielt er gerade mit seiner schmalen, aristokratischen Hand sein Gesicht halb verdeckt, um ein Gahnen zu verbergen. Aus diesem Grunde konnte ich nur erkennen, da? es sich um einen »Keshla«, oder einen Beringten[3], handelte. Auch konnte ich erkennen, da? er ein gro?es, dreieckiges Loch in seiner Stirn hatte. Eine Sekunde spater nahm er die Hand vom Gesicht, und zum Vorschein kam ein kraftiges Zulugesicht mit einem spottisch lachelnden, humorvollen Mund, einem kurzen wolligen Bart, mit einem Anflug von Grau darin, und zwei braunen Augen, deren Blick scharf war wie der eines Falken. Ich erkannte den Mann sofort wieder, obwohl ich ihn zwolf Jahre lang nicht mehr gesehen hatte. »Sei gegru?t, Umslopogaas!« sagte ich ganz ruhig in der Sprache der Zulu.

Der riesige Mann (der in seinem eigenen Volk beruhmt ist als »der Sprecht« oder auch als »der Schlachter«) fuhr zusammen, und fast hatte er die langstielige Streitaxt, die er in der Hand hielt, fallen lassen. Im selben Moment hatte er mich schon erkannt, und dann begru?te er mich uberschwenglich mit einem blumenreichen Wortschwall, dem seine Gefahrten, die Wakwafi, mit offenen Mundern und weit aufgerissenen Augen zuhorten.

»Koos (Anfuhrer)«, begann er, »Koos-y-Pagate! Koos-y-um-cool! (Anfuhrer aus alter Zeit - machtiger Anfuhrer) Koos! Baba! (Vater) Macumazahn, alter Jager, Totschlager der Elefanten, Verspeiser der Lowen, Schlauer und Gerissener! Achtsamer! Tapferer! Schneller! Der, dessen Schu? niemals fehlgeht, dessen Schlag immer trifft, der eine Hand ergreift und sie bis zum Tode festhalt (d.h. der ein treuer Freund ist). Koos! Baba! Weise ist die Stimme unseres Volkes, die da sagt: >Der Berg trifft niemals mit dem Berg zusammen, aber bei Tagesanbruch oder am Abend wird der Mann wieder mit dem Mann zusammentreffen.< Siehe! Ein Bote kam aus Natal hergereist. >Macuma-zahn ist tot!< rief er. >Das Land wird Macumazahn nicht mehr wiedererblicken.< Dies war vor vielen Jahren. Doch nun, siehe da! An diesem Orte des Gestankes finde ich Macumazahn, meinen Freund, wieder. Da ist kein Platz fur Zweifel. Die Mahne des alten Schakals ist ein wenig grau geworden; doch ist nicht sein Auge so scharf, sind nicht seine Zahne so spitz wie eh und je? Ha! Ha! Macumazahn, erinnerst du dich daran, wie du die Kugel mitten in das Auge des wutend angreifenden Buffel jagtest? Erinnerst du dich ...?«

Ich hatte ihn nicht unterbrochen, da ich bemerkte, welch tiefen Eindruck seine enthusiastische Begru?ungsrede auf die funf Wakwafi machte, die zumindest einen Teil dessen, was er sagte, zu verstehen schienen. Nun jedoch hielt ich es fur an der Zeit, seinen Redeschwall einzudammen; nichts auf der Welt ist mir so zuwider wie die Angewohnheit der Zulu, jemanden in hochsten Tonen zu preisen - >bongern< -wie sie es nennen. »Ruhe jetzt!« rief ich. »Ward all dein larmender Redeflu? gedammt, seit ich dich das letzte Mal sah, so da? er nun so machtig aus dir hervorbricht und uns gleichsam uberschwemmt? Was tust du hier mit diesen Mannern - du, der du Stammesfuhrer in Zululand warst, als ich dich zum letzten Male sah? Wie kommt es, da? du so fern deiner Heimat bist und ich dich hier mit Fremden zusammen vorfinde?«

Umslopogaas stutzte sich auf seine lange Streitaxt (die nichts anderes war als ein Schlachtbeil, mit einem wunderschonen Griff aus Rhinozeroshorn), und sein grimmiges Gesicht nahm einen traurigen Ausdruck an.

»Mein Vater«, begann er, »ich habe dir etwas zu erzahlen, aber ich kann es nicht vor den Ohren dieser Unwurdigen (umfagozana) - er deutete dabei auf die Wakwafi Askari - aussprechen. Es ist nur fur dein Ohr bestimmt. Mein Vater, dieses will ich dir nun berichten« - und hier wurde sein Gesicht wieder grimmig, »eine Frau verriet mich an den Feind und bedeckte meinen Namen mit Schande - ja, meine eigene Frau, ein Madchen mit rundem Gesicht, betrog mich. Aber ich entrann dem Tode; ja, ich uberwand jene, die gekommen waren, um mich abzuschlachten. Ich fuhrte nur drei machtige Hiebe mit dieser meiner Axt Inkosi-kaas - sicherlich kann sich mein Vater noch an sie erinnern, einen nach rechts, einen nach links, und einen nach vorn, aber es reichte, um drei Manner tot zu Boden zu strecken. Und dann floh ich, und, wie mein Vater wei?, sind meine Fu?e, auch jetzt noch, da ich alt bin, wie die Fu?e der Saasaby[4], und kein Mann auf der Welt kann mich einholen, wenn ich ihm einmal entsprungen bin. Also flog ich davon, und auf meiner Fahrte hetzten die Boten des Todes, und ihre Stimmen waren wie die Stimme des Hundes, der seiner Beute nachjagt. Aus meinem eigenen Kraal floh ich, und beim Laufen sah ich die, die mich verraten hatte, wie sie gerade Wasser von einer Quelle schopfte. Ich flog auf sie zu wie der Schatten des Todes, und als ich sie erreicht hatte, streckte ich sie mit meiner Axt nieder, und ihr Haupt sank herunter und fiel in die Wasserschale. Dann floh ich weiter nach Norden. Tag um Tag zog ich weiter; drei Monate reiste ich, ohne zu rasten und ohne zu ruhen. Ich lief immer weiter, um in der Ferne das Vergessen zu finden. Und so traf ich auf die Expedition des wei?en Jagers, der jetzt tot ist, und schlie?lich gelangte ich hierher mit seinen Dienern. Ich habe nichts mitgenommen; ich, der ich von hoher Geburt war, ja, vom Geblut Chakas, des gro?en Konigs - ein Hauptling, Hauptmann des Regiments der Nkomobakosi -, bin nun ein Umherirrender an einem fremden Orte, ein Mann ohne Kraal. Nichts habe ich mitgenommen au?er dieser meiner Axt; von all meiner Habe ist nur sie mir geblieben. Sie haben mein Vieh aufgeteilt; sie ha-ben mir meine Frauen weggenommen; und meine Kinder kennen mich nicht mehr. Doch mit dieser meiner Axt ...« - er schwang die wunderbare Waffe in einer kreisformigen Bewegung uber seinem Haupt, so da? sie ein zischendes Gerausch erzeugte, als sie durch die Luft schnitt -, »mit dieser meiner Axt werde ich mir einen neuen Pfad zum Gluck bahnen. Ich habe gesprochen!«

Ich schaute ihn an und schuttelte den Kopf. »Umslopogaas«, sagte ich, »ich kenne dich aus alter Zeit. Immer voller Ehrgeiz, immer dabei, Plane zum gro?en Ruhm auszuhecken; ich furchte, dieses Mal hast du dir zuviel zugemutet. Vor vielen Jahren, als du Ranke schmieden wolltest gegen Cetywayo, den Sohn des Panda, da warnte ich dich, und du hortest auf meinen Rat. Doch nun, da ich nicht in deiner Nahe war, um dir in den Arm zu fallen, da hast du mit eigenen Fu?en die Fallgrube durchbrochen, die du selbst gegraben hast. Ist es nicht so? Aber was geschehen ist, ist geschehen. Wer kann den abgestorbenen Baum wieder zum Grunen bringen; wer kann das Licht, das im letzten Jahre leuchtete, noch einmal erblicken? Wer kann das gesprochene Wort bewahren oder den Geist der Gefallenen wieder zum Leben erwecken? Was die Zeit verschlingt, das kommt nie wieder zuruck. La? es dem Vergessen anheimfallen!

Und nun hore, Umslopogaas! Ich kenne dich als einen gro?en Krieger und als einen tapferen Mann, der treu ist bis in den Tod. Selbst in Zululand, wo alle Manner tapfer sind, gab man dir den Ehrennamen >der

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